Hamburg. Alle neue Entwicklungen von Nivea müssen aufwendige Tests durchlaufen. Wie funktioniert das genau? Ein Besuch in einem Testlabor.

Nadine Schug hat die ­Ärmel hochgekrempelt. Mit ausgestreckten Unterarmen sitzt sie in einem Raum im Beiersdorf-Forschungszen­trum und lässt sich eincremen. Vorher hat Studienkoordinatorin Aileen Sutor eine Hautpartie mit einer Schablone gekennzeichnet und den Feuchtigkeitsgehalt an mehreren Punkten gemessen. Das sind die Basiswerte, die später den Vergleich zwischen gecremten und nicht gecremten Stellen erlauben.

Die Forscher wollen wissen, ob die Creme die Werbeversprechen erfüllt. Um welches Produkt es geht, weiß die Testerin nicht. Auch nicht, ob die ­Creme strapazierte Haut beruhigt und Feuchtigkeit spendet. Ob sie sich danach seidig oder eher samtig anfühlen soll. Das könnte das Urteil beeinflussen.

Nadine Schug kennt das – die 37-jährige Krankenschwester nimmt seit mehr als zehn Jahren regelmäßig an Studien des Hautpflege-Konzerns teil. Jetzt heißt es aber erst mal warten. Auch das kennt sie. Zwei Stunden muss die ­Creme einziehen, bevor die nächste Messreihe erstellt werden kann.

Nivea ist Kernmarke von Beiersdorf

Alle neuen Entwicklungen des Hamburger Kosmetikkonzerns müssen Tests durchlaufen. „Wir überprüfen, ob unsere Produkte richtig für die Konsumenten sind“, sagt Maria Langhals, zu deren Bereich das Probanden-Zentrum gehört. Es geht um Wirksamkeit, Verträglichkeit, Konsistenz und Geruch.

„Alles, was wir auf die Verpackung schreiben, muss nachgewiesen und belegt sein“, so die promovierte Chemikerin. Dabei werden standardisierte ­Verfahren und modernste Technik eingesetzt. 600 Studien mit 16.000 Probanden werden im Jahr in Hamburg durchgeführt. Im gesamten Unternehmen sind es 1750 Testläufe in 13 Ländern mit mehr als 44.000 Teilnehmern.

Stefan F. Heidenreich, Vorstandsvorsitzender der Beiersdorf AG.
Stefan F. Heidenreich, Vorstandsvorsitzender der Beiersdorf AG. © dpa | Lukas Schulze

Babypuder, Anti-Falten-Serum, Deo, Sonnen-Lotion, Duschgel, Shampoo – 200 neue Formeln entwickelt Beiersdorf im Jahr. „Über den Daumen gepeilt erlangt von 20 Versuchen oft nur einer die Marktreife“, sagt Langhals. In diesem Fall geht es um die Überarbeitung einer Hautpflege-Lotion.

Die eigene Forschung gehört zur DNA des Traditionsunternehmens, das vor mehr als 135 Jahren vom Apotheker und Hautforscher Paul C. Beiersdorf gegründet wurde. 1911 wurde unter seinem Nachfolger Oscar Troplowitz gemeinsam mit dem Dermatologen Paul ­Gerson Unna die Nivea-Creme erfunden – die erste Hautcreme, die dank des Emulgators Eucerit industriell gefertigt werden konnte.

Nivea ist bis heute die Kernmarke des Unternehmens – und nahezu unverändert. Die Beiersdorf-Produktpalette ist seitdem auf rund 630 Artikel angewachsen. 1290 Mitarbeiter arbeiten heute in der Forschung und Entwicklung. 2017 investierte der Dax-Konzern 143 Millionen Euro in die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Produkte – wie die Linie „Nivea Q10 plus C“ gegen Hautmüdigkeit und erste Falten oder die Sonnenmilch-Serie „Nivea Sun Protect & Care“, die ein leichteres Auswaschen von Cremeflecken ermöglicht. Parallel betreibt das Unternehmen auch Grundlagenforschung im Bereich der Hautalterung und der Biophotonik, in der Licht für Messverfahren in der Hautdiagnostik eingesetzt wird.

