Lerbach. Vor gut 50 Jahren – 1968 – wurde das 1845 erbaute Wegehaus Heiligenstock abgerissen. Das ist seine bewegte Geschichte.

Mit Wehmut erinnern sich viele ältere Lerbacher aber auch Freiheiter, Osteroder und Buntenbocker Bürger an das Wegehaus zum oder auch beim Heiligenstock, das im Jahr 1968 infolge des Straßenneubaus der Ortsumgehung von Lerbach abgerissen wurde. Alle, die das 1845 erbaute Haus kannten und schätzen gelernt hatten, sei es bei den sonntäglichen Ausflügen, Wanderungen mit der Schule oder im Winter als Ausgangspunkt einer drei Kilometer langen, idealen Rodelbahn, bedauern den noch heute unverständlichen Abriss des beliebten Ausflugslokals.

Heute erinnern eine Holztafel und ein Gedenkstein an diese historische Stätte, unbeachtet fließt der Verkehr auf der B241 vorbei.

Harzstraße

Bereits im Jahr 1457 wird eine Verbindung über den Harz von Goslar nach Osterode erwähnt. Diese führte damals über Buntenbock und den Hundscherweg, Heidelbeerköpfe, Mangelhalber Tor, Eselsplatz, Butterberg zum Südwestrand des Harzgebirges. 1822 wurde der Ausbau der Straße Osterode-Clausthal verfügt, hierfür wurden aus der Bergkasse 8.599 Taler einschließlich Bau des Wegegeld- bzw. Wegehauses angewiesen. Daher wurde ein Wegehaus an der Alten Harzstraße erbaut und zwar am alten Ringsweg unterhalb des Hüttenteiches neben der damaligen Hüttenschänke und der Direktor-Wohnung der Königlichen Eisenhütte (jetzt Friedrich-Ebert-Straße 199).

Das Wegehaus befand sich dort, wo Ende der 1950er Jahre neue Wohnhäuser gebaut wurden. Wo ein Wegehaus vorher stand, ist unbekannt, wahrscheinlich aber dort wo der Liethweg – früher Adams-Leitweg – die Harzstraße erreichte. Dieser schon vor 1830 angelegte Weg war die einzige Verbindung zwischen dem Dorf Lerbach und der Harzstraße. Die sogenannte „Alte Straße“ beginnend an der Einmündung des Liethweges gegenüber dem Feuerwehrgerätehaus schräg hinauf über „Brandstelle“ zur Harzstraße war Transportweg für die alten Eisensteingruben am Langenberg.

Als in den Jahren ab 1840 eine Dorfstraße, die heutige Friedrich-Ebert-Straße, durch Lerbach gebaut wurde mit ihren vielen Windungen durch das Schiefertal über Claras Höhe hinauf zum Heiligenstock, wurde dort ein Wegehaus gebaut, um auch hier den Verkehr zu erfassen und Wegegeld zu erheben.

Im Garten die Bewohner Familie Baumgarten: Heinz, Sohn Ralf und Ehefrau Karla. Im Hintergrund das Nebengebäude (Schuppen) für Gerätschaften und Vieh.
Im Garten die Bewohner Familie Baumgarten: Heinz, Sohn Ralf und Ehefrau Karla. Im Hintergrund das Nebengebäude (Schuppen) für Gerätschaften und Vieh. © Archiv Rainer Kutscher

Bis etwa 1860 dienten die Weghäuser, die es auch andernorts gab und auch als Wegezollhäuser bezeichnet werden können, dazu, Wegegeld von den die Straße benutzenden Fuhrwerken und Wagen persönlich einzunehmen, das zur Instandhaltung der Straßen verwendet wurde.

Nach den vorliegenden Akten im Archiv besaß die Straße ein hohes Verkehrsaufkommen, zumal sie ein Teilstück der Hauptpoststraße nach Goslar war. Bei einer Länge von fast zehn Kilometern erbrachte die Einnahme im Schnitt ein jährliches Wegegeld von 995 Taler, dazu noch 30 Taler von der Postadministration. Diese Summen wurden von der Osteroder Chausseekasse verwaltet und reichten für die Instandhaltung in ihrer an 1844 in ganzer Länge „chaussierten“ Straße aus. Es ist belegt, dass die Straße unter Einsatz arbeitsloser Bergleute, die speziell die Sprengarbeiten durchführten, ausgebaut worden ist.

