Osterode. Was für den Harz im Wahlprogramm der Sozialdemokraten steht – und an wen es sich richtet.

Die niedersächsische SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine neue Forstpolitik: Ein artenreicher und vielgestaltiger Wald soll entstehen, heißt es da. Und zum Umgang mit Energie: „Alle Maßnahmen zum Einsparen von Energie haben absoluten Vorrang“, vor allem in dünnbesiedelten Gebieten des Landes böte sich für die Wärmeversorgung der Einsatz von Wärmepumpen an.

Das erste stand 1974, das zweite 1982 im Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Der größte Unterschied ist 40 Jahre später wohl, dass sich die Partei nicht mehr traut, die Bürgerinnen und Bürger so forsch zur Mitwirkung aufzufordern: Umweltschutz sei nicht nur Aufgabe der Politik, sondern „eine Aufgabe, für die alle Bürger in hohem Maße mit Verantwortung tragen“, hieß es ‘82. Als Förderer möchte man sich auch heute noch verstehen, das „Fordern“ hat sich als Vokabel unter Gerhard Schröder abgenutzt. Das beweisen die Zahlen: „Fördern“ taucht 54 mal im Programm auf, „fordern“ nur sechs mal – und ist nie an die Bevölkerung gerichtet.

Ein bisschen vermessen klingt es

Die erste Besonderheit des aktuellen SPD-Programms zur niedersächsischen Landtagswahl fällt schon beim Namen auf: Regierungs- und nicht Wahlprogramm nennen die Sozialdemokraten ihre Ideensammlung für die kommenden fünf Jahre.

Klar: Die aktuellen Umfrageergebnisse rechtfertigen durchaus weiterhin einen Führungsanspruch der SPD. Alleine werden sie aber wieder nicht regieren können. Und weil ein Koalitionsvertrag immer die Wahlprogramme aller beteiligten Parteien berücksichtigen muss, wird das „Regierungsprogramm“ so kaum Anwendung finden können.

Ein bisschen vermessen klingt das also, zumal die möglichen Koalitionspartner CDU und Grüne auf Ergebnisse nicht weit hinter der SPD und dementsprechend viel Mitspracherecht hoffen dürfen. Die Idee ein „Regierungsprogramm“ zu schreiben, bevor man gewählt wurde, ist allerdings weder neu noch auf dem Mist der SPD gewachsen: Die niedersächsische CDU macht das seit 1994, die SPD seit 2008.

Online-Diskussion zur Landtagswahl 2022 in Niedersachsen

Am Dienstag, 27. September, veranstalten wir ab 18 Uhr eine digitale Podiumsdiskussion mit den Landtagskandidaten unseres Wahlkreises.

Senden Sie uns gerne Ihre Frage per Mail an redaktion-harzkurier@funkemedien.de oder per Post an Harz Kurier Redaktion, Gipsmühlenweg 2-4, 37520 Osterode am Harz. Betreff: „Wahldiskussion“.

Bitte schreiben Sie dazu, ob Ihre Frage an alle oder nur an einzelne Kandidaten geht. Bitte teilen Sie uns außerdem mit, ob Sie mit der Nennung Ihres Namens einverstanden sind.

Am Abend der Diskussion haben Sie außerdem die Möglichkeit, Ihre Fragen unter der Nummer (05522) 3170-444 zu stellen. Da wir nur eine Leitung zu Verfügung haben, bitten für eventuelle Wartezeiten um Verständnis.

Die Diskussion wird live auf harzkurier.de und der Facebook-Seite des Harz Kurier übertragen. Auch dort haben Sie über die Kommentar-Spalte die Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Wegen der begrenzten Zeit für die Diskussion behält sich die Redaktion vor, eine Auswahl an Publikumsfragen zu treffen. Ähnliche Fragestellungen werden unter Umständen zusammengefasst.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Was steht für die Belange unserer Region im Programm?

Mit 71 Seiten ist das Programm aber erfrischend übersichtlich geraten. Im Gegensatz zu den 212 Seiten der Grünen fassen sich die Roten jedenfalls kurz – wenngleich sie ihr Programm früher auch auf sieben Seiten untergekriegt haben. Was steht aber insbesondere für die Belange unserer Region darin? Der Titel „Fortschritt, der alle mitnimmt“ suggeriert zumindest Fortschritt auch für den Harz. Zweimal taucht er namentlich im Programm auf, beide Male in Verbindung mit der Heide.

