Osterode. Gemeinden, Zukunft, Politik: Im Interview spricht Pastor Klaus-Wilhelm Depker über seinen Job als Springer im Kirchenkreis Harzer Land.

Ob im Oberharz, ob in Bad Lauterberg, ob in Osterode, Pastor Klaus-Wilhelm Depker kann man im Kirchenkreis Harzer Land beinahe überall antreffen. Superintendent Volkmar Keil bezeichnet ihn als „ein Geschenk der Landeskirche“. Was es damit auf sich hat, soll in diesem Interview geklärt werden.

Wie kommt ein Kirchenkreis an einen Springer und wie kamen Sie an eine solche Stelle?

Das „Geschenk“ bezieht sich ja vor allem auf meine Finanzierung. Ich bin 2013 gefragt worden, ob ich mir einen Dienst als Springer vorstellen könnte. Ich bin nicht der erste, der eine solche Stelle hat, es gibt in der Landeskirche etwa 60 bis 70 Personen, die diese Arbeit machen, allerdings in ganz verschiedenen Konstellationen und unter verschiedenen Konditionen. Ich habe eine Viertel-Pfarrstelle in Dorste, damit ich einen Kirchturm habe, der immer zu mir gehört. Und nach gut sechs Jahren kann ich jetzt sagen, es ist sozusagen meine Heimatgemeinde.

Das klassische Modell der Gemeinde, die ihren Pastor hat, der wiederum sein Leben lang für seine Schäfchen da ist, das gibt es ja kaum noch. Wie ist es denn, wenn man als Springer nun in eine vakante Gemeinde kommt?

Ich sage mal ich habe eine gute Empathie und ich habe den Eindruck, als ich hier in diesen Dienst gerufen wurde, da hat der liebe Gott auf das, was ich hatte, noch eine kleine Schippe draufgelegt. Für diesen Job brauche ich Einfühlung und trotzdem eine eigene Orientierung sowie eine Teamfähigkeit, die uns nicht angeboren ist, sondern die wir erlernen müssen. Aber ich habe immer randständige Dinge gemacht, ich habe schon im Studium Kirchenvorstände begleitet für ein kirchensoziologisches Projekt über Entscheidungsfindung in Kirchenvorständen.

Also ist es auch ein Stück weit persönlicher Lebensweg?

Ja. Ich bin ein Grenzgänger. Obwohl ich selber keine Prägung diesbezüglich habe, bin ich in der zehnten Klasse in einer Gesprächs- und Gebetsgemeinschaft der Schülermission gewesen, wo ich das Diskutieren über Glauben gelernt habe. Das ist eine Schwierigkeit, denn ich muss ja einerseits davon überzeugt sein, dass mein Glaube wahr ist, und muss andererseits die Größe haben, zu erkennen, dass dennoch meine Erkenntnis der ewigen Wahrheit nur meine sein kann und dass jeder andere eine Wahrheit hat, die aus seiner oder ihrer Geschichte herrührt. Ich habe im Ausland erst gelernt, dass ich deutscher Protestant und Lutheraner bin, ich war nämlich ein halbes Jahr lang in Südindien unter syrisch-orthodoxen Christen. Das ist mit der Grenzgängerei eigentlich immer so weiter gegangen.

Wie ist es denn jetzt ganz formal? Wenn ein Pastor oder eine Pastorin beispielsweise in den Ruhestand geht und die Stelle ausgeschrieben ist, fragt der Kirchenkreis dann bei Ihnen an, ob Sie die Vakanz übernehmen oder wie läuft das ab?

Ich bin Pastor der Landeskirche, aber ich gehöre zum Kirchenkreis und mein Dienstvorgesetzter ist Superintendent Keil. Auch das war eine gute Fügung. Als ich in der Landeskirche gefragt wurde, wollten die mich ursprünglich an die Weser schicken, was ich auch tun wollte, doch meine Frau wollte damals von Osnabrück aus nur noch in unser Haus nach Fredelsloh ziehen. So bin ich mit Hilfe der Landeskirche ins Harzer Land gekommen. Die Personalpolitik ist im Moment darauf ausgelegt, sehr viele individuelle Modelle zu stricken, was ich auch für letztlich zukunftsweisend halte.

Ist das Modell des eigenen Springers im Kirchenkreis angesichts des drohenden Pastorenmangels nicht ohnehin zukunftsweisend? Aber es will sicher auch nicht jeder, oder?

Das muss man mögen und das muss man können. Dem Pastorenmangel als solchem wirkt es nicht entgegen, aber es hilft, mit den Folgen besser umzugehen. Ich habe in den letzten Jahren durchaus gemerkt, wie wichtig es war, dass ich hier on top zur Verfügung stand. Doch Springer allein reicht nicht. Wir müssen grundsätzlich noch einmal überlegen, was wir an Kirche brauchen und schätzen und was wir anders machen und was wir sein lassen. Denn wenn wir das nicht tun, werden innerhalb von 5 bis 10 Jahren sowohl die Ehrenamtlichen als auch die Hauptamtlichen ausgebrannt sein. Damit wirbt man dann auch keinen Nachwuchs.