In der Lerbacher Kirchenchronik werden als Wegegeldeinnehmer nacheinander genannt: Keinert, Priem, Dungmann, Maschmeyer. Im Jahr 1869 wurde das Kassieren von Wegegeld eingestellt. Hinweise darüber, dass die Wegegeld-Einnehmer zugleich Gastwirtschaften betrieben sind nicht bekannt. Aus dem Lerbacher Kirchenbuch ist jedoch ersichtlich, dass 1878 der in Lerbach auf dem Heiligenstock wohnende Wegeaufseher der Gastwirt Julius Müller mit seiner Frau war und dort viele Jahre wohnte. Nach ihrem Tod übernahm der Gastwirt Giesecke aus Zellerfeld das Amt und ab 1925 der Müller‘sche Schwiegersohn Karl Rose und dessen Ehefrau Frieda, die 1896 im Wegehaus geboren wurde. Sie wohnten bis kurz vor Kriegsende dort, die Kinder Else und Lisa waren bereits ausgezogen.

Letzte Phase nach dem Krieg

In den Wirren der letzten Kriegstage war das Weghaus für kurze Zeit ein Stützpunkt der Wehrmacht und ganz zum Schluss Unterkunft für den Volkssturm. Alle ließen das Haus weitgehend unbehelligt. Selbst die Amerikaner, die aus Angst vor dem „Wehrwolf“ viele alleinstehende Gebäude dem Erdboden gleichmachten, ließen das damals leerstehende Haus unversehrt.

Nach Beendigung des Krieges zog der Lerbacher Berufssoldat Karl Gärtner, der vorübergehend in der Neuen Mühle beim ehemaligen Zechenhaus „Untere Innerste“ eine Wohnung gefunden hatte, mit seiner achtköpfigen Familie in das Wegehaus ein. Die jüngste Tochter In­grid wurde am 25. Juni 1946 auf dem Heiligenstock geboren. Nach der Familie Gärtner war das Wegehaus wieder Wohnung für einen Straßenwärter: Heinz Baumgarten mit Ehefrau und den Kindern Karl-Heinz, Hannelore, Rolf und Harald. Bis zum Jahr 1957 wurden die Gastwirtschaft und der Kaffeegarten betrieben, letzter Bewohner bis 1967 wurde der Straßenwärter Kurt Waldow mit Ehefrau Gertrud und den Kindern Dieter, Christel und Horst.

Das Wegehaus Heiligenstock um 1960 mit der Abzweigung Serpentinen nach Lerbach. Geradeaus die Alte Harzstraße, heute B241.
Das Wegehaus Heiligenstock um 1960 mit der Abzweigung Serpentinen nach Lerbach. Geradeaus die Alte Harzstraße, heute B241. © Archiv Rainer Kutscher

Als der Autoverkehr ständig zunahm, richtete das DRK im Wegehaus eine Station für Erste Hilfe ein, auch eine Haltestelle des Postverkehrs war vorhanden. Das Wegehaus wurde zwar mit einem Brunnen im Gartenterrain mit ausreichend Wasser und ab Mitte der 1950er Jahre auch mit Strom versorgt, jedoch war die Abgeschiedenheit besonders für die Kinder der Bewohner eine besondere Beeinträchtigung.

Nicht nur, dass keine Spielgefährten vor Ort waren, sondern der tägliche Marsch über eine halbe Stunde zur Schule steil bergab und wieder bergauf durch das Lehmtal war eine Strapaze. Oftmals im hohen Schnee und bei Dunkelheit musste die Strecke bewältigt werden und einige Lerbacher können sich noch erinnern, dass sie die Wegehauskinder ein Stück auf dem Nachhauseweg begleitet haben.

Auch muss daran erinnert werden, dass in aller Herrgottsfrühe Lerbacher Hüttenleute wie Erwin und Otto Bügener, August Schreyer, Wilhelm Mengler und Fritz Bertram sich auch im hohen Schnee einen Weg hinauf zum Weghaus und dann zur Blei- oder Silberhütte im Innerstetal bahnen mussten. Es kam auch schon mal vor, dass nach der Schicht im Wegehaus übernachtet wurde, für den Wirt auch eine freudige Angelegenheit zur Unterhaltung.

Die Sage vom Heiligenstock

Über die Entstehung des Namens Heiligenstock hat der Harzsagenforscher und Schriftsteller Dr. Heinrich Pröhle eine Sage mit „Die Rebhühner“ betitelt. Pastor Voigt hat das Bewandtnis mit dem Namen Heiligenstock in seiner Chronik niedergeschrieben:

„Es war einmal ein Kaufmann von Clausthal nach Osterode gegangen. Wie er in die Gegend kommt, die jetzt der Heiligenstock genannt wird, sprangen zwei Menschen auf ihn los und griffen ihn an. Er bittet sie, sie möchten ihm doch das Leben lassen. Aber die Räuber sagen: „Wenn wir Dir das Leben lassen so verrätst Du uns, Du mußt sterben.“ Da sagte der Kaufmann: „Nun, wenn Ihr denn keine Barmherzigkeit haben wollt, so sollen Euch die Vögel verraten.“ Aber die Räuber lachen und schneiden ihm den Hals ab. Darauf gehen sie nach Clausthal zu. Wie sie nach der Ziegelhütte kommen, gehen sie hinein und fragen den Wirt, ob er Gutes zu essen habe. „Hübsche Vögel, aber erst gefangen.“ „Gut, bringt uns ein Gericht!“ Wie sie nun die Vögel fast auf-haben, und auch einen Tüchtigen (Schnaps) dazu genommen haben, werden sie lustig und fangen an, verblümterweise miteinander zu reden und der eine sagt: „Am besten im Bauche, da können sie das hernach nicht verraten.“ Darüber fangen sie höllisch an zu lachen. Hinter dem Ofen aber liegt der Knecht und hört dieses und bei Gelegenheit macht er sich auf und steckt es dem Wirt. Der denkt: „Halt, das ist nichts Richtiges“, schickt den Knecht nach Clausthal und hält die Räuber durch allerlei Gespräche am Tische, bis „die heiligen Engel“ (Gerichtsdiener) kommen und den Räubern frei Quartier im Gefängnis anweisen. So haben doch die Vögel die Spitzbuben verraten. An der Stelle aber, wo der Mord geschah, hat man ein Kreuz aufgerichtet, und davon hat der Ort den Namen Heiligenstock erhalten.“

Die letzten Bewohner des Wegehauses Heiligenstock, Kurt Waldow und sein jüngster Sohn Horst, mit der 2005 aufgestellten Tafel.
Die letzten Bewohner des Wegehauses Heiligenstock, Kurt Waldow und sein jüngster Sohn Horst, mit der 2005 aufgestellten Tafel. © Rainer Kutscher

Zur Kennzeichnung dieser Sage genügt die Tatsache, dass zweifellos der Name Heiligenstock älter ist als die Ziegelhütte und die Stadt Clausthal. An der Stelle der ehemaligen Harzziegelhütte beim Prinzenteich lag schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine fiskalische Aschenhütte, wo die Lerbacher unentgeltlich „Herrendienste“ zu leisten hatten.

Gedenktafel am historischen Ort

Zur Erinnerung an den Opferstock hat die Arbeitsgruppe Binnewies, Wenig und Haase aus Förste am 3. Juli 1983 einen Gedenkstein mit Kreuz und der Inschrift „Weghaus am Heiligenstock 1845-1968“ errichtet. Dieser Gedenkstein am Wanderweg zum Aussichtsturm Kuhkolksklippe wurde im Mai 1993 mutwillig beschädigt. Das aus 25 Millimeter starkem Quadratstahl geschmiedete Kreuz wurde zunächst verbogen und dann ganz aus der Verankerung gerissen.

Die Inschrift des Steins ist inzwischen verwittert und die Holztafel marode geworden. Eine neue Holztafel in Form der Dennert-Tanne wurde im Oktober 2005 vom Harzklub-Zweigverein Lerbach und der Heimatstube Lerbach aufgestellt und erinnert an das ehrwürdige Gebäude.