Osterode. Die Union präsentiert sich zur Landtagswahl klimafreundlich und nachhaltig. Schielen die Konservativen Richtung Grüne?

Die Plakate künden es von den Laternen: In knapp sechs Wochen wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Dabei präsentieren die Parteien in langen Programmen ihre Ziele für die kommende Legislatur. Diese zu lesen fällt leichter, wenn man auf die Zwischentöne achtet. So auch im Regierungsprogramm der CDU, das unter dem Titel „Niedersachsen springt weiter“ steht.

Wahlprogramme sind knifflige Kisten. Am Tag nach der Wahl verlieren sie ihren Sex-Appeal gegenüber dem Koalitionsvertrag. Schall und Rauch auf vielen Seiten Papier also?

Nicht zwangsläufig. Denn Wahlprogramme enthalten codierte Botschaften im traurigen Wissen, dass die Langfassung eigentlich kaum jemand liest. Deswegen senden Programme ihre Botschaften über den Rahmen des Textes. Soll heißen: Zwischen den Spiegelstrichen der Programmfloskeln stecken die eigentlichen Informationen. Wer nach der Strategie sucht, die eine Partei im Wahlkampf verfolgt, findet im Wahlprogramm die ersten Hinweise.

Himmelblaue Distanz

Deswegen ist das Erste, was der geneigten Wahlbevölkerung am „Regierungsprogramm 2022-27“ der CDU auffällt: Das Titelblatt strahlt in Himmelblau. Keine Deutschlandflaggen oder das typische Unionsorange. Ein erster Hinweis auf eine gewollte Distanz zur Bundestruppe unter Friedrich Merz? Reine Spekulation – wäre da nicht der nächste Punkt, der sofort ins Auge springt.

Das erste Kapitel nämlich. Hier liegt der Schwerpunkt, hier sind die großen Aufgaben der kommenden Jahre erfasst. Vielleicht lassen Sie in ihrem Freundes- und Familienkreis einmal raten, was die CDU an die Pole Position setzt. Innere Sicherheit? Wirtschaft und Finanzen? Alles falsch.

Die lieben Kleinen

Die CDU startet in ihr Programm mit dem Thema frühkindliche Bildung. Sie will 10.000 neue Erzieherinnen und Erzieher, mehr Praxis in deren Ausbildung und überhaupt bessere Schulen: „Niedersachsen soll das kinderfreundlichste Bundesland werden“, heißt es.

Ein Verweis auf den Spitzenkandidaten und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann? Der Oldenburger ist promovierter Pädagoge, war Kultusminister unter David McAllister und möchte seinen Claim als Ministerpräsidentenanwärter gegenüber der SPD abstecken, die aktuell für die Bildung verantwortlich zeichnet. Althusmanns Acker, die Wirtschaftspolitik, muss da hinten anstehen.

Ein Mix mit Aussagekraft

Es ist nicht einfach, sich mit dem eigenen politischen Profil durchzusetzen, wenn der Gegner die Position bereits besetzt. In diesem Fall können Parteien nicht immer ihre Trümpfe ausspielen. Wirtschaft und Sicherheit wären das wahrscheinlich für die CDU. Wirtschaft kommt aber erst an dritter Stelle (nach Ausbildung und Studium), obwohl es mit 16 Seiten das längste Kapitel darstellt; das Thema innere Sicherheit folgt in Kapitel sieben mit 14 Seiten.

Welche Strategie könnten die Wählerinnen und Wähler hinter diesem Aufbau vermuten? Blättern wir weiter, stoßen wir auf Hinweise. Mit den ersten Kapiteln hat die Union die Jugend und die Wirtschaft umworben, ab Kapitel vier macht sie das nächste Fass auf: Umweltpolitik. Und die kommt nicht allein daher, sondern im Multipack mit Landwirtschaft, Klima und Energie. Diese Fragen zusammenzudenken erscheint sinnvoll. Aber im Mix verbirgt sich ein Politikum.

Ton macht Musik

Landwirtschaft und Umweltpolitik stehen sich oftmals feindselig gegenüber. Phosphat-Dünger versus Blühstreifen, platt gesprochen. Ein Ziel der Grünen ist es häufig, die Ressorts unter ihrer Ägide zu verbinden – in Schleswig-Holstein ist es ihnen unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) gelungen. In Thüringen wiederum scheiterten solche Vorstöße am Widerstand von Bodo Ramelow (Linke).