Aber ich erlebe den Kirchenkreis Harzer Land als – hier darf man das vielleicht sagen – die Hexenküche der Landeskirche, weil hier ausprobiert wird, wie Zukunft gehen kann. Genau das ist für mich das Spannende an meinem Job.

Stimmt, sie müssen stetig neue Menschen kennenlernen und sich auf Neues einlassen. Ist das nicht auch manchmal schwierig, zum Beispiel wenn man als der neue Pastor in eine Gemeinde kommt?

Nein, eigentlich nicht. Durch meine Berufserfahrung und durch meine Flexibilität empfinde ich es anders. Ich weiß, ich bin fremd, habe den fremden Blick und egal wo, es gibt immer Sachen, die wurden toll gemacht und es gibt Ecken, die wurden liegengelassen. Wenn ich komme und frage: „ach, das macht ihr so, erklärt doch mal“, dann kommt manchmal erst der Gedanke auf, dass man es ja auch anders machen könnte. Das ist eine spannende Sache, die ich einfach gerne mache. Ich glaube, es ist ein lösungsorientiertes Denken. Mir wird gesagt, ich sei jemand, der Menschen Mut macht. Wir sind in einer Krisensituation, da hilft es manchmal, wenn jemand kommt, der Dinge neu ordnet. Im Grunde mache ich nichts anderes als die Leute ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und meinen Senf dazuzugeben.

In Moringen sind Sie auch in der Politik tätig. Wo ist der Unterschied zwischen Gestalten in der Politik und Gestalten in der Kirche?

(lacht) Die Leute sind anders drauf. Auf jeden Fall ist die Politik stärker egobetont, stärker konfliktbetont, was durchaus nicht immer verkehrt ist, weil die kirchliche Unart, ja keinen Konflikt auszulösen, verhindert manchmal, dass man Dinge klärt, um besser weiterzukommen.

Darf man denn – ketzerisch gefragt – als Christ in der Linken sein oder müsste es nicht eine der Parteien mit einem „C“ sein?

Ganz im Gegenteil. Abgesehen von der AfD und noch extremeren, muss es möglich sein, in jeder demokratischen Partei zu wirken. In der Apostelgeschichte wird ja schon der urchristliche Kommunismus beschrieben, wenn es heißt: Sie hatten alles, alles war allen gemein und wenn einer etwas brauchte, wurde verkauft. Der egalitäre Ansatz bei Wahrung der Individualität, also dass jeder gleich viel wert ist und dass einer Gemeinschaft daran gelegen sein muss, dass alle ihren Beitrag leisten können, das ist in der Kirche wie in der Politik die große Herausforderung.

Zurück zum Thema: In welchen Gemeinden waren sie in den vergangenen sechs Jahren?

Ich habe angefangen in Hattorf, musste dort einiges an Heilungsarbeit machen, aber mit einem wunderbaren Kirchenvorstand. Dann war ich 13 Monate in Zellerfeld und hatte die große Ehre, die St.-Salvatoris-Kirche nach langer Bauzeit wiederzueröffnen. Die Menschen dort brauchten ein bisschen Trost, doch ich bin jemand, der eben nach einer gewissen Zeit weiterzieht. Für mich erfreulich, aber leider ein bisschen kurz folgte die Vakanz in Wulften. Ich hatte gehofft, mal ein Jahr lang nur in einem Gemeindeverbund zu arbeiten, aber das war nach sieben Monaten auch wieder zu Ende.

Danach kam Bad Lauterberg St. Andreas, dann Herzberg Nicolai, dann Bad Lauterberg Paulus und Sieber, es kam noch ein kurzes Zwischenspiel in Pöhlde und jetzt bin ich seit Juli in Osterode an der Marktkirche, wo ich 2014 und 2016 auch schon mal kurz war. Ich bin also jetzt sechs Jahre hier und es ist meine neunte Vakanz.

Vergleicht man denn insgeheim die Gemeinden miteinander?

Nein, so nicht. Ich treffe ja überall Menschen, die etwas wollen. Was mich am Kirchenkreis Harzer Land im Gegensatz zu allen anderen, die ich kennengelernt habe, wirklich fasziniert, ist dass ich immer auf Leute getroffen bin, die sich alle im Rahmen ihrer Kapazität und im Rahmen ihrer Kompetenz vollkommen für ihre Kirche eingesetzt haben. Das gilt für Ehrenamtliche wie für Hauptamtliche. So habe ich es jedenfalls erlebt und ich denke, das hat etwas mit der Mentalität hier zu tun.