Brüssel. Erste Ergebnisse der US-Zwischenwahlen sorgen in Europa für Beruhigung. Aber nicht lange. Stress mit Washington gibt es sowieso schon.

Die ersten Ergebnisse der Midterm-Wahlen in den USA haben am Mittwoch in Brüssel bei der EU und der Nato für Erleichterung gesorgt. Offizielle Stellungnahmen zur Wahl vermieden Brüsseler Amtsträger zwar, um kein diplomatisches Porzellan zu zerschlagen. Doch hinter vorgehaltener Hand war allenthalben Genugtuung zu spüren.

Für das vereinte Europa und ebenso für das transatlantische Verteidigungsbündnis wäre eine „rote Welle“ siegreicher Republikaner und ein Triumph der von Ex-Präsident Donald Trump geförderten Kandidaten ein Grund zur großen Besorgnis gewesen. Die Rückkehr von Trump, dem erklärten EU-Gegner und Nato-Kritiker, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 wäre damit wahrscheinlicher geworden.

Midterms in den USA: Doch kein Schreckensszenario für Europa?

Ein Schreckensszenario für die große Mehrheit der Mitgliedstaaten in der EU und der Nato, das aber nach den Zwischenergebnissen am Mittwoch zunächst verblasste. Dennoch sah man in Brüssel für Entwarnung keinen Grund: Schon mit dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden wird der Stress größer – und längst gibt es Überlegungen, wie sich das vereinte Europa auf eine Rückkehr von Trump vorbereiten kann.

Mit Biden hat sich das Verhältnis zwischen den USA und Europa deutlich entspannt. Der US-Präsident hat in den vergangenen zwei Jahren die von Trump in Zweifel gezogene amerikanische Beistandsgarantie für die Nato-Partner bekräftigt und die Zusammenarbeit in der Allianz verstärkt – seit dem Ukraine-Krieg ist sie noch einmal intensiviert worden. Und auch das Verhältnis zur EU hat Biden deutlich verbessert.

Ärger in Brüssel: Auch Präsident Joe Biden kämpft beim Handel für „America first“

Der Ton ist wieder freundschaftlich, der Umgang respektvoll, sagen beteiligte Beamte der EU-Kommission. Stellenweise gibt es eine sehr enge Abstimmung zwischen Brüssel und Washington – etwa bei der Vorbereitung der westlichen Sanktionen gegen Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Doch bekommt das Bild der Harmonie zunehmend Risse: Biden hat sich bei Handel und Wettbewerb nicht weit von Trump entfernt, es gilt weiter „America first“, wird in Brüssel beklagt.

Bei einer Wahlparty der Republikaner hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem er eine erneute Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump 2024 befürwortet.
Bei einer Wahlparty der Republikaner hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem er eine erneute Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump 2024 befürwortet. © dpa | Rebecca Blackwell

Für ernsthafte Verstimmung in europäischen Hauptstädten sorgen die üppigen US-Subventionen für Unternehmen, die Biden im Sommer in einem „Inflation Reduction Act“ (IRA) versprochen hat. In manchen Fällen winken investitionswilligen Unternehmen in Amerika zehnmal höhere Subventionen als in Europa. Lesen Sie auch: Das bedeutet das Ergebnis der Midterms für Joe Biden

In der EU wird befürchtet, das Gesetz werde europäische Unternehmen zu Produktionsverlagerungen in die USA verleiten – zumal die niedrigen Energiekosten dort ein weiterer Anreiz sind. Biden sauge mit dem IRA Investitionen aus Europa ab, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und spricht von der Gefahr eines „Handelskriegs“. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wirft den USA vor, die industrielle Basis Europas zu gefährden. Schon droht die EU mit einer Klage bei der Welthandelsorganisation (WHO).

Auch nach den Midterms bleibt es für Europa also ungemütlich. Ganz abgesehen von der Aussicht, dass sich die EU absehbar stärker bei der Unterstützung der Ukraine engagieren muss, weil die USA bei ihren Beiträgen auf die Bremse treten dürften.

EU-Außenexperten zu den Midterms: Europas Verhältnis zu USA wird sich weiter ändern

Der Chef-Außenpolitiker des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), meinte zwar, ein massiver Kurswechsel in der Ukraine-Politik Washingtons sei nicht zu erwarten. Die Unterstützung der Ukraine stoße bei Wählern sowohl der Demokraten als auch der Republikaner auf mehrheitliche Zustimmung.

Doch der Chef des Auswärtigen Ausschusses mahnt: „Die Folgen dieser Kongresswahlen sind für uns in Europa nicht zu unterschätzen. Das Gebot der Stunde für uns in Europa heißt: Transatlantisch bleiben und europäischer werden.“ Es sei zu erwarten, dass Präsident Biden künftig zumindest in der Innenpolitik um Mehrheiten kämpfen müsse – für den Fall einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Europa muss sich nach McAllisters Analyse darauf einstellen, dass die USA eine härtere Gangart gegenüber China einschlagen und ihre geopolitische Orientierung in Richtung Indo-Pazifik verstärken – hier schienen beide Parteien einen Konsens gefunden zu haben.

Was die US-Zwischenwahlen für Trump und Biden bedeuten

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    Grünen-Politiker: Wandel im transatlantischen Verhältnis wird sich nach Midterms fortsetzen

    Der Grünen-Außenexperte im EU-Parlament, Reinhard Bütikofer, sagt es ähnlich: „Im transatlantischen Verhältnis folgt aus dieser Wahl keine Disruption, aber ein fortgesetzter Wandel.“

    Auch wenn die Rückkehr Donald Trumps ins Präsidentenamt unrealistischer geworden sei, bleibe doch genug Grund für die EU, sich auf weitere Verschiebungen im Verhältnis zu den USA einzustellen, meint der langjährige Kenner der US-Politik. „Handelspolitisch ist Biden gegenüber der EU konfliktwilliger als Obama je war, und das Konfliktpotenzial nimmt zu.“ Biden werde von den Republikanern dazu gezwungen werden, sich noch mehr als bisher in „innenpolitische Handgemenge“ verwickeln zu lassen.

    „Das behindert seine außenpolitische Handlungsfähigkeit“, meint Bütikofer. Der US-Präsident werde sich auf den Hegemonie-Wettlauf mit China konzentrieren, den Fokus mehr auf die indopazifische Region setzen – während seine starke Unterstützung für die Verteidigung der Ukraine unter Druck komme. Die EU, so Bütikofer, müsse die Ukraine deshalb selbst stärker unterstützen und in anderen Fragen Washington klar machen, dass Partnerschaft und Solidarität keine Einbahnstraße seien.

    Europas blickt mit Sorge auf die US-Präsidentschaftswahl 2024

    Viel sorgenvoller schaut man in Europa aber auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024. Sollte Trump wieder oder ein ähnlich radikal disponierter Republikaner erstmals ins Weiße Haus einziehen, gerät vor allem die Nato in schwere See: In seiner zweiten Amtszeit könnte Donald Trump seine Drohung wahrmachen, den Stecker zu ziehen und die Allianz aufzukündigen, fürchten Nato-Diplomaten.

    Eine neue Eiszeit drohe dann aber auch zwischen Washington und der EU – eine solche US-Regierung wäre auf Anti-Europa-Kurs, analysieren Beamte im Auswärtigen Dienst der EU. Die Befürchtung ist allerdings nicht neu. Dass auf die USA langfristig kein Verlass sei, dass die EU eigenständiger und unabhängiger werden müsse, gilt spätestens seit Bidens überraschend knappem Wahlsieg 2020 als Priorität der europäischen Außenpolitik.

    Kandidatur Trumps wäre Ermutigung für Rechtspopulisten in Europa

    Die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach europäischer Souveränität findet deshalb in der EU längst breite Unterstützung. Allerdings gibt es auch eine kleinere Gegenbewegung. Der ungarische Premier Viktor Orban hat Trump im Sommer auf seinem Anwesen in New Jersey besucht und ihm seine Unterstützung zugesichert.

    Die Regierung in Budapest erklärte anschließend, mit Trumps Präsidentschaft hätten die Beziehungen zwischen USA und Ungarn seinerzeit einen Höhepunkt erreicht: „Wir hoffen, dass wir es noch einmal schaffen.“

    Sollte Trump auch nach den Zwischenwahlen an seinen Plänen für eine erneute Präsidentschaftskandidatur festhalten, werden das Rechtspopulisten in vielen Ländern Europas als Ermutigung verstehen: Orban und seine Freunde hoffen auf Rückenwind aus Amerika zur Europawahl im Frühjahr 2024.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.