Herzberg. Im Rahmen des Krimi-Festivals lasen drei Autoren vor voll besetztem Haus im Rittersaal aus ihren Werken.

Vier Tage lang drehte sich im Harz alles um Krimis – an vier Orten in drei Bundesländern kamen Autoren aus dem Krimi- und Thriller-Genre im Rahmen des Mordsharz-Festivals zusammen, um dem Publikum ihre Werke vorzustellen. Neben Wernigerode, wo das Festival eröffnet wurde, Goslar und Nordhausen, fanden auch Lesungen dreier Autoren im Welfenschloss in Herzberg statt.

Warum setzten sich die Mordsharz-Besucher in Herzberg undurchsichtige Augenmasken auf? Es geschah bei der Lesung der Schweizerin Christine Brand, die die Masken an ihre Zuhörer verteilte. Anschließend bekamen sie ein Telefongespräch zu hören, in dem ein Anrufer die Angerufene darum bat, ihm via Smartphone das blaue Hemd herauszusuchen. Dann jedoch ertönen am anderen Ende seltsame Geräusche, die Frau schreit, das Gespräch bricht ab.

Christine Brand las in Herzberg aus ihrem Krimi
Christine Brand las in Herzberg aus ihrem Krimi "Blind". © Christian Dolle | Christian Dolle

Mit dieser Szene beginnt Christine Brands Krimi „Blind“ und sie beschreibt, dass der blinde Nathaniel über die App Be My Eyes eine Sehende um Hilfe bittet und dann zu hören glaubt, wie diese Frau ermordet wird. Leider will die Polizei Nathaniel nicht glauben, so dass er selbst versuchen muss, die Wahrheit herauszufinden. Diese App, so erläuterte die Autorin, gibt es wirklich, auch das reale Vorbild für Nathaniel lernte sie in ihrer Zeit als Journalistin kennen und das Buch entstand, weil sie sich fragte, was wohl passiere, wenn ein blinder Menschen übers Telefon ein Verbrechen mit anhört, ohne Augenzeuge zu sein. Dass sie solche Gedanken hat, habe mit ihrer Kindheit in einem Dorf im Emmental zu tun. „Mein Vater war der Bestatter des Ortes. Daher habe ich in einem Leichenwagen das Autofahren gelernt und habe heute mitunter morbide Fantasien.“ Zu diesen morbiden Fantasien kommt aber auch langjährige Erfahrung als Gerichtsreporterin, so dass ihr Krimi wie auch ihre Lesung sehr plausibel in eine eigentlich unbegreifliche Geschichte entführte.

In die Zeit der Weimarer Republik

Zuvor entführte Gunnar Kunz sein Publikum in die Zeit der Weimarer Republik, also die Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges, in der die Verhältnisse in Berlin unsicher waren, es noch viele alte Verstrickungen gab und manche Menschen sich nach jenen sehnten, die endlich wieder geordnete und stabile Verhältnisse herstellen. Dabei beschreibt der Autor junge Männer, die sich für einen gewissen Adolf Hitler begeistern, Joseph Goebbels taucht im Krimi auf und auch wenn alles historisch genau recherchiert ist, erinnert es in vielen Punkten doch an die heutige Zeit. Das sei natürlich kein Zufall, erläuterte Gunnar Kunz im Interview, er möchte mit seinen Büchern Geschichte so vermitteln, dass sie seine Leser berührt und ihnen auch alltägliche Dinge und Zusammenhänge nahebringt, die in den Geschichtsbüchern nicht auftauchen. Neben seiner Krimireihe, so erzählte er, schreibt er aber auch Kinderbücher, sozusagen als Ausgleich.

Dank dieser Mischung ist „Schwarze Reichswehr“ auch schon der sechste Band und damit, so betonte er mit einem Augenzwinkern, schreibe er sogar schon länger Krimis, die im Berlin der 1920er Jahre spielen, als Kollege Volker Kutscher mit seiner Reihe um Gereon Rath.

Zum Abschluss des langen Krimiabends im Welfenschloss las Marc Elsberg aus seinem Thriller „Gier“, in dem es, wie auch in „Blackout“, in „Zero“ oder in „Helix“ um ein brandaktuelles Thema geht. Ein Nobelpreisträger soll auf einem Wirtschaftskongress eine Rede halten, es kommt jedoch zu einem Unfall, den der Wissenschaftler nicht überlebt und sein offenbar bahnbrechendes Manuskript ist auch noch verschollen.

