Wolfsburg. Im großen Interview mit unserer Zeitung zieht der Manager des Wolfsburger Eishockey-Erstligisten ein Fazit der Saison und blickt schon voraus.

Charly Fliegauf ist seit Frühjahr 2007 als Manager des Eishockey-Erstligisten Grizzlys Wolfsburg einer der Architekten des Erfolgs. Mit nur zwei Ausnahmen erreichte der Klub seitdem immer die Qualifikation für die Play-offs, war viermal Vizemeister und verpasste in der abgelaufenen Spielzeit mit 3:4 Siegen im Halbfinale gegen den späteren Meister München nur knapp den Endspiel-Einzug. Im Interview mit unserer Zeitung zieht der 62-Jährige eine ehrliche Saisonbilanz und blickt auf 2023/24 voraus.

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Herr Fliegauf, 2022/23 war bereits Ihre 16. Saison als Grizzlys-Manager.

Ja, unglaublich, wie die Zeit vergeht. Wenn man sieht, wie lange ich schon in Wolfsburg bin ... Ich fühle mich heimisch hier. Es ist einfach rundum perfekt für mich.

Sie haben schon einiges erlebt in Wolfsburg. Neben den sportlichen Erfolgen gab es auch schwierige Situationen wie zum Beispiel 2015 den Fast-Ausstieg von Hauptsponsor VW und die folgenden Einsparungen aufgrund der Diesel-Affäre oder die Corona-Zeit. Aber die abgelaufene Saison mit 82 Spielen in DEL, CHL und Vorbereitung, vielen Ausfällen und den unplanbaren Fällen Pickard und Rakhshani könnte dennoch die anstrengendste und anspruchsvollste für Sie gewesen sein, oder?

Das stimmt. Die Saison hat brutal viel Kraft aus mir herausgesogen. Auch aufgrund meiner privaten Situation. Der Klub und die Arbeit dort haben mir aber über den Tod meiner Frau hinweggeholfen. Die Unterstützung von allen war einfach sensationell. Jeder hat Rücksicht genommen, wenn ich mal schlecht drauf war oder bei der Familie weilte, um gemeinsam mit den Kindern den Verlust meiner Frau zu verarbeiten. Dafür habe ich mich bei jedem Einzelnen bedankt. Dass Sebastian Furchner als neuer Teammanager bei uns einstieg, hat mir zudem wahnsinnig geholfen.

Wie verlief denn sein Einstieg?

Ich habe versucht, ihn an die Hand zu nehmen und ihm alles transparent zu zeigen, was ich mache. Spielergespräche, Scouting, Unterbringung der Familien, Eiszeitenplanung, Organisation der Auswärtsfahrten und so weiter. ,Furchi‘ war schon immer strukturiert in seinem Leben, macht alles mit Akribie und Leidenschaft. Wenn ich mir einen Nachfolger für mich als Grizzlys-Manager irgendwann wünschen dürfte, könnte ich mir keinen besseren vorstellen als ihn. Er macht einen Riesenjob. Wir ergänzen uns perfekt. Seine Anstellung ist ein Paradebeispiel dafür, dass wir uns als Organisation weiterentwickeln.

In der CHL gut verkauft

Die sportliche Bilanz 2022/23 kann sich jedenfalls sehen lassen. Trotz widriger Umstände erreichten die Grizzlys das CHL-Achtelfinale, wurden Fünfter der DEL-Hauptrunde und kamen bis ins Play-off-Halbfinale. Ist das nur möglich gewesen, weil der Klub als große Familie gilt?

Ich denke schon. Wir definieren uns ja auch über den familiären Zusammenhalt. Dazu gehören auch alle Mitarbeiter im Frontoffice, die wieder einmal einen sehr guten Job gemacht haben.

In der CHL wurden die Grizzlys trotz dezimierten Kaders sicher Gruppenzweiter und schieden erst in der K.o.-Runde gegen den späteren Finalisten Lulea aus Schweden aus.