Dabei geht es erstens um Tourismus. „Der Klimawandel führt zu einem Umdenken bei den Menschen: lieber mit der Bahn oder dem Elektroauto in den Harz, in die Heide oder an die Nordsee als mit dem Flieger in den Süden. Diesen Trend werden wir nutzen und gemeinsam mit Verbänden und Kommunen Niedersachsen als wachsende Tourismusregion weiter fördern und ausbauen“, sagt die SPD dazu. Wie genau Ausbau und Förderung aussehen sollen, schreibt die Partei nicht. Lediglich die mittelmäßig revolutionäre Idee, sich für „die Einführung des elektronischen Meldescheins bei touristischen Übernachtungen“ einzusetzen. Was für ein sexy Thema, um ausnahmsweise konkret zu werden.

Mit welcher Bahn die Menschen „lieber“ in den Harz kommen als in den Süden zu fliegen, bleibt dagegen unklar – die miese Schienenanbindung der Region steht seit Jahren in der Kritik. Und E-Autos lassen sich weder im National- noch im Naturparkgebiet gut laden, es fehlt an Infrastruktur. Die lässt sich in den geschützten Gebieten auch nicht ohne Weiteres ausbauen. Vor allem letzteres müsste der SPD-Umweltminister eigentlich wissen.

Eine echte Antwort bleibt die SPD schuldig

Zweitens taucht der Harz auf, wenn es um den Erhalt der „prägenden Landschaften“ geht. Mit etwas bösem Willen könnte man hier gleich den Gegensatz zu den touristischen Plänen aufmachen: Wie genau sollen die Schutzgebiete erhalten werden, wenn gleichzeitig der Tourismus ausgebaut werden soll? Das ist kein unlösbares Problem, aber doch die wesentliche Frage für die nähere Zukunft unserer Region. Eine Antwort darauf bleibt das Programm schuldig.

Deutlich häufiger als „Harz“ taucht das Wort „zusammen“ im Programm der SPD auf. Mal als „Zusammenhalt“ oder mal als „Zusammenarbeit“ – an 62 Stellen nimmt die Partei damit wohl Bezug auf ihren Slogan „Fortschritt, der alle mitnimmt“. Alle zusammen, eben. Neu ist das aber nicht. Schon 1963 schrieben die niedersächsischen Sozialdemokraten in ihr Wahlprogramm: „Wir stellen das Gemeinsame über das Trennende“ und bei der letzten Wahl stand „Zusammenhalt“ sogar im Titel. Früher hat dieses abstrakte „zusammen“ vor allem Arbeitnehmer und Beamte gemeint, Kohlekumpel und Lehrer zum Beispiel. Seit die Parteibindung der Wählerinnen und Wähler abnimmt, ist die SPD eine neue Definition für dieses „zusammen“ schuldig. Und weil sie keine findet, adressiert sie mit ihrem Fortschritt jetzt noch schwammiger und einfacher – alle: „Fortschritt, der alle mitnimmt“.

Wer liest das eigentlich?

Damit löst sich unversehens auch ein anderes Problem: Die Frage nämlich, an wen sich so ein 71-seitiges Wahlprogramm eigentlich richtet. Im Grunde ist es eine Bestandsaufnahme in 253.464 Zeichen (kein Scherz), politische Ideen stehen kaum darin (außer der elektronische Meldeschein für touristische Übernachtungen). Es bleibt eher der Eindruck, dass unendlich viel Platz mitteilungsbedürftigen Politikerinnen und Politikern nicht gut tut. Ab und zu sollten sie von Presse oder Wahlvolk eingebremst werden.

Oder sich auf frühere Zeiten besinnen: 1955 kam das Programm der Niedersachsen-SPD mit Stichpunkten auf sechs Seiten aus. Inhaltlich ist das meiste von damals auch heute noch gültig – Wohnungsbau vor allem für Familien mit niedrigem Einkommen, moderne Krankenhäuser, gesunde kommunale Finanzen. Steht alles so oder so ähnlich auch 2022 im Programm. Bleibt bloß die Frage: Entstehen die Probleme immer wieder von neuem oder wurden sie nie richtig gelöst?

Niedersächsische Landtagswahl im Wahlkreis 12

Im April hatten wir die Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlkreises 12 (Göttingen/Harz) für die Landtagswahl in kurzen Interviews zu Wort kommen lassen und Ihnen Fragen zur jeweils aktuellen Welle des Niedersachsen-Check gestellt.

Lesen Sie dazu in dem Format:

Ali Abo Hamoud will seiner neuen Heimat Harz etwas zurückgeben

Jannik Föhrke möchte kaum gehörte Stimmen vertreten

Stefan Henkel möchte die ländliche Region stärken

Almut Mackensen möchte Politik für den Harz gestalten

SPD-Kandidat Saade- Für Weltoffenheit und Solidarität