Was folgt ist zum einen eine rasante Jagd durch Berlin, zum anderen immer wieder auch Teile des Redemanuskripts, das deutlich macht, woran der Kapitalismus unserer Zeit krankt und wie er vor dem Untergang bewahrt werden kann. Auf genau diese Wirtschaftstheorie, die auf Fakten basiert, ging Marc Elsberg dann vortragsartig ein, riss einiges durch ausgewählte Beispiele an und schaffte es damit, die Zuhörer trotz fortgeschrittener Stunde zum Nachdenken zu bringen. So beispielsweise auch mit einer Szene aus dem Roman, in der es um das Spiel Monopoly und seinen Vorgänger geht. Dort heißt es sehr treffend: „Ein Spiel mit vielen Gewinnern passt wohl nicht in unsere Zeit.“ Dabei möchte er eigentlich gar nicht als düsterer Prophet unserer Zeit auftreten, betonte Marc Elsberg, gerade mit diesem neuesten Buch möchte er im Grunde Mut machen, dass es auch anders geht. Denn genau das besage die reale Wissenschaft hinter dem Roman und belege das eindeutig mathematisch. Wie sich das berechnen lässt, muss allerdings jeder selbst recherchieren.

Abschluss in Nordhausen

Seinen Abschluss fand das Festival am Samstag im Tabakspeicher in Nordhausen. Hier ging es gleich mit zwei Autoren los. Edgar Rai und Hans Rath lasen aus ihrem Krimi „Tote haben keine Ferien“, ein Fall für die Bullenbrüder Holger und Charlie, die beide Autoren gerne skurrile Fälle lösen lassen. Diesmal geht es um eine insolvente Brandenburger Airline bzw. den Vorstandsvorsitzenden, der nun Angst vor den gar nicht so erfreuten Reaktionen seiner entlassenen Belegschaft hat. Charlie wird als Personenschützer angeheuert, während Holger eigentlich einen ganz anderen Fall bearbeitet, der aber früher oder später auch zum Klienten seines Bruders führt.

In der Lesung bewiesen Hans Rath und Edgar Rai, dass sie nicht nur zusammen schreiben, sondern auch wunderbar zusammen lesen können. Es war im Grunde ein rasantes Hin und Her, in schneller Abfolge wechselten sie vom einen zum anderen und schafften es dabei sogar noch, ihren Figuren Leben einzuhauchen, so dass beide Autoren ein hoch zufriedenes Publikum zurückließen. Dem widmete sich dann Hazel Frost mit ihrem Thriller „Last Shot“, in dem es deutlich derber, brutaler und schwarzhumoriger zugeht. „Es ist ein sehr wildes Kind“, erläuterte die Autorin, „dementsprechend lange hat es auch gedauert bis mein Verlag dieses Buch veröffentlicht hat.“ Dass sie die Verleger letztlich überzeugen konnte, zahlt sich aber aus, denn all die skurrilen Figuren, die rasante Geschichte und der oft krasse Tonfall sind es in jedem Fall wert. „Wenn du jemanden ficken willst, dann fick ihn richtig“, heißt es an einer Stelle und Hazel Frost machte an diesem Abend auf jeden Fall alles richtig. So las sie immer wieder Szenen vor, die sehr hart und abgebrüht klingen, erläuterte dann aber die Hintergründe und machte damit deutlich, warum sie so schreibt, wie sie schreibt. Beispielsweise nahm sie sich den Tarantino-Film „Pulp Fiction“ als Vorlage für ihre nicht lineare Erzählweise, wodurch eine ungewöhnliche Geschichte mit ganz eigener Dynamik entstand. Inhaltlich erinnert eine von ihr geschriebene Szene an brutale Parkplatzmorde, die es in Frankreich tatsächlich gab, doch möchte Hazel Frost nicht true crime schreiben, sondern rund um ihre sehr abseitigen und damit originellen Figuren etwas ganz Eigenes schaffen. So verlieh sie auch jeder einzelnen Figur eine eigene Stimme, womit sie große Lust auf den Roman machte.

Trauma eines Kommissars

Ingar Johnsrud las beim Mordsharz-Festival in Nordhausen.
Ingar Johnsrud las beim Mordsharz-Festival in Nordhausen. © Christian Dolle | Christian Dolle

Lust auf die Romane von Ingar Johnsrud machte die anschließende Lesung mit dem norwegischen Autor, der als deutsche Stimme Dietmar Wunder mit dabei hatte und zudem die Autorin und Journalistin Margarete von Schwarzkopf, die ihn interviewte. Johnsrud beantwortete viele Fragen zu seinen Thrillern, insbesondere zu seiner Hauptfigur Fredrik, der als Hauptkommissar und Familienvater ein recht geordnetes Leben führte, bevor sein jüngster Sohn bei einem Brand ums Leben kam und dieses Trauma nun sein Handeln bestimmt.

Dietmar Wunder, vor allem als deutsche Stimme von James Bond bekannt, hauchte dem Kommissar Leben ein und ließ dabei auch alle Facetten dieses gebrochenen Charakters aufblitzen. Den knallharten Ermittler stellte er allein durch seine Stimme ebenso plastisch heraus wie den verletzten und von Schuldgefühlen geplagten Vater. Das liegt auch daran, erläuterte der Synchronsprecher, dass er die Szenen nicht einfach nur liest, sondern sie immer wieder als Film vor sich sieht. Das beeindruckte durchaus auch den Autor, der, wie er sagte, durchaus auch filmisch schreibt und sehr viel Wert auf Atmosphäre legt.