Im Rückspiel war es kurz vor Ende sogar richtig knapp, ehe wir noch ein Tor kassierten. Es hat viel Spaß gemacht, uns wieder international zu messen. Wir haben die Grizzlys, Wolfsburg, VW und das deutsche Eishockey super vertreten.

In der DEL schnitten Sie mit Platz 5 in der Hauptrunde etwas schlechter ab als im Vorjahr mit Rang 3 und schieden dann erneut im Halbfinale gegen München aus. Auf den ersten Blick keine Verbesserung. Aber wäre die Wiederholung des Vorjahreserfolgs unter den genannten Umständen überhaupt möglich gewesen, wenn sich die Mannschaft im zweiten Jahr unter Trainer Mike Stewart nicht doch weiterentwickelt hätte?

Nein, davon bin ich fest überzeugt. Ich denke, dass es in diesem Jahr schwerer war als in der Saison zuvor, ins Halbfinale zu kommen und so nah dran am Finale zu sein. Die Liga war diesmal härter umkämpft. Hinzu kamen unsere Probleme. Chet Pickard beendete im Juni trotz Vertrags seine Karriere, sodass wir spät einen ausländischen Torwart verpflichten mussten. Schon in der Vorbereitung begannen unsere Verletzungsprobleme. Aus dem Schweiz-Trainingslager kamen wir mit sechs Verletzten zurück. Aber die größte Herausforderung war der Fall von Rhett Rakhshani, der Mitte Dezember wegen der Krebserkrankung seiner Frau Shar seine Karriere beendete, um einen Therapieplatz für sie in den USA zu finden. Die ersten vier bis sechs Wochen nach Bekanntwerden war die Erkrankung täglich Thema in der Kabine. Bei allem Mitgefühl mussten wir aber versuchen, eine Normalität hinzubekommen, in der der Fokus auf dem Sportlichen liegt. An dem Schicksalsschlag hätte die Mannschaft zerbrechen können. Stattdessen schweißte er sie noch enger zusammen. Das zeigt den tollen Charakter des Teams. Kompliment auch an die Trainer: Sie haben immer einen Weg gefunden, obwohl wir bis Januar fast nur englische Wochen hatten.

„Top 6 sind unser Anspruch“

Vor zwei Jahren haben Sie mit dem Trainerwechsel von Pat Cortina zu Mike Stewart einen Schnitt gemacht, um wieder stärker zur Grizzlys-Philosophie mit offensivem, attraktivem und aggressivem Arbeiter-Eishockey zurückzufinden. Der Plan ging bisher auf. Welche Entwicklungsziele haben Sie für die neue Saison?

Der Fortschritt sollte da anknüpfen, wo wir jetzt aufgehört haben. Unser Ziel muss es sein, in der Hauptrunde unter die Top 6 zu kommen. Das ist nicht einfach. Wir haben eine gute finanzielle Ausstattung. Wenn es gut läuft, sollten wir eine große Chance haben, dieses erste große Ziel zu erreichen. Was in den Play-offs passiert, kann man schwer vorhersagen. Gerne würde ich Meister werden. Aber man ist von vielen Faktoren abhängig. Jedes Jahr gibt es ein Team, das positiv überrascht, und eines, das negativ überrascht. Ist es dann langweilig, wenn Wolfsburg immer im Halbfinale steht? Ich glaube nicht. Wir haben viele leistungsorientierte Verträge, auch im Sponsoringbereich, von denen wir profitieren, wenn wir weit kommen. Das ist deshalb immer unser Ziel und auch unser Anspruch.

Voraussetzung dafür ist eine abermals starke Mannschaft. Mit Ihrer Kaderplanung sind Sie bereits sehr weit, nicht alle bereits getätigten Neuverpflichtungen haben sie vermeldet. Welchen Positionen gilt noch Ihr Hauptaugenmerk?

Allen voran der Center-Position. Es ist kein Geheimnis, dass wir Tyler Morley gern behalten möchten. Wir haben ihm den roten Teppich ausgerollt, nun müssen wir abwarten, wie er sich entscheidet. Sollte es nicht funktionieren, werden wir den bestmöglichen Spieler für unser Budget holen, da der Spielermarkt momentan noch relativ gut bestückt ist. Ansonsten schauen wir nur noch nach einem ausländischen Top-6-Außenstürmer.