Gut möglich, dass die Niedersachsen-CDU im Vorfeld bereits den Olivenzweig in Richtung der Ökopartei reicht: Koalitionsverhandlungen müssen ja nicht schlimmer sein als notwendig. Vor allem, wenn man auf diese Weise die SPD ablösen kann. Das Wort Klimaschutz taucht im Programm über ein dutzend mal auf. Doppelt oft wie noch 2017. Schachzüge im Bundesland der abwechselnd regierenden Volksparteien?

Was bleibt für Harzer Wälder?

Für die Region bleibt am Ende eher wenig übrig. Der Harz wird im Konzept des Reiselandes Niedersachsen zumindest erwähnt. Moderner und nachhaltiger soll es werden. Es soll für Interessenausgleich zwischen den Nationalparks Harz und Wattenmeer gesorgt werden. Und in den Talsperren soll mehr Energie (sprich Wasser) gespeichert werden, für den nachhaltigen Energiemix. Und natürlich möchte die Partei nach Kräften aufforsten, Waldbesitzern unter die Arme greifen und Spekulation mit Wirtschaftsflächen unterbinden. Wolf und Nutria sollen in Einklang mit europäischem Recht bejagt werden dürfen.

Spannend für die Kommunen im Südharz sind aber wahrscheinlich die Vorstellungen der CDU hinsichtlich ihrer finanziellen Ausstattung. Denn die unteresten Verwaltungsteile sollen mehr Spielraum erhalten. Unter anderem durch eine Art interkommunalen Finanzausgleich namens „Zukunftspartnerschaft“. So muss weder von Schuldenbremse noch Altschuldenregel abgewichen werden.

Es bleibt abzuwarten, mit wem am Ende verhandelt werden muss. Mit dem aktuellen Programm stehen der CDU beide Optionen offen. Wer im Dreieck SPD-CDU-Grüne aber Ross und wer Reiter sein wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler am 9. Oktober.

Lesen sie außerdem: SPD-Programm zur Landtagswahl: Die gleichen Inhalte wie 1955?

Online-Diskussion zur Landtagswahl 2022 in Niedersachsen

Am Dienstag, 27. September, veranstalten wir ab 18 Uhr eine digitale Podiumsdiskussion mit den Landtagskandidaten unseres Wahlkreises.

Senden Sie uns gerne Ihre Frage per Mail an redaktion-harzkurier@funkemedien.de oder per Post an Harz Kurier Redaktion, Gipsmühlenweg 2-4, 37520 Osterode am Harz. Betreff: „Wahldiskussion“.

Bitte schreiben Sie dazu, ob Ihre Frage an alle oder nur an einzelne Kandidaten geht. Bitte teilen Sie uns außerdem mit, ob Sie mit der Nennung Ihres Namens einverstanden sind.

Am Abend der Diskussion haben Sie außerdem die Möglichkeit, Ihre Fragen unter der Nummer (05522) 3170-444 zu stellen. Da wir nur eine Leitung zu Verfügung haben, bitten für eventuelle Wartezeiten um Verständnis.

Die Diskussion wird live auf harzkurier.de und der Facebook-Seite des Harz Kurier übertragen. Auch dort haben Sie über die Kommentar-Spalte die Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Wegen der begrenzten Zeit für die Diskussion behält sich die Redaktion vor, eine Auswahl an Publikumsfragen zu treffen. Ähnliche Fragestellungen werden unter Umständen zusammengefasst.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Niedersächsische Landtagswahl im Wahlkreis 12

Im April hatten wir die Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlkreises 12 (Göttingen/Harz) für die Landtagswahl in kurzen Interviews zu Wort kommen lassen und Ihnen Fragen zur jeweils aktuellen Welle des Niedersachsen-Check gestellt.

Lesen Sie dazu in dem Format:

Ali Abo Hamoud will seiner neuen Heimat Harz etwas zurückgeben

Jannik Föhrke möchte kaum gehörte Stimmen vertreten

Stefan Henkel möchte die ländliche Region stärken

Almut Mackensen möchte Politik für den Harz gestalten

SPD-Kandidat Saade- Für Weltoffenheit und Solidarität