Bad Lauterberg. Dr. Klaus Winter aus Bad Lauterberg von der Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte für Lepra- und Notgebiete berichtet über die Reise nach Madagaskar

Madagaskar – die viertgrößte Insel der Welt – mit der im Südosten gelegenen Stadt Tolagnaro, einst von französischen Eroberern in Fort Dauphin umbenannt, ist das ferne Ziel von Dr. Klaus Winter aus Bad Lauterberg und Dr. Jürgen Kiehne aus Göttingen. Winter ist der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte für Lepra- und Notgebiete (HDZ), Kiehne sein langjähriger HDZ-Wegbegleiter.

Die beiden wollen die Bedingungen mit eigenen Augen sehen, unter denen die Menschen in Tolagnaro die HDZ-Projekte erleben. Die Stadt ist der Hauptort der Region Anosy der ehemaligen Provinz Toliara. Von hier sind es 1.122 km bis zur Hauptstadt Antananarivo.

Winter und Kiehne stimmen alle Aktivitäten für diesen Aufenthalt mit Maria Damer ab, einer ehrenamtlichen Vermittlerin und Beraterin für soziale Projekte beim „Arbeitskreis – Eine Welt“-Mettingen. Damer lebt seit 2005 zusammen mit dem Entwicklungshelfer Norbert Determann auf Madagaskar.

Zahnärzte unterstützen Ordensschwestern

Winter und Kiehne werden als Besucher der Schwester Louise bekannt gemacht. Sie ist die Generaloberin des Provinzials der Communauté des Filles de la Charité (Genossenschaft der Töchter der christlichen Liebe). Nichts geschieht ohne Schwester Louises Wissen und ihre Zustimmung. Seit der Gründung des Ordens vor etwa 400 Jahren sorgen sich diese Schwestern um Arme und Kranke und um die Ausbildung der Kinder.

Schwester Josiane ist eine der Schwestern in Tsiombe, etwa 180 Kilometer westlich und sieben Stunden Fahrt mit einem Allradauto von Tolagnoro entfernt. Dort lebt und arbeitet sie zusammen mit sechs Mitschwestern.

Schulspeisung in Berenty.
Schulspeisung in Berenty. © Dr. Klaus Winter

Schwester Josiane gelang es im Jahr 2014 zu den Bewohnern des Dorfes Tanambao Sanadampy mit Geduld, Verlässlichkeit, Einsatz, Wissen und Zuwendung eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Durch kontinuierliche Aufklärung und Sensibilisierung haben die Dorfbewohner erkannt, dass ihre Kinder nur eine Chance haben, die Lebensbedingungen zu verbessern, wenn sie lesen, schreiben und rechnen lernen. Das Interesse der Einheimischen stieg daran immer mehr und so bauten sie zwei einfache Klassenräume für die Primärstufe für etwa 70 Kinder. Seitdem unterrichten dort zwei Lehrer, die der Schwesternorden in Sach- und Geldwert bezahlt. Auch alle weiteren Kosten übernimmt der Orden – bisher. Das soll sich künftig ändern: Die Eltern sollen sich je nach Möglichkeit finanziell beteiligen.

HDZ schafft Infrastruktur für Bildungsarbeit

Genau dieses Konzept unterstützt auch das HDZ und finanziert zusätzlich ein Schulgebäude mit fünf Klassenräumen, ein multifunktionales Gebäude, ein Sportplatz, eine Zisterne und WCs für Jungen, Mädchen sowie für Lehrer. Das ganze Ensemble ist ein Pilotprojekt für alle umliegenden Dörfer. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Frauen und Männer sollen angesprochen sein, an Gruppen für die Alphabetisierung, Aufklärung, Gesundheitsfragen – also Bildung im weitesten Sinne – teilzunehmen. So wie die Dorfbewohner das Provisorium selbst gebaut haben, waren sie jetzt auch bereit, Eigenbeteiligungen beim Neubau der Schule aufzubringen.

Winter und Kiehne kommen im Rahmen ihres achttägigen Besuchs nicht umhin, die Einrichtung für einen Kindergarten und eine Schule in Antanimora unter großer Zeremonie zu übergeben. Leider ist der einmotorige Flieger Maule von Entwicklungshelfer Determann nicht einsatzbereit und so müssen die Besucher aus Deutschland eine mehrstündige, strapaziöse Pistenfahrt mit Allradauto und Chauffeur auf sich nehmen.

Zahnprophylaxe in der Schule in Tolagnaro (ehemals Forte Dauphin).
Zahnprophylaxe in der Schule in Tolagnaro (ehemals Forte Dauphin). © Dr. Klaus Winter

In ihrem Gepäck haben sie neben den Einrichtungsgegenständen hunderte Zahnbürsten, Fußbälle, Spanntuch, Malstifte, Luftballons und viele Spielsachen als Geschenke für die Kinder. Die Aufklärung und das Üben der Zahnpflege gehören natürlich zum gemeinsamen Standardprogramm. Dabei treffen Winter und Kiehne zufällig vier junge Studenten-Kolleginnen aus München, die als Dental Volunteers ihren mehrwöchigen Famulatur-Einsatz leisten.

Einer der Höhepunkte der Inspektionsreise ist der Besuch des Leprazentrums in Ampasy. Madagaskar, die rote Insel, ist immer noch von der Lepra betroffen.

Ehemalige Lepra-Patientin mit Handdeformationen.
Ehemalige Lepra-Patientin mit Handdeformationen. © Dr. Klaus Winter

Der Kampf gegen Lepra auf Madagaskar

Das Vorhaben der Weltgesundheitsorganisation, die Lepra auszurotten, ist auf Madagaskar noch lange nicht erreicht. Verstümmelt, verachtet, verstoßen hoffen dort Leprakranken auf Hilfe. Zurecht, denn Lepra ist heilbar.

Die Schwestern vom Communauté des Filles de la Charité sind aufopferungsvolle, geschulte Helferinnen. Sie versorgen die Betroffenen mit Medikamenten, behandeln ihre Wunden, leisten Aufklärung und dies alles auch mit Hilfe des HDZ unter Führung von Dr. Klaus Sürmann, Stiftungsvorsteher aus Göttingen.

Weitere Reiseeindrücke der HDZ-Vertreter

Die beiden HDZ-Vertreter werden nach 48-stündiger Reise bei aufgehender Sonne vom Flughafen in Tolagnaro abgeholt. Die Straßen sind voller Menschen, Autos, Taxis, Tuc-Tucs, Mopeds, Ochsenkarren und Fahrrädern, dazu Lkws, die sich durch die schmalen Wege schlängeln oder zum Parken und Reparieren einen Platz suchen. Besonders zur Rushhour morgens und nachmittags muss man höllisch aufpassen, hier nicht unter die Räder zu geraten. Winter und Kiehne sind froh, die Wahl-Madegassen Damer und Determann an ihrer Seite zu haben.

HDZ-Unterkunft für ehemalige Leprakranke.
HDZ-Unterkunft für ehemalige Leprakranke. © Dr. Klaus Winter

Die Fahrt führt an zahlreichen Märkten vorbei, auf denen jeden Tag die Landbevölkerung die Städter mit Obst, Gemüse, Holzkohle, Bauholz und vielem mehr versorgt. Auf dem Kopf tragend bringen unzählige Menschen, meistens Frauen, diese Produkte mit. Manche nutzen Fahrräder für den Transport, die meistens so beladen sind, dass die Radler bei dem oft starken Wind einen besonders gut ausgeprägten Gleichgewichtssinn benötigen.

Von außen betrachtet scheint es Tolagnaro gut zu gehen. Die Stadt wächst und wächst und überall wird gebaut. An den wichtigen Durchgangsstraßen sind immer weniger Grundstücke zu bekommen. Und so werden von den Zuwanderern auf den Dünen einfache kleinere und aber auch größere Häuser im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut.

Ein riesiger Strandsandbetrieb ist vorhanden, der zu 80 Prozent im Besitz der britischen Rio Tinto Group und zu 20 Prozent der madagassischen Regierung ist. Diese Ilmenit-Ablagerung für die Titanherstellung setzt sich über viele Kilometer entlang der Küste fort.

Veranlasst durch den vielversprechenden Boom siedeln sich immer mehr Arbeitskräfte – auch mit ihren Familien – an. Alle erhoffen sich, am Boom teilzuhaben. Allerdings nimmt die Unzufriedenheit derjenigen zu, die sich durch die Mine und den Staat in der Ausübung ihres eigentlichen Berufes – besonders als Fischer – behindert fühlen.

In Madagaskar leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Und so ist das Stadtbild geprägt von vielen Menschen, für die das tägliche Überleben ein Kampf ist. Die Menschen ernähren sich unter anderem von Raketa, den Früchten der Kaktusfeige, oder von Maniok, Süßkartoffel und Reis und verkaufen Vanille, Pfeffer und Silberschmuck an Touristen.

Strand bei Tolagnaro.
Strand bei Tolagnaro. © Dr. Klaus Winter