Besonders in der vergangenen Saison hatten Ihre Profis aus dem Ausland im Vergleich zu den meisten Deutschen im Kader wahnsinnig viel Eiszeit und Verantwortung. Wie kam es zu dem ungewöhnlich großen Ungleichgewicht?

In unserer Kaderplanung müssen die ausländischen Spieler für die Produktion zuständig sein. Wir können uns keinen Ehliz, Hager oder Plachta leisten. Wir brauchen gute deutsche Rollenspieler mit Potenzial für fünf bis zehn oder gern auch mehr Tore. Wenn das nicht funktioniert, wie es in der abgelaufenen Saison teilweise der Fall war, muss der Trainer auf die Spieler setzen, die heiß sind und einen Lauf haben. Schließlich muss er die Spiele gewinnen. Am Ende entscheidet jeder Spieler selbst durch Leistung, wie viel Eiszeit und Vertrauen er von den Trainern bekommt. Es gibt bei uns keine Tendenz, einen Spieler zu bevorzugen, weil er einen bestimmten Pass besitzt.

Der Zuschauerzuspruch stieg bei den Grizzlys Wolfsburg wieder aufs Vor-Corona-Niveau an.
Der Zuschauerzuspruch stieg bei den Grizzlys Wolfsburg wieder aufs Vor-Corona-Niveau an. © Grizzlys Wolfsburg/oh | City-Press GmbH

Zuschauer-Rückgewinnung ein Erfolg

Der Erfolg rechtfertigte das Handeln. Apropos Erfolg: Abseits des Sportlichen war eines der Hauptziele sicherlich die Rückgewinnung der Zuschauer nach dem Ende der Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen beim Stadionbesuch. Die 28 Hauptrunden- und sechs Play-off-Heimspiele zusammengenommen, kamen die Grizzlys auf einen erfreulichen Schnitt von 2931 Zuschauern pro Match. Das ist wieder Vor-Corona-Niveau. Dafür ist sicherlich neben den guten Leistungen der Mannschaft auch die Arbeit der Mitarbeiter in der Geschäftsstelle verantwortlich.

Absolut. Es war wichtig, gute Ideen zu haben und Reize zu entwickeln, damit die Leute wieder ins Stadion kommen. Die Zuschauer-Rückgewinnung stand ganz oben auf unserer Agenda. Ein Gefühl zu vermitteln, dass man gern zu den Grizzlys geht. Auch dann, wenn mal ein Heimspiel verloren wurde. Da sind wir wieder auf einem sehr guten Weg, müssen aber immer dranbleiben. Verbessern kann man sich immer in allen Bereichen. Die Gier nach mehr muss jeder verinnerlichen.

Nach dieser wohl anstrengendsten Saison Ihrer Karriere – wie tanken Sie für die nächste Spielzeit auf?

Erst einmal reise ich noch zur WM. Ich versuche aber, viel Zeit mit meinen Kindern und Enkelkindern zu verbringen. Das ist nicht ganz so einfach, da meine Töchter in Berlin, Augsburg beziehungsweise in der Nähe von Karlsruhe leben. Außerdem habe ich wieder mit Training angefangen. Ich gehe laufen und mache ein bisschen Gymnastik und Krafttraining. Ich bin kein Kostverächter, wenn es gutes Essen gibt, lasse das Training in der Saison aber leider oft etwas schleifen. Trotzdem möchte ich lieber „uhu“ sein.

Wieso ein Uhu?

(Lacht) Na, unter hundert Kilo.

Ach so!

Da bin ich jetzt zum Glück schon wieder. Ich trainiere meinen Körper und meine Seele, um wieder gut vorbereitet in die neue Saison zu gehen. Ich erzähle es auch jedem, damit ich den nötigen Druck habe. Die ersten Trainings sind jedoch schlimm. Aber wenn die Rundenzeiten um den Allersee wieder besser werden, weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin (lacht).