Berlin. Dry January – das ist nur was für Boomer, meint unsere Kolumnistin und erinnert an alte Saufgeschichten. Die Gen Z tickt anders.

Der kleine Junge war müde. Er schwitze im Anzug. Die Krawatte drückte auf seinen Kehlkopf. Und dann waren da all diese beseelten Erwachsenen, die ihm zu Ehren gekommen waren, zu seiner Erstkommunion. Es gab Briefumschläge voller Geld, dann eine Rede vom Patenonkel und schließlich kaltes Buffet mit Käseigel, Frikadellen, Wein und Bier.

Ein paar Stunden später: Ein harter Kern an Gästen saß im Wohnzimmer bei Bier und Cognac. Zigarettennebel zog ins Esszimmer, wo der kleine Junge immer noch am Tisch saß. Er war die Hauptperson – von der niemand mehr Notiz nahm.

Bier, Wein – Der kleine Junge trank alles aus

In seinem Gefühl aus Nichtsnutzigkeit und Langeweile stand er auf, strich um den Esstisch, der nur halbherzig abgeräumt war. Die Gläser mit den Resten waren stehen geblieben. Und so nippte er am Weinglas mit den Lippenstiftresten am Rand hier, am Bierglas vom Opa dort. So lange, bis die Mutter kam und sagte: „Ich räum‘ jetzt mal die Gläser ab“. Lesen Sie auch: Alkohol am Arbeitsplatz – So oft sind Beschäftigte krank

Dem kleinen Jungen schwirrte der Kopf, er setzte sich an den Tisch, schloss die Augen, weil die Welt sich drehte. Und dann kotzte er auf die nicht mehr weiße Decke, wo noch die Zahnstocher vom Käseigel lagen und ein paar Weintrauben. „Herbert, der Junge ist betrunken“, rief die Mutter. Dieser Satz wird seit Jahrzehnten auf Familienfeiern überliefert und sorgt dort für beste Stimmung.

Wir Boomer wurden groß mit Alkohol

So war das damals: Wir Boomer wurden groß mit Tabak und Alkohol. Die Eltern qualmten vor dem Fernseher. Der Vater Kette, die Mutter nur ab und zu mit theatralisch gepafften Ringen. In der Garage stand immer eine Kiste Bier.

In dem Vorort, in dem ich aufgewachsen bin, gab es einen Getränkehändler, der wurde gefeiert wie Feinkost Käfer. Ich könnte noch viel erzählen von Schützenfesten, nach denen die Jungs in Vorgärten einschliefen. Von den Müttern, allesamt Hausfrauen, die sich morgens um elf trafen, um mit Faber-Sekt den Kreislauf zu stärken.

Brigitta Stauber ist Autorin der Funke Mediengruppe. Sie schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber ist Autorin der Funke Mediengruppe. Sie schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wir haben heute keine Zeit mehr für den Kreislauf-Sekt. Und wer hat schon eine Kiste Bier zu Hause rumstehen? Mit dem Rauchen haben wir auch schnell wieder aufgehört. Aber Wein trinken wir. Soave, Grüner Veltliner, Pinot Noir. Je höher der Bildungsgrad, habe ich neulich in einer Studie gelesen, desto mehr. Wir Boomer sind eine Trinker-Generation, eingeimpft in frühester Jugend. Lesen Sie auch den Kommentar: Drängt niemanden zum Trinken

Mich nervt das seit Jahrzehnten – und genauso lange bin ich im Januar abstinent, um andere Gewohnheiten zu etablieren. Total gestresst? Da hilft die Laufrunde nachhaltiger beim Runterkommen als das dicke Glas Rotwein. Der Freund feiert einen runden Geburtstag? Ich tanze so lange durch wie nie – und bin am nächsten Morgen fit für den Sonntagsdienst.

Dry January mach ich seit Jahrzehnten: Plötzlich ist das Trend

Seit ein paar Jahren hat mein Januar-Ritual einen Namen und ist totaler Trend: „Dry January“, trockener Januar. Instagram und TikTok laufen über vor Selbstlob („Meine Haut ist so schön, ich kann viel besser schlafen, bin so leistungsstark“), der Weinhändler um die Ecke macht einen Mega-Profit mit alkoholfreiem Winzer-Sekt aus der Pfalz für 15 Euro (ist trocken, hat eine ordentliche Bernsteinfarbe im Glas und perlt im Abgang). Auch interessant: Corona und Sucht – Sorgen ertrinken nicht im Alkohol

Unsere Gen-Z-Kinder finden das total albern. „Ihr seid alle Alkis, wenn ihr euch so einen Monat vornehmen müsst“, sagt unsere Teenie-Tochter und nippt an ihrer Cola. Tatsächlich, so eine andere Studie, saufen die Kids von heute nicht mehr so wie wir früher. Die Generation Z, die so auf die Work-Life-Balance achtet, die jetzt schon von Sabbaticals und Teilzeit redet, die – obwohl erst kurz im Job – schon innerlich kündigt („Quiet Quitting“) und Dienst nach Vorschrift macht, will ihr Leben genießen – und zwar nüchtern.

Und so blicken diese Kinder streng auf die Boomer-Eltern, die es nicht schaffen, sich an die empfohlene Menge Alkohol – ein Gläschen und das nicht mal jeden Tag – zu halten, die immer noch von dem Jungen erzählen, der auf seiner eigenen Erstkommunion die Gläser der Gäste austrinkt. Finden sie nicht lustig. Trinkt nicht, sagen sie. Oder nur selten und dann wenig. Arbeitet nicht so viel. Und dann machen sie eine theatralische Pause, um die Beziehung zwischen den Generationen auf den Kopf zu stellen: „Nehmt euch ein Beispiel an uns“.

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