Wolfsburg. Schon während der DFL-Proteste gab es Spannungen zwischen Fans und VW-Klub. Jetzt wieder. Wie geht es weiter? Viele Fragen, kaum Antworten.

Seit Sonntagabend ist der VfL Wolfsburg nicht mehr der letzte erstmalige Bundesliga-Meister. Bayer Leverkusen hat mit seiner verdienten Meisterschaft den VW-Klub abgelöst, der es unter Felix Magath 2009 erstmals zu höchsten nationalen Fußball-Ehren gebracht hatte. 15 Jahre ist das Kunststück mittlerweile her, seither holten nur Teams aus München oder Dortmund die Schale. Bis Leverkusen kam und die Bundesliga überrollte. Eine kommentierende Analyse zur Lage in Wolfsburg.

Während der Werksklub aus dem Westen den ersten Titel der Saison klarmachte und im DFB-Pokal sowie in der Europa League noch Chancen auf zwei weitere Erfolge besitzt, steht der Werksklub vom Mittellandkanal vor den Scherben einer Saison. Sportlich ganz in der Nähe des Abgrunds, in der die Angst um sich greift. So langfingerig offenbar, dass sich die beiden übriggebliebenden Geschäftsführer Tim Schumacher und Michael Meeske gezwungen sahen, in einem Schreiben an die Belegschaft den Nebel zu lichten, der sich seit Marcel Schäfers Aus am Mittwoch der Vorwoche verstärkt über den VfL-Standort am Mittellandkanal gelegt hatte.

VfL-Trainer Ralph Hasenhüttl.
VfL-Trainer Ralph Hasenhüttl. © regios24 | Darius Simka

Schumacher und Meeske holten darin nach, was zuvor fahrlässig verpasst worden war: Schäfers Dienste zu würdigen. Der 39-Jährige war am Mittwoch noch mit einer kurz-knappen und daher unwürdigen Pressemitteilung vom Hof gejagt worden. Ohne Chance, sich zu erklären oder zu verabschieden. Eine seiner größten Vereinslegenden an einem halben Tag öffentlich derart zu zerlegen - das hatte schon gewaltige Aussagekraft über das Binnenklima.

Schäfer hätte einen würdevolleren Abschied verdient gehabt. Trotz seiner Entscheidung, den Klub verlassen zu wollen. Er hätte gern im Sommer einen sauberen Übergang gehabt, so ist es zu hören, aber bei Volkswagen kann man in Lagen wie diesen knallhart sein. Solche Bewegungen auf Management-Ebene sind den Entscheidern natürlich nicht fremd. Die Erfahrung aus der Wirtschaft lehrt offenbar: Lieber ein schmerzhafter kurzer Schnitt als die Wunde über Wochen zu strecken.

Ein „Lame-Duck“-Szenario funktioniert nicht, wie Thomas Tuchel zeigt

Der Zeitpunkt der Trennung, das dürfte allen Beteiligten klar sein, hätte nicht schlechter gewählt sein können. Wobei die Entscheidung laut dem Schreiben von Schumacher und Meeske „unumgänglich“ gewesen sei. Die Alternativen versprachen auch keine Erfolgsgewissheit.

Die Trennung im Sommer bekanntgeben und bis dahin weitermachen? In München sieht man an der Personalie Thomas Tuchel, wie so ein „Lame-Duck“-Szenario in die Binsen gehen kann. Die Trennung im Sommer akzeptieren, aber noch bis zum Saisonende unter Verschluss halten? Funktioniert nicht. Eine Nachricht von solcher Tragweite kommt irgendwann zwangsläufig heraus, und dann hätte der VW-Klub die Hoheit und Kontrolle über die Nachricht verloren. So war das abrupte Aus wohl tatsächlich „unumgänglich“.

Der Lackmustest gegen den VfL Bochum steht bevor

Dennoch kann sie eine beträchtliche Sogwirkung entwickeln. Die Folgen sind noch längst nicht absehbar, nicht auf alle Fragen existieren bereits Antworten.

Wie reagiert die Mannschaft, die in Teilen von Schäfers Aus geschockt gewesen sein soll? Das Spiel in Leipzig bei einem deutlich besser besetzten Gegner gab wenig Auskunft über den Ist-Zustand, aber zugleich wenig Anlass zur Hoffnung. Der Lackmustest steht am Samstag an, wenn der VfL Bochum in der VW-Arena antritt. Abstiegskampf in Reinform. Verliert der grün-weiße VfL gegen den blau-weißen, dann besteht die Gefahr, dass ebenjener Sog den VW-Klub herunterzieht. In die Relegation oder noch weiter runter. Kaum auszudenken.

Maximilian Arnold, VfL-Rekordspieler.
Maximilian Arnold, VfL-Rekordspieler. © regios24 | Darius Simka

Wer soll noch an diesen VfL glauben, wenn es selbst Schäfer nicht mehr tut? Er, der in der Causa Niko Kovac über Monate betont hatte, dass es „nur gemeinsam“ geht. Er, der seinen Worten nicht die entsprechenden, sondern die gegensätzlichen Taten folgen lässt, da er schon in der finalen Kovac-Phase mit Leipzig gesprochen haben soll. Er, der wie kein anderer das Gesicht dieses Klubs war, der für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Grün-Weißen stand? Er, der in Windeseile bei Teilen der Fans von einer Legende zu einem Verstoßenen wurde. Ende, Legende. Schäfer muss sich die Fragen und Vorwürfe gefallen lassen. Persönliche Angriffe auf sich und seine Familie muss er allerdings nicht hinnehmen. Das geht zu weit.

Die Schäfer-Personalie jedoch trifft den Klub empfindlich an entscheidenden Stellen. Die zweite Zerreißprobe dieser Saison steht bevor. Erst ging es zwischen Organisierter Fanszene und Klubführung um den Umgang mit dem Investoren-Einstieg in die DFL. Die Manager hatten dafür gestimmt, die Fans hatten sich ein Veto gewünscht. Sie hatten auf Plakaten ihren Unmut zum Ausdruck gebracht über das Investorenmodell, dem sie in Wolfsburg seit vielen Jahren unterliegen. Schon da wollten sie sich lösen. Jetzt verfängt das Thema erneut.

Die Fanszene distanziert sich erneut vom Mutterverein

Ein Plakat hing am Wochenende an der VW-Arena. „Den letzten Rest Hoffnung, Vertrauen und Identität verloren. Radikaler Umbruch und Mitbestimmung jetzt“, stand darauf. Sie begehren erneut auf mit ihrem Wunsch danach, wieder zu den grün-weißen Wurzeln zurückzukehren. Mit weniger Schnickschnack, Show - und VW-Abhängigkeit? Was die nächste Frage aufwirft, auf die es noch keine Antwort gibt.

Was passiert, wenn VW wirklich aussteigt oder zumindest die Zuwendungen noch einmal drastisch reduziert? Dann könnte es vorbei sein mit dem Bundesliga-Fußball in Wolfsburg. Andererseits: Auch mit der VW-Kohle stand der VfL schon mehrfach am Rande der Klippe zur 2. Bundesliga. Jetzt erneut. Die Fragen schallen laut durch Wolfsburg. Die Antworten