Düna. Vor 40 Jahren wurden die Toten in der Lichtensteinhöhle bei Osterode entdeckt. Firouz Vladi erinnert sich an die aufregende Zeit.

„Am 26. Mai stand im Harz Kurier ein Beitrag zum 125. Todestag des Harzsagenforschers Heinrich Pröhle. Das bringt mir die Entdeckung der Skelette in der Lichtensteinhöhle vor etwa 40 Jahren in lebhafteste Erinnerung“, so der Geologe Firouz Vladi aus Düna, der sie hautnah miterlebt hatte.

Schon in den 1970er Jahren hatte Werner Binnewies aus Förste mit drei Jugendlichen die Lichtensteinhöhle in ihren ersten 65 Metern Länge entdeckt und den Harzer Höhlenforschern gemeldet. Sie war geologisch interessant.

Durch enge Spalte gequetscht

„Am Abend des 1. März 1980 führte ich einige Studenten der Geographie aus Hamburg in diese mehr als enge Spaltenhöhle. Sie endete in einer allzu engen Spalte, in die man nicht hineinpasste, aus der aber Wetterzug strömte. Während der hier nötigen Erklärungen schlüpfte die Hamburger Studentin Kathrin von Ehren – fast unbemerkt – in besagte Spalte, nur noch die Stiefel schauten heraus und man hörte ein Ächzen und ausgeatmetes Stöhnen. Ich rief sie zurück: Da holt Dich keiner raus, wenn Du festsitzt“, warnte Vladi und alle Kenntnisse über die Eingeklemmtenbergung gingen durch seinen Kopf: Presslufthammer, Schmierseife, Aushungern lassen und anderes mehr.

Nach einer Weile des Quetschen und Krächzen war ein Ruf zu vernehmen: „Ey, hier liegt einer!“ Und arg zerschunden kam sie mit zwei Menschenknochen wieder hervor. Dass sie in der Spalte eine Stelle zum Wenden fand, war ihre Lebensrettung. Die beiden Unterarmknochen waren mit Gips übersintert. Aber warum lagen dort Menschenknochen? Schon am Folgetage war Vladi mit Hilfe eines schlanken Jungen, der vor ihm her die Spalte von etwas Lehm ausräumte, ebendort hinein geklettert, damals wohl 15 Kilogramm schlanker, und fand dort, wo sie die Knochen hatte liegen sehen, einen kleinen Bronzering. Damit wurde die Sache noch interessanter. Unter entsetzlichen Quetschungen ging es dort nach oben weiter in eine Kammer, in der zwei Skelette ausgebreitet lagen. Vladi: „Räumlich kann man das Vergleichen mit dem Versuch, durch die Handschuhfachklappe in einen Kleinwagen zu schlüpfen. Und im weiteren Verlauf fanden wir dann in fünf folgenden Kammern die Schädel von 30 Menschen, den Zähnen nach eher Jugendliche. Den Begleitfunden nach bronzezeitlich, also etwa 3.000 Jahre alt.“

Bedeutende Entdeckung

Wie diese da reingekommen waren, das war zunächst nicht zu erkennen. Es sei schon klar gewesen, dass man etwas Bedeutendes entdeckt hatte, und so konnte er die Nacht gar nicht einschlafen. Dreißig Jugendliche in einer Spalte am Lichtenstein.

Knochenfunde aus der Lichtensteinhöhle.
Knochenfunde aus der Lichtensteinhöhle. © Firouz Vladi

Dieser Gedanke ging ihm durch den Kopf und kam ihm zunehmend bekannt vor. Gegen vier Uhr nachts ging es dann ans Bücherregal, dort stand Pröhles Sagensammlung von 1853. Unter Dorste stand dann folgendes: Die Lichtensteiner Kurrende: „Auf dem Lichtenstein zwischen Dorste und Osterode hört man oft einen Gesang und ist doch niemand sichtbar. Der Spielmann Wolf sah dort aus einem Loche einmal wohl dreißig Schüler in blauen Zarschmänteln hervorsteigen und singend in den reinsten Tönen und ohne nur einmal im Singen anzuhalten, wie eine gute Kurrende auch nicht muss, bis nach dem Buchenholze gegenüber hingehen, wo zu Himmelfahrt das Fest gefeiert wird, das die Osteröder den Füllenmarkt nennen, weil die jungen Leute dort so gern über den Strang schlagen. Wer aber dann, wenn die Schüler aus der Grube gestiegen sind, das Herz hätte, dahinein zu steigen, der könnte große Schätze herausholen. Der Spielmann Wolf hatte es nicht, darum ist er als ein armer Teufel gestorben.“ Konnte das sein, dass in Dorste und im Sösetal das Wissen um die dreißig Knaben im Lichtenstein über dreitausend Jahre überliefert wurde? Göttinger Märchenforscher konnten dazu nichts sagen. Hatten über mehr als 100 Generationen die Omas den Kindern beim Einschlafen immer wieder diese Geschichte erzählt?

Des Rätsels Lösung kam dann nach den äußerst sorgfältigen Ausgrabungen seitens des Kreisarchäologen Dr. Stefan Flindt durch das Anthropologische Institut der Universität Göttingen. Mittels der in den Knochen und Zähnen sehr gut konservierten DNA, also des Erbgutes, konnten die Wissenschaftler die älteste Familie der Welt identifizieren, einer Großfamilie, deren Nachfahren noch heute im Sösetal leben. Näheres kann man heute im HöhlenErlebnisZentrum in Bad Grund erfahren.

Keine Feier wegen Corona

Bis dahin war es realistisch anzunehmen, dass, zum Beispiel in der Völkerwanderungszeit die Menschen weiterzogen, neue Siedler zuzogen, örtliche Bewohner in Kriegen oder durch die Pest ausgelöscht wurden.

Nun wissen wir: Dem Sösetal sind die Bewohner seit der Bronzezeit als Ackerbauern, vielleicht auch als Salzsieder treu geblieben. Und vielleicht haben die besagten Omas tatsächlich dreitausend Jahre lang die Geschichte im Dorfe weitererzählt.

„All dies wollten wir zum 40. Jahrestag der Entdeckung im Höhlenerlebniszentrum feiern, doch dann kam Corona dazwischen“, bedauert Firouz Vladi. Vielleicht wird die Veranstaltung nachgeholt.