Gittelde. Die Dokumente aus den Turmknöpfen erlauben einen Rückblick auf große Baumaßnahmen an den beiden Kirchen in Gittelde im Vorharz.

Vor Kurzem wurde bekannt, dass Bausachverständige am Turm der St. Johanneskirche, insbesondere am Fachwerkaufbau, massive Bauschäden festgestellt haben. Dies soll der Anlass sein, einmal über die großen Bauarbeiten zu berichten, die in den vergangenen Jahrhunderten bis in die jüngste Vergangenheit an den Gittelder Kirchen erfolgt sind.

In der Gittelder Kirchenchronik, dem Güterbuch beider Kirchen (Corpus Bonorum) sowie in den Turmknopf-Dokumenten sind dazu reichlich Hinweise vorhanden. Insbesondere in den Turmknopf-Dokumenten beider Kirchen – also St. Mauritius und St. Johannes – wird immer wieder über den schlechten baulichen Zustand der Kirchen und über die kleinen und großen Bau- und Sanierungsarbeiten ausführlich berichtet. Es ist landesweite Tradition, dass nach durchgeführten Arbeiten die Turmkugeln beziehungsweise Turmknöpfe mit aktuellen Dokumenten ergänzt und so für die Nachwelt erhalten bleiben.

1957: Sanierungs-Arbeiten am Turm der St. Johanneskirche.
1957: Sanierungs-Arbeiten am Turm der St. Johanneskirche. © HK | Archiv Bodo Biegling

1660 - Der Turmbau der St. Johanneskirche

Im ältesten Turmknopf-Dokument von 1660 schreibt der damalige Pastor Andreas Thomae 22 Jahre nach Ende des 30-jährigen Krieges, dass „der kostbare Turm der St. Johanneskirche unter höchster Armut und Drangsal“ von Baumeister Christoph Zapff aus Goslar errichtet wurde. Ob dies der erste Turm oder eine Erneuerung der erstmals 1386 erwähnten Kirche war, ist nicht bekannt.

Turmknopf-Dokumente berichten ständig über große Bauschäden

Aus den Folgejahren gibt es stark verwitterte Turmknopf-Dokumente aus beiden Kirchtürmen, in denen immer wieder über große und kleine Bauschäden zu lesen ist, die durch Sturm und Feuchtigkeit entstanden sind. So gibt es 1711 eine kurze Nachricht, dass der alte Spitzturm der St. Mauritiuskirche wegen Baufälligkeit nach dem Vorbild der St. Johanneskirche neu erbaut wurde. Im Güterbuch der Gittelder Kirchen von 1751 wird wiederum die St. Johanneskirche „nebst Turm als sehr alt und baufällig“ beschrieben, dagegen wird die St. Mauritiuskirche „benebst Turm noch im ziemlichen Stande“ bezeichnet. Das nötige Bauholz für erforderlichen Reparatur- und Bauarbeiten bekamen die Kirchen aufgrund einer alten Bauholz-Gerechtsame aus den herzoglichen Harzforsten. Als Handwerksmeister der ausgeführten Arbeiten wurden wiederkehrend der Gittelder Dachdeckermeister Friedrich Lüders mit Söhnen und der Goslarer Zimmermann und Schieferdecker Christoph Zapps genannt.

1861 – die große Sanierung der St. Mauritiuskirche

Ausführlich wird in einem Turmknopf-Dokument von 1861 über die Sanierung der St. Mauritiuskirche berichtet. Bereits 1840 wurde anlässlich einer Kirchenvisitation vorgeschlagen, die „Untere Kirche“ und die „Obere Kirche“ aufgrund der schlechten Bauzustände abzureißen und eine neue St. Mauritiuskirche zu bauen. Aufgrund „der großen Dürftigkeit der Gemeinde und der Unzulänglichkeit des Kirchenvermögens“ wurde seitens der Kreisdirektion Gandersheim dieser Vorschlag abgelehnt. Daraufhin beschloss der Kirchenvorstand eine grundlegende Sanierung der St. Mauritiuskirche nebst Ausbesserung des Turmes. Nach Erstellung des detaillierten Kostenvoranschlages durch den Kreisbaumeister Bremer, Klärung der Finanzierung durch das Herzogliche Konsistorium Wolfenbüttel, Bereitstellung des erforderlichen Bauholzes aus der Bauholz-Gerechtsame des herzoglichen Forstes und letztlich die Übernahme der Hand- und Spanndienste durch den Gittelder Gemeinderat wurden von allen erforderlichen Stellen die Genehmigung zu dieser großen Sanierung erteilt.

Der Altarraum der St. Mauritiuskirche vor der großen Sanierung von 1960. 
Der Altarraum der St. Mauritiuskirche vor der großen Sanierung von 1960.  © HK | Archiv Bodo Biegling

Im Februar 1859 fand im Tolle’schen Gasthof zum Kronprinz eine Verteilung der Gewerke in Gegenwart des Kirchenvorstandes und aller Handwerksmeister statt. Schon während der ersten Abrissarbeiten im Frühjahr 1859 stellte sich heraus, dass das gesamte Mauerwerk des Kirchenschiffes, bis auf einen schmalen Streifen an der Ostseite, so baufällig war, sodass es abgerissen werden musste. So blieb nur noch das Mauerwerk des Turmes und ein Mauerrest im östlichen Teil der Kirche stehen. Trotz vieler baulicher Schwierigkeiten konnte das Bauvorhaben jedoch fast wie geplant abgeschlossen werden.

