Osterode. Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper. Wohnungslosigkeit trifft dabei auch Erwerbstätige. Zum Beispiel Singles in Osterode.

Die Ambulante Hilfe Osterode der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten informiert über den Statistikbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). Dieser wurde aus Klientendaten aus freiverbandlichen Diensten und Einrichtungen der Hilfen in Wohnungsnotfällen im BAG W-eigenen Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit (DzW) ausgewertet.

So übermittelte auch die Ambulante Hilfe Osterode als eine von 223 Mitgliedseinrichtungen einen Teil der 45.600 anonymisierten Falldaten. Es waren so viele Daten wie noch nie zuvor. 74,4 Prozent aller erfassten Hilfesuchenden waren akut wohnungslos.

Anteil von „Working Poor“ hat sich verdoppelt

Schwerpunkt des Berichtes für 2019 ist die Lebenslage von Menschen, die sich in Wohnungsnotfallsituationen befinden, obwohl sie erwerbstätig sind (Working Poor). Ihr Anteil hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Insgesamt wurde jedoch festgestellt, dass rund 85 Prozent der im DzW erfassten Klienten nicht erwerbstätig sind.

Dazu Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Diese Entwicklung ist alarmierend. Rund 15 Prozent aller erfassten Klienten befinden sich in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Großteil der erwerbstätigen Klienten – über alle soziodemografischen Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildung hinweg – ist im ersten Arbeitsmarkt tätig und hat dennoch keine eigene Wohnung. Das macht einmal mehr deutlich: Bezahlbarer Wohnraum ist so knapp wie selten zuvor.“

Suche nach Wohnungen für Singles

Dies bestätigen auch die Sozialarbeiterinnen der Ambulanten Hilfe Osterode. Die Suche nach Wohnungen für Singles zu angemessenen Unterhaltskosten des Landkreises gestaltet sich besonders in Osterode als äußerst schwierig so Sonja Jakob. Es dauert mitunter viele Monate bis sich eine angemessene Wohnung findet. In einer kleinen Ortschaft eine anzumieten, ist ungeeignet, da es weder Einkaufsmöglichkeiten noch ärztliche Versorgung gibt und die Menschen nicht mobil sind. Die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind kostenaufwendig, die Fahrpläne dürftig.

Wenn die Hilfesuchenden Glück haben, kommen sie vorerst bei Freunden, Bekannten oder der Familie unter. Dies führt teils sehr schnell zu Spannungen in den beengten Verhältnissen. Schlimmstenfalls müssen Wohnungslose von den zuständigen Gemeinden in einer Not-, bzw. Durchreisendenunterkunft untergebracht werden. Manche Gemeinden im Altkreis Osterode halten dafür Räumlichkeiten in desaströsem Zustand vor oder weigern sich gar Obdachlose unterzubringen.

„Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Bereich Ordnung der Stadt Osterode verhalten sich jedoch vorbildlich“, betonen die Sozialarbeiterinnen der Ambulanten Hilfe Osterode. „Seit zwei Jahren gehören neue Räumlichkeiten zu jenen, an denen sich andere Gemeinden ein Beispiel nehmen könnten. Die kurzfristigen Zuweisungen von Wohnungslosen haben in Osterode zugenommen. Auch in Bad Lauterberg findet man ein gutes, mit dem Nötigsten eingerichtetes Apartment, wo jedoch nur eine einzige Person aufgenommen werden kann.“

Unterbringung in entfernten Dörfern

Manche Gemeinden bringen die Wohnungslosen in entfernten Dörfern unter, wo sie sich nicht einmal mit Lebensmitteln versorgen können. Ebenso ist die Beschaffung des Tagessatzes, die sich jeder Wohnungslose täglich beim Jobcenter abholen kann, ein großes Problem, sodass sich manch einer überlegt, lieber im Freien zu schlafen als täglich ein Drittel oder die Hälfte des Tagessatzes für Fahrgeld auszugeben.

Die Ambulante Hilfe Osterode verzeichnet seit 2020 eine zunehmende Anzahl an wohnungslosen Klienten und Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. Sonja Jakob bestätigt die Statistik der BAG W, dass die Zahl der Menschen, die erstmalig wohnungslos sind zugenommen hat. Das bedeutet, die Präventionsarbeit der Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen wird immer wichtiger.

Trend in der Gesellschaft

Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Der Statistikbericht für das Berichtsjahr 2019 ist erneut ein Beleg dafür, in welch prekären Lebenslagen sich viele Menschen hierzulande befinden und welche Trends sich in unserer Gesellschaft abzeichnen. Grundlage zielgerichteten Handelns und einer bedarfsgerechten Entwicklung der Hilfen sind Fakten. Diese liefern wir Jahr für Jahr mit unserem Bericht. Und diese Fakten machen deutlich: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die dauerhafte Sozialbindung von Wohnraum und spezifische Wohnraumversorgungsanstrengungen für bereits wohnungslose Menschen sind wichtiger denn je.“

Nach wie vor würden die Mitarbeiterinnen begrüßen, wenn sich die Stadt und der Landkreis entschließen würden eigenen kostengünstigen Wohnraum für Single-Haushalte zu schaffen. Zumal Osterode im Landkreis nach Göttingen und Hann. Münden an dritter Stelle in der Negativbilanz über fehlenden Wohnraum für Einzelpersonenhaushalte mit niedrigem Einkommen steht.

In der Abgunst 14/15 finden Ratsuchende von Montag bis Freitag von 9 bis 11 Uhr oder nach Vereinbarung Beratung und Unterstützung bei Wohnungslosigkeit, Problemen mit Vermietern und anderen besonderen sozialen Schwierigkeiten, Telefon 05522 6661.