Peking. Konzernchef Oliver Blume bezeichnet China als zweite Heimat für VW. Die chinesischen Verhältnisse könnten für uns aber noch zum Problem werden.

Die Auto-Show in Chinas Hauptstadt Peking hat gerade eine halbe Stunde geöffnet, da sind die Messehallen schon brechend voll. Vielerorts schieben sich die Menschen aneinander vorbei. Dabei wirkt der Umgang miteinander robust, aber gar nicht aggressiv. Es wird einfach gegangen, geschoben, gedrängelt, zur Seite geschubst. Wahrscheinlich, weil es in den Städten oftmals eng wird. Und man ist nicht böse, wenn zurückgeschoben, -gedrängelt und zur Seite geschubst wird. Irgendwie muss es halt vorangehen.

Was sofort auffällt: Der Andrang ist größer als etwa auf der Internationalen Automobilausstellung im vergangenen Jahr in München oder auch auf dem Automobilsalon vor Corona in Genf. Das Auto hat in China ganz offensichtlich noch einen anderen Stellenwert – als Symbol für Wohlstand, Status, Freiheit. Das wird auch deutlich auf den Präsentationen der verschiedenen Hersteller. Dort ist das Geschiebe noch größer, dort wird gejubelt und geklatscht.

Das gilt nicht den Autos allein. Als Ralf Brandstätter am Mittwoch den VW-Konzernabend in Peking auf Chinesisch eröffnete, erntete er ebenfalls Jubel und Beifall. Ähnlich erging es Stefan Mecha, Chef der Marke VW in China, der die VW-Präsentation auf der Messe am Donnerstagmorgen ebenfalls auf Chinesisch eröffnete.

Andreas Schweiger berichtet von der Motorshow in Peking

Aktuell läuft in Peking die Motor-Show. Auch für VW und damit für die Region Braunschweig-Wolfsburg sind die Messe und ihre Themen von Bedeutung. Daher ist Andreas Schweiger als Ressortleiter Wirtschaft der Braunschweiger Zeitung für uns live vor Ort und berichtet aus Peking über die neusten Trends, Entwicklungen und Hintergründe.

Das Interesse der Menschen an den Fahrzeugen ist wirklich riesig. Eine kritische Distanz, wie sie in Deutschland gegenüber dem Auto an vielen Stellen immer deutlicher zu spüren ist, fehlt hier auf der Messe. Entsprechend boomt der Markt, entstehen neue Marken. Einige wie BYD haben den Sprung nach Europa geschafft, andere sind hierzulande entweder gar nicht oder allenfalls Kennern bekannt: Skyworth etwa, oder Changan oder Hyper oder Option B oder Aito oder Avatr, oder oder oder.

Fotostrecke: Impressionen von der Auto-Show in Peking

Xpeng zeigt in Peking unter anderem diese futuristische Studie.
Xpeng zeigt in Peking unter anderem diese futuristische Studie. © FMN | Andreas Schweiger
Knalliges Rot, Flügeltüren und eine wuchtige Heckflosse: der SSR von Skyworth.
Knalliges Rot, Flügeltüren und eine wuchtige Heckflosse: der SSR von Skyworth. © FMN | Andreas Schweiger
Ein halber Panzer: der X9, ebenfalls von Xpeng.
Ein halber Panzer: der X9, ebenfalls von Xpeng. © FMN | Andreas Schweiger
Und noch ein Panzer: der Aviator von Lincoln.
Und noch ein Panzer: der Aviator von Lincoln. © FMN | Andreas Schweiger
1/4

Sie alle wollen von dem Wachstum in dem riesigen Land profitieren. Brandstätter beschrieb das Potenzial auf den Punkt: In China lebten 1,4 Milliarden Menschen; die allermeisten von ihnen träumten von einem besseren Leben. Und zu dem gehört – na klar – das Auto. Deshalb hat VW seine „In China, für China“-Strategie gestartet. Sie sieht vor, Autos lokal zu entwickeln und zu produzieren, eingebettet in ein Netzwerk chinesischer Partner und Lieferanten.

