Berlin. In den deutschen Sicherheitsbehörden wächst die Sorge, russische Hacker könnten Einfluss auf die Abstimmung im Herbst nehmen.

Der Warnschuss traf den Bundestag im Frühjahr 2015. Hacker schleusten einen Trojaner in das Parlamentsnetz „Parlakom“ ein. Über die Schadsoftware kamen die Cyber-Angreifer an Email-Archive von Abgeordneten, fischten gesendete und empfangene Nachrichten ab: 16 Gigabyte an Daten – so viel wie acht Millionen Blatt Papier.

Seit diesem Angriff, seit der Attacke von Hackern auf die Demokratische Partei in den USA und Angriffen wie auf Geschäftsstellen von Linke, SPD und CDU wird aus einer Ahnung eine düstere Prognose: Cyberangriffe aus Russland nehmen Deutschland ins Visier. Ziel ist laut deutscher Behörden: Spionage, Desinformation, Verunsicherung. Hochrangige Sicherheitsleuten warnen in Gesprächen mit unserer Zeitung: Russland könne versuchen, die Bundestagswahl im Herbst zu beeinflussen.

„Informationen, die bei Cyber-attacken abfließen, könnten im Wahlkampf auftauchen, um deutsche Politiker zu diskreditieren“, sagte Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen. Der Geheimdienst erwarte einen Anstieg von Angriffen. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, bestätigte: „Europa ist im Fokus dieser Störversuche, und Deutschland ganz besonders.“ Russland stärke Meinungsmache gegen deutsche Politiker mit Hilfe von Think-Tanks und durch Annäherung an extreme Gruppen, „um die Arbeit der Bundesregierung zu erschweren“, so der Verfassungsschutz.

Beweise gegen Putin sind

bisher nicht öffentlich

Wie sich solche Kampagnen in Deutschland auswirken können, zeigte der „Fall Lisa“: Die 13- jährige Russlanddeutsche aus Berlin verschwindet. Sie soll von „Südländern“ vergewaltigt worden sein. In der Hauptstadt marschieren Russlanddeutsche und Neonazis auf. Flüchtlinge seien die Täter, mutmaßen Medien wie „Russland-Heute“, deren Etat nach Informationen unserer Zeitung von 260 Millionen Euro in 2015 auf 340 Millionen in 2016 gewachsen ist. Doch die Polizei konstruiert mit Handy-Daten: Lisa war bei ihrem Freund. Eine „Fake-News“ wurde zum Skandal.

Gab die Kreml-Regierung Anweisungen zu den Hackerangriffen? Oder agieren russische Gruppen auf eigene Faust? Der US-Geheimdienst will Belege dafür haben, dass Putin die Verbreitung von gefälschten Nachrichten angeordnet habe. Moskau wies die Vorwürfe zurück.

Eine Schadsoftware-Kampagne taucht immer wieder auf dem Radar der Behörden auf: APT28 – mehrere westliche Geheimdienste sagen der Hackergruppe Verbindung in den Kreml nach. Wer Putin analysiert, erkennt, wie der Einfluss des Kremls direkt oder über Mittelsmänner in verschiedene Milieus hineinreicht: Medien, Unternehmen, Rockergruppen, Militär.

Cybersicherheits-Experte Stefan Katzenbeisser von der TU-Darmstadt hält das Potenzial für eine groß angelegte Wahlmanipulation in Deutschland allerdings nicht für gegeben. Zwar bestehe die Gefahr von Falschmeldungen, diese würden jedoch „keinen tatsächlichen Einfluss auf den Wahlausgang“ haben. Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), warnt dagegen vor einer „hybriden Kriegsführung“. Das Ziel sei nicht, eine einzelne Partei zu schwächen, „sondern die Destabilisierung einer ganzen Gesellschaft“. Gegen „Fake News“ müsse der Staat strafrechtlich vorgehen. „Bei staatlich organisierter Propaganda sollten wir strafrechtlich tätig werden und im äußersten Fall Webseiten blocken“, sagte er. Gegen einen Angriff auf das digitale Hinweisportal zum Berlin-Anschlag hat das BKA nun Strafanzeige erstattet. Ob die Cyberattacke aus Russland stamme, sei unklar.