In einem Turmknopf-Dokument schreibt Pastor Dankworth: „Sämtlichen Meistern kann das rühmliche Zeugnis nicht versagt werden, dass sie sich ihrer Obliegenheiten bis ins Kleinste mit ausgezeichnetem Eifer, meisterhaften Geschick und feinster Akkuratesse unterzogen haben, wovon auch die weniger sofort in die Augen fallende Arbeit des Schlossermeisters A. Zenker von hier, der das Schloss an der Tür des Haupteinganges, sein Meisterwerk, geliefert hat, überzeugenden Beweis gibt“.

Eine Turmknopfhülse aus Blei vom Turm der St. Johanneskirche.
Eine Turmknopfhülse aus Blei vom Turm der St. Johanneskirche. © HK | Archiv Bodo Biegling

1882 – die St. Johanneskirche ist eine Bauruine

Nach dieser großen Kirchensanierung geriet die St. Johanneskirche zunächst ganz in Vergessenheit. Dazu steht in dem Turmknopf-Dokument von 1882: „Seit längeren Jahren ist in dieser Kirche kein Gottesdienst mehr gehalten worden. Sie wurde nur noch benutzt, als man vor 15 Jahren die Mauritiuskirche restaurierte. Seit der Zeit steht sie verlassen da, ein Denkmal des frommen Sinnes unserer Väter früherer Jahrhunderte“. Zeitgleich ist in einem historischen Zeitungsbericht von 1877 zu lesen: „Die Kirche wird nicht mehr zum Gottesdienst benutzt. Sie macht in ihrem jetzigen ruinenhaften Zustande einen traurigen Eindruck“. Von vielen Einwohnern, insbesondere von den Bewohnern aus Teichhütte, kam jedoch der Wunsch, dass dieses alte ehrwürdige Gebäude zur Abhaltung des Gottesdienstes wieder eingerichtet werden müsste. Der Kirchenvorstand beschloss die völlige Restaurierung der Kirche, zumal am Turm der Kirche schon seit längerer Zeit gebaut wurde. Nachdem die Renovierungsarbeiten auch 1882 kurzfristig begannen, schrieb dazu Pastor Dankworth zuversichtlich: „…und so Gott will, werden sie im nächsten Jahr vollendet sein“.

Durch aufwendige, nicht eingeplante Sanierungsarbeiten und eine schleppende Finanzierung konnte die Einweihung der renovierten Kirche allerdings erst zwanzig Jahre später, am 23. Juli 1903, erfolgen.

Die Turmknöpfe oder Turmkugeln

Seit Jahrhunderten werden öffentliche Gebäude, insbesondere Kirchen und Rathäuser, mit vergoldeten Turmkugeln, auch Turmknöpfe genannt, verziert. Zusätzlich erhalten sie noch eine Wetterfahne oder ein Kreuz als Zierde. Es ist historische Tradition, dass in diesen Turmknöpfen auch historische Aufzeichnungen, Zeitungen oder Münzen aufbewahrt werden, die bei größeren Bauarbeiten geöffnet und ergänzt werden. Sie sind so ein Rückblick in längst vergessene Zeiten und eine große Ergänzung zur Kirchen- und Ortsgeschichte.

Der als skurriler Sonderling in die Gittelder Geschichte eingegangene Apotheker Adolf-Wilhelm Leube verwendete die ihm verliehenen goldenen Medaillen zur Vergoldung der Kirchturmspitzen der beiden Gittelder Kirchen.

1960 – Erneute Grundsanierung der St. Mauritiuskirche

Fast genau 100 Jahre nach der großen Sanierung der St. Mauritiuskirche fand in dieser Kirche ab 1960 erneut eine Grundsanierung wegen großer Feuchtigkeitsschäden, Hausschwammbefall und „allgemeiner Baufälligkeit“ statt. Während der Planungen wurde außerdem eine völlige Neugestaltung des düsteren, mit Holzeinbauten überladenen Kirchenschiffes eingeplant. Es kam zu einer völligen Entkernung des Inneren, bei der alle bisherigen Einbauten entfernt wurden. Beide Emporen im Kirchenschiff, die Emporen und die Sakristei im Querschiff, die hölzerne Wandverkleidung, die Kanzel mit Schalldecke und Treppenaufgang und der alte Holzaltar mussten der Neugestaltung weichen. Der Altarraum wurde abgesenkt und auf eine Sakristei im Querschiff wurde verzichtet. Als weitere Folge wurde eine neue Luftheizung eingebaut, die Orgel völlig erneuert und die Orgelempore vergrößert. Seit dieser Zeit hat auch der wertvolle Flügelaltar aus der St. Johanneskirche seinen neuen Platz in der St. Mauritiuskirche bekommen. Leider ist der aus alten Ansichten bekannte und prägende eiserne Kronleuchter bei den Arbeiten „für immer und unauffindbar verschwunden“. So bekam die Kirche ein völlig neues Aussehen, so wie es der Kirchenbesucher heute wahrnimmt.

Mahnung an spätere Generationen

Neben den ausführlichen Bauberichten berichten und mahnen die Schreiber der Turmknopf-Dokumente auch regelmäßig über dramatische Ereignisse aus der damaligen Zeit, die gleichzeitig mit großen Existenzängsten und Sorgen verbunden waren. Unter anderen Begriffen und größeren Dimensionen sind es die Probleme, die die Menschen auch heute täglich belasten, es sind Hungersnöte durch Wetterkatastrophen, Not durch große Teuerungen und die Hoffnung auf Frieden im Lande.