Tettenborn. Der Ortsheimatpfleger von Tettenborn schreibt zum 8. Mai über die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges und die Auflösung der Konzentrationslager.

Auch 75 Jahre nach Kriegsende gibt es für die heimathistorische Forschung immer noch neue Erkenntnisse. Was passierte in den letzten Tagen des Krieges? Dieser Frage ist der Ortsheimatpfleger von Tettenborn, Burkhard Schmidt, nachgegangen und hat seine Ergebnisse in einem Artikel unserer Zeitung zur Verfügung gestellt:

Anfang April 1945 begann die Auflösung der Konzentrationslager im Südharz – mit Dora bei Nordhausen und deren Außenlager mit Wieda, Osterhagen, Nüxei und Mackenrode. Am 7./8. April 1945 kam es zu einem Maschinenschaden an einer Lokomotive am Bahnhof Tettenborn, die hunderte Häftlinge in nach Bergen-Belsen bringen sollte. Während des Zwangsaufenthalts des Zuges kamen 26 Häftlinge zu Tode und wurden im nahe liegenden Steinbruch verscharrt. Die sterblichen Überreste wurden im April 1960 zufällig von einem Sprengmeister gefunden.

Erst mit dem Herannahen der Alliierten aus südwestlicher Richtung an die Harzfestung und Nordhausen wurden die Dörfer unmittelbar zum Kriegsgebiet. Zu Beginn der Osterferien musste auf Anordnung eines Wehrmachtskommandos ein unterer Klassenraum in der Tettenborner Volksschule geräumt werden. Der Raum diente fortan einer Wehrmachtsabteilung als Quartier. Lehrer Rank hatte als NSDAP-Ortsgruppenleiter den örtlichen Volkssturm zu organisieren.

Am 10. April 1945 waren die Amerikaner bedenklich nah an den Südharz herangerückt. Mit dem Fernglas mussten die älteren Schüler vom Dachboden der Schule aus die Panzereinheiten beobachten und darüber berichten. In der darauffolgenden Nacht legte sich die Bevölkerung nur noch angekleidet schlafen. Nachdem bei Stöckey ein Panzerkampf stattfand, setzte auch bald in Tettenborn der feindliche Beschuss ein: Am frühen Morgen stand der Ort unter Artilleriebeschuss. Zu dieser Zeit befanden sich noch einquartierte Soldaten im Ort. Am 11. April kam es zwischen den letzten beiden verbliebenden Deutschen Soldaten – einem Unteroffizier und einem Obergefreiten – und der anrückenden US-Armee zum Schusswechsel mit Panzerfäusten, sie kamen bei dem einzigen Kriegsgefecht im Dorf ums Leben. Ihre Leichen wurden auf dem Friedhof beigesetzt und nach dem Krieg in ihre Heimatorte umgebettet.

Ab 8.30 Uhr stand der Nachbarort Mackenrode unter Beschuss, kurze Zeit später gab es vor dem Dorf den ersten Granateinschlag. Es folgten weitere. Viele Bewohner flüchteten in das Kellergewölbe der Schule oder in die am Ortsrand liegenden Steinbrüche und Wälder.

Die militärischen Aktivitäten wurden von dem Lehrer Rank hat aus einer Dachluke des Schulgebäudes beobachtet.

Artilleriefeuer zielgerichtet auf den Jungfernstieg

Die Amerikaner mussten Kenntnis über die Stationierung der Wehrmachtseinheit im Dorf gehabt haben, denn der Beschuss der feindlichen Artillerie kam zielgerichtet auf dem Jungfernstieg nieder. Das um die Schule gelegene Dorfzentrum wurde mit Phosphorgranaten beschossen, es kam zu Bränden. Im Kirchturm hatten sich die beiden Hitlerjungen Blanke und Krug als Beobachter eingerichtet und konnten von weitem das Herannahen der Panzer sehen. Ein letzter Anruf des Mackenroder Gastwirtes erreichte die Schule. Die Meldung lautete: „Zunehmendes Panzergerassel und Gefechtstätigkeit aus Richtung Limlingerode-Stöckey!“. Danach wurde die Telefonleitung beschädigt. Rank gab eine Meldung an das Standquartier des Volkssturms auf der Kolonie in der Gastwirtschaft Morich durch. Auf der Kolonie waren bereits einige Tage vorher ein Sprengkommando zur Beseitigung der Brücke eingetroffen. Der Volkssturm hatte angeblich in höherem Auftrag eine Panzersperre vor der Brücke errichtet. Die Bahnbrücke blieb bis in die 1980er Jahre stehen, bevor sie durch eine neue ersetzt wurde.

Am 11. April 1945 herrschte Stille. Erst gegen Mittag hörte man Panzergerassel und Motorengeräusche – und den Ruf eines Feuerwehrmannes: „Sie sind da! Die Amerikaner sind da! Eben fuhren sie im Auto vorbei!“ Die US-Armee kam über die Mackenroder Straße und die Schinderecke ins Dorf.

Hierzu gibt es zahlreiche Schulaufsätze, die 1947 unter dem Thema „Wie die Amerikaner unser Dorf einnahmen“ unter dem Hauptlehrer Saring von Achtklässlern geschrieben wurden. 30 dieser Aufsätze sind noch heute im Original erhalten, sie wurden vom Sohn eines Oberstudienrates in Göttingen gefunden. In den Aufsätzen kann man die damalige Situation nachlesen, in der die Kinder steckten. So wird der Einmarsch von Margot Iser beschrieben: „[...] Schon einige Tage bevor die Amerikaner unseren Ort besetzten, hörten wir das Näherkommen der Front. Am 11. April um halb neun Uhr konnten wir von unserem Garten aus beobachten, wie die nächstliegenden Ortschaften durch Panzerbeschuss brannten. [...] Kaum waren wir im Keller, da waren auch schon die Tiefflieger über unserem Ort. [...] Als der Fliegerbeschuss aufhörte, hörten wir schon das heranrollen der Panzer. [...] Die Panzer kamen voll beladen mit Soldaten bis vors Dorf gefahren, da sprangen die Soldaten ab und nahmen die Gewehre in Anschlag. Nach der Besetzung des Dorfes nahmen sie Häuser in Beschlag und bezogen diese. [...] Aber gleich vom ersten Tage an hatten wir Ausgehverbot von 7 bis 18 Uhr.“

Am folgenden Tag, dem 12. April 1945, um 11.30 Uhr besetzte die US-Armee die Kolonie zunächst bis zur Bahnbrücke. Am 13. April rückten sie weiter nach Bad Sachsa vor. Nach einigen Wochen lösten die Briten ihre Verbündeten am 8. Juli 1945 ab. Am 10./11. Juli 1945 quartierten sich bereits die Russen in der Schule ein und verpflichteten Dorfbewohner zur Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben.

Der Am 6. April begonnene Todesmarsch der Häftlinge der Außenlager endete 19 Tage später unweit von Berlin bei Nauen.

Mehr lesen: Kriegsende im Harz- Wehrmacht sprengte Brücken in Osterode