Berlin. Einsamkeit: Darunter leiden offenbar viele Menschen. Unsere Kolumnistin wäre aber gerne mal allein – und dann doch wieder nicht.

Es kommt extrem selten vor, dass ich mal alleine Zuhause bin und nicht wirklich etwas zu tun habe. Dass ich also erstens frei habe, zweitens kein Bügelberg herumliegt, drittens die Wohnung geputzt ist und viertens eingekauft. Letzte Woche hatte ich ausnahmsweise so einen Tag. Unser Teenie jobbte ganztags im Café, der Gatte war auf Dienstreise.

Zu meinem Glück schien auch noch die Sonne. Also legte ich mich in den Liegestuhl auf dem Balkon und ließ die Herbstsonne auf mein Gesicht scheinen, während rings um mich herum die Kastanienbäume ihre Blätter verloren. Dazu blätterte ich mich durch Frauenzeitschriften und überlegte, ob ich mal wieder zum Frisör soll.

Einsam im Liegestuhl mit einer Frauenzeitschrift

Nach einer Weile fielen mir die fleckigen Blätter der Fetthenne unter meinen Balkonpflanzen auf. Ich checkte dann die gelben Spätsommer-Blüher. Und stellte fest, dass es aus dem Bambus gelbe Blätter regnet. Kurz: Ich hatte schnell wieder etwas zu tun. Ich düngte, schnitt, goss, riss heraus und kaufte neu. Bis ich wieder Zeit hatte, mich zurück in den Liegestuhl zu legen, war die Sonne weg, der Teenie wieder da und der Gatte auch.

Mal länger allein sein, nur für mich, das ist eine stille Sehnsucht, die mich immer wieder erfasst. Der Begriff „Einsamkeit“ ist für mich entsprechend positiv besetzt. Tatsächlich stelle ich allerdings bei der Recherche fest, dass „Einsamkeit“ ein im Internet extrem häufig gesuchter Begriff ist. Und dass Menschen in Regionen wie Berlin, Hamburg oder dem Ruhrgebiet besonders häufig danach suchen.

Schließlich rüttelt mich eine Geschichte auf, die mir unsere Studententochter erzählt. Sie warnte mit ihrer Mitbewohnerin die Nachbarn vor der anstehenden WG-Party. Nun wohnt sie zwar in Kreuzberg, aber nicht in einer Altbauwohnung mit Stuck, abgetretenen Dielen und unverputzten Wänden, sondern in einem Zweckbau aus den 1970er-Jahren, obendrein an einer vierspurigen Straße.

FUNKE-Autorin Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne Frauengold über Frauen, Familie und Gesellschaft
FUNKE-Autorin Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne Frauengold über Frauen, Familie und Gesellschaft © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der Hausflur sieht aus, als sei er seit dem Neubau noch nie renoviert worden. Dafür kostet ihr kleines Zimmer so viel wie im Ruhrgebiet eine Drei-Zimmer-Wohnung. Wer nebenan wohnt – das wussten sie und ihre Mitbewohnerin nicht, als sie klingelten.

WG-Party: Der Nachbar wäre gerne gekommen

Es öffnete ein etwa 40-jähriger Single. Die beiden Studentinnen sagten, es könne am Abend lauter werden, und wenn es ihm zu viel würde, solle er nicht die Polizei rufen, sondern einfach mitfeiern. Der Typ strahlte sie an, sagte, ja, das mache er gerne. Später klingelte er tatsächlich bei ihnen – mit einer Flasche Wein in der Hand.

Er habe Nachtschicht, sagte er, und überreichte den Wein. Falls die Getränke ausgehen. Leider könne er nicht. Aber er habe sich sehr gefreut. Seitdem hat die Tochter den Nachbarn nicht mehr gesehen. „Er muss sehr einsam sein“, mutmaßte sie mir gegenüber.

Wahrscheinlich, dachte ich, und es legte sich ein Schatten auf meinen von mir so positiv besetzten Begriff. Dann fiel mir eine Szene neulich im Wartezimmer beim Hausarzt ein. Ich wollte mir nicht schon wieder Covid einfangen, also hielt ich Abstand und blieb stehen, statt mich zwischen zwei Patienten zu setzen. Dennoch sprach mich ein älterer Herr an.

Er bekomme heute seine fünfte Impfung. Und die Grippe-Impfung. Gürtelrose sei nächste Woche dran. Er zählte mir alle möglichen Nebenwirkungen auf, und ich war entsprechend erschöpft, als er endlich aufgerufen wurde. Was labert der mich voll, dachte ich. Der hat wohl sonst niemanden. Und der Schatten legte sich noch weiter auf die Einsamkeit.

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    Der Nachbar schimpft, ich winke nur noch

    Ich wohne übrigens in einem sogenannten Gartenhaus. Der Bewohner im Vorderhaus links kann mich jeden Tag sehen, wie ich mir den Fahrradhelm aufsetze, bevor ich losfahre. Er sitzt jeden Tag auf seinem Balkon im ersten Stock, in der Nase hat er einen Schlauch. Ich vermute eine schwere Atemwegserkrankung.

    Er mag es nicht, wenn ich mein Rad unter seinen Balkon stelle. Und er schimpft, wenn ich schon auf dem Bürgersteig losfahre, statt das Rad zur Straße zu schieben. Ich habe ihn lange ignoriert. Inzwischen lächle ich ihn an, winke ihm täglich zu. Gestern winkte er zurück und wünschte mir einen schönen Tag.

    Ja, dachte ich, den werde ich haben. Umringt in der Redaktion von Kollegen. Am Abend von der Familie. Dass ich eigentlich nie allein bin, ist schon ok. Wer kann schon alles haben.

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    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.