Pool von 300 Testpersonen

Im Hautforschungszentrum arbeiten 600 Forscher und Entwickler. Das Testcenter mit einer Fläche von 1500 Quadratmetern verteilt sich auf drei Stockwerke und hat 80 Mitarbeiter. Im gesamten Bereich herrschen mit einer Temperatur von 21,5 Grad und 45 Prozent Luftfeuchtigkeit standardisierte Bedingungen. An den langen Fluren sind 40 Studienräume.

Ines Teßmann muss in den zweiten Stock. Die 53-Jährige, die eine kleine Catering-Firma betreibt, setzt sich an ein Gerät, das an die Apparaturen beim Augenarzt erinnert. „Ursprünglich kommt die Technik aus der Automobilindustrie und wurde für Qualitätschecks von Oberflächen genutzt“, sagt Martina Kausch, die den Ablauf der Studien managt. Die Beiersdorf-Experten bauten das Gerät in Kooperation mit dem Hersteller so um, dass sich damit jetzt die Tiefe von Augenfalten messen lässt.

Auf dem Monitor erscheint ein Bild, das in verschiedenen Farben den Bereich um die Augen der Hamburgerin stark vergrößert anzeigt. Je blauer die Linien rund um die Augenpartie sind, desto tiefer sind die Falten. Das sieht fast ein bisschen brutal aus.

Nivea testet mithilfe von Testpersonen die eigenen Produkte.
Nivea testet mithilfe von Testpersonen die eigenen Produkte. © imago/Rüdiger Wölk | imago stock&people

„Ich nehme auch an den Studien teil, um die Effekte neuer Produkte auszuprobieren“, sagt Ines Teßmann. Mehrfach hat sie Augencremes getestet, die sie im Schnitt über acht Wochen zwei Mal täglich auftragen musste. Danach wurden die Falten erneut vermessen. „Meistens hat sich danach etwas verbessert“, sagt sie.

Bei Sniff-Tests wird Wirksamkeit von Deos untersucht

Sie gehört zu einem Pool von 3000 Testpersonen, die regelmäßig für Beiersdorf arbeiten. Drei Viertel sind Frauen. „Mich interessiert es, an der Entwicklung neuer Produkte mitzuwirken und sie auszuprobieren“, sagt auch Krankenschwester Schug. Ein weiterer Anreiz ist die Aufwandsentschädigung, die zwischen 20 und 200 Euro pro Studie liegen kann.

Der Aufwand ist unterschiedlich: Mal wird die Testerin für drei Testreihen im Monat gebucht, mal für gar keine. „Es kommt darauf an, welche Studien wir gerade durchführen und welche Personen dazu passen“, sagt ­Rixa Dippe, die für das Studiendesign im Team Eucerin/Hansaplast zuständig ist. Aktuell werden Neurodermitis-Patienten für eine Hautpflege-Serie gesucht.

Die erfahrene Probandin Schug hat schon im Sauna-Hotroom geschwitzt und bei sogenannten Sniff-Tests mitgemacht, um die Wirksamkeit von Deos zu ermitteln. Es gibt auch Dunkelräume, in denen Umwelteinflüsse auf die Haut als Lichtblitze gemessen werden.

Sie war zudem in einem der zwei komplett eingerichteten Badezimmer mit Spezialspiegel, durch den die Testpersonen ähnlich wie bei Polizeiverhören unbemerkt bei der Anwendung von Tiegeln und Tuben beobachtet werden können, um daraus Schlüsse für die Verbesserung von Produkten und Verpackungen zu ziehen.

Testerin Schug cremt seit zehn Jahren nebenberuflich

Hat sie auch mal Bedenken, wenn sie Versuchskaninchen spielt? Nadine Schug schüttelt den Kopf. Schlechte Erfahrungen hat sie noch nie gemacht. Inzwischen ist die Creme an ihren Unterarmen eingezogen, Studienkoordinatorin Sutor macht bereits die nächste Messreihe.

Die Werte für die Hautfeuchtigkeit sind gestiegen. „Das belegt unter anderem die Wirksamkeit des Produkts“, sagt die Wissenschaftlerin. Testerin Schug sagt: „Es fühlt sich im Vergleich zur unbehandelten Stelle deutlich weicher an.“ Wenn sich das im Verlauf der Studie bestätigt, darf auf der Flasche mit dem Hinweis „Spendet lang anhaltend 24 h Feuchtigkeit für samtig weiche Haut“ geworben werden.