Herzberg. Zug in den Holocaust: Am 22. April 1942 durchquert die Bahn „Da 52“ mit 941 deportierten Juden den Herzberger Bahnhof. Was darüber bekannt ist.

Vor 80 Jahren befand sich Deutschland in dem dunkelsten Kapitel seiner Geschichte. Ein erschütterndes Ereignis aus dieser Zeit hat sich, wie die Arbeitsgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion schildert, am heutigen Tag im Jahr 1942 ereignet: 941 deutsche Juden, gequetscht in den Zug „Da 52“ durchquerten Herzberg über die Bahnstrecke. Ihr Endziel: das Transitghetto Izbica in Polen. Und sie waren wohl nicht die Einzigen.

Bahnen sind im eigentlichen Sinne unpolitisch. Das schützt sie aber nicht vor Missbrauch – und dieser machte Eisenbahnen und Eisenbahner zu Mitwissern und Mittätern bei unvorstellbaren Verbrechen, so die Spurensucher. Ein Beispiel dafür sei die Rolle der Deutschen Reichsbahn bei den Verbrechen des Dritten Reiches seit dessen Bestehen bis zum Zusammenbruch 1945. Auch die Südharzstrecke Nordhausen-Northeim war in diese Verstrickungen einbezogen, die dort tätigen Eisenbahner waren in falscher Auslegung von Pflichtbewusstsein und Berufsethos an dem Geschehen beteiligt.

Eisenbahner wussten von dem Zug

Denn ohne die Arbeit des Lokomotiv- und Zugbegleitpersonals, der Fahrdienstleiter, Weichenwärter und Schrankenwärter, ohne die Mitwirkung des technischen Unterhaltungspersonals können keine Züge verkehren, ist jeglicher Missbrauch der Bahn ausgeschlossen. So verkehrten auf dieser Strecke nicht nur die Züge, die den Güteraustausch zwischen den Rüstungsproduktionsschmieden im mitteldeutschen Raum und dem Ruhrgebiet vermittelten, sondern liefen auch Züge mit Gefangenentransporten, in denen politische Häftlinge und rassistisch Verfolgte zwischen ihren Haftstätten hin und her befördert wurden.

Auch am Holocaust waren diese Strecke und die dort tätigen Eisenbahner nicht unbeteiligt. Am 22. April 1942, heute vor 80 Jahren, verkehrte der Zug „Da 52“ mit 941 Juden von Düsseldorf-Derendorf nach Izbica bei Trawniki im Distrikt Lublin. Der Zug fuhr, von Ottbergen kommend, über Northeim und gegen 19.30 Uhr durch Herzberg weiter in Richtung Nordhausen und dann in Richtung Halle.

Die Tafel auf dem Gedenkstein erinnert an die Opfer der Deportationen und dokumentiert deren Geschichte.
Die Tafel auf dem Gedenkstein erinnert an die Opfer der Deportationen und dokumentiert deren Geschichte. © Privat | Firouz Vladi

Durch seine Zuggattungsbezeichnung „Da“ war allen diensthabenden Eisenbahnern bekannt, dass es sich um einen Deportationszug für deutsche Juden handelte. Dieser Zug wurde wie jeder andere Zug auf der Strecke abgefertigt. Er hat ohne Verzögerungen die Südharzstrecke passiert. Die Reichsbahn kassierte für diesen Zug von der Gestapo ein Beförderungsentgelt von 28.320 Reichsmark. Als Wagenzug wurden die Wagen eines Russenzuges „Ru 7340“ von Russland nach Hemer/Westfalen genutzt, mit dem in umgekehrter Richtung Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht worden waren.

Ohne Nahrung und Wasser

Der Transport wurde von einem Offizier und 15 Beamten der Ordnungspolizei unter Leitung eines Hauptmanns der Schutzpolizei abgesichert. Dass über diesen Zug so viel bekannt ist, sei dem Zufall zu verdanken. Die entsprechenden Unterlagen waren der Vernichtung entgangen. In den letzten Kriegswochen und Tagen hatte auch das Reichsverkehrsministerium die Akten zielgerichtet vernichtet. Die vor Ort zur Verteilung gekommenen Fahrplanunterlagen wurden nach dem Verkehren von Sonderzügen meist vernichtet.

Ob dieser Zug der erste oder einzige Zug in den Holocaust über die Südharzstrecke war, kann ob der Überlieferungslage nicht gesagt werden. Möglicherweise hat es weitere Züge gegeben. Ein Aktenvermerk erwähnt Judentransporte von Düsseldorf-Derendorf in die Vernichtungslager am 21. und 27. Juli 1942. Wahrscheinlich hatten diese Züge den gleichen Laufweg wie der „Da 52“ am 22. April 1942. Bereits am 4. und 5. April 1945 wurden im Verlauf der Räumung der Südharzer KZ-Lager insgesamt 9.000 Häftlinge aus Ellrich, Harzungen, Woffleben und Mittelbau-Dora durch Herzberg transportiert.

Lesen Sie zum Thema auch: Zeitzeugin über Todesmärsche- „Anblick werde ich nie vergessen“

Gedenkstein erinnert an Opfer

In Viehwaggons gepfercht, tagelang ohne Verpflegung erreichten sie am 10. und 11. April u.a. das KZ Bergen-Belsen. Elf Opfer von den vielen, die ihre zum Greifen nahe Befreiung nicht mehr erlebten, wurden auf dem Herzberger Friedhof bestattet.

Heute bezeugt ein im Jahr 2002 gesetzter Gedenkstein vor dem Herzberger Bahnhof – auf kommunalem Grund – von diesen Momenten der Herzberger Bahnhofsgeschichte. Im Vordergrund steht dabei immer eines: Das Bewahren des Andenkens – das Verhindern von Gewalt und Krieg.