VW-Chef Blume mit Bekenntnis: China ist unsere zweite Heimat

Angesichts des Marktpotenzials zeigen sich VW-Manager wie Brandstätter und Mecha China-verliebt. Nicht nur, weil sie ihre Gäste in Landessprache begrüßen. Konzernchef Blume schwärmte in Peking wiederholt öffentlich davon, wie beeindruckt er vom Fleiß, der Leistungsbereitschaft, der Kultur und der Technikbegeisterung der Chinesen sei. China sei für VW eine zweite Heimat, sagte Blume. Was für ein Bekenntnis. Im Gespräch mit Journalisten schränkte er auf Nachfrage jedoch ein, dass dies nicht unbegrenzt gelte. Das Unternehmen handele weltweit nach seinen Werten und Standards, die nicht verhandelbar seien. Das gelte auch für das Werk in Urumqi. In der Region sieht sich die chinesische Staatsführung massiven Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Auch interessant

All die Liebesbekundungen an China kommen natürlich bestens an im Land. Blume und Brandstäter vermitteln schon selbstbewusst und glaubhaft, wie wichtig ihnen der chinesische Markt ist. Das darf nicht verwechselt werden mit plumper Anbiederung. Auch im Gespräch mit anderen VW-Führungskräften wird deutlich, wie sehr sie China und die Mentalität ihrer chinesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzen.

VW-Chinachef Ralf Brandstätter: In China sind die Ansprüche viel höher

weitere Videos

    Ein Wort, dass in diesem Zusammenhang sehr oft fällt, ist „Hunger“. Hunger auf Erfolg, Hunger auf Wohlstand, Hunger auf das Vorankommen. Auf die Situation in Deutschland angesprochen, auf die Diskussion um Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche folgen meist sorgenvolle Blicke. Dazu ein Vergleich, der hierzulande manchen schocken mag: Durchschnittlich 230 Arbeitstage in Deutschland stehen angeblich durchschnittlich 320 in China gegenüber.

    Diese Verhältnisse will hierzulande sicherlich niemand. Aber es muss über diese massiven Verwerfungen gesprochen werden, wenn wir in Deutschland über internationale Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Wohlstandserhalt diskutieren.

    Und noch eine Anmerkung zum Hunger: Weil ich auf der Messe eine Zutrittskarte zu VW-Veranstaltungen mit dem Logo des Autobauers um den Hals baumeln hatte, wurde ich gleich mehrfach von Chinesen angesprochen, die mich für einen VW-Mitarbeiter hielten. Jedes Mal drückten sie mir ihre Adresskarte in die Hand und empfahlen sich als Zulieferer. Das habe ich weder auf den Messen in Frankfurt, in München oder in Genf jemals erlebt.

    Neue VW-Strategie „In China, für China“ wird sichtbar

    Zurück auf die Messe in Peking: Dort bestimmen bei den neuen oder bei uns noch nicht so bekannten Herstellern vor allem vier Autotypen: riesige SUV, riesige SUV-Coupés, riesige Coupés und flache Supersportwagen. Und irgendwie sehen sie in den meisten Fällen alle ziemlich ähnlich aus. Wirkliche Originalität oder Eigenständigkeit sind Mangelware. Einzig Xpeng zeigte eine sehr futuristische Studie. An dem Hersteller, der über eine hohe Software-Kompetenz verfügt, ist VW inzwischen beteiligt.

    Beklatscht und bejubelt wurden bei der Präsentation auch VW-Modelle wie die für China produzierte Version des Tiguan und der Magotan, der ein Passat für den chinesischen Markt ist. Beifall erhielt aber ebenso die Studie ID.Code. Das Auto soll 2026 auf den Markt kommen und über eine Vielzahl digitaler Anwendungen verfügen – dazu gehören selbstredend die bei den Chinesen so beliebten Avatare. Sie kommunizieren, gesteuert von künstlicher Intelligenz, über das Display mit dem Fahrer.

    Vorstellung ID.Code

    weitere Videos

      Auch bei der Präsentation dieser Autos wurde die neue VW-Strategie „In China, für China“ sichtbar. Nicht allein deutsche Manager standen auf der Bühne, sondern noch mehr chinesische, um die Autos in dem für uns scharfen, fast schon militärischen chinesischen Ton zu preisen. In China hat für VW eine neue Zeitrechnung begonnen.

      Transparenz-Hinweis: Dieser Text entstand während einer von VW organisierten Pressereise zur Motorshow in Peking. Die Flugkosten übernimmt Volkswagen, die Beherbergungskosten unsere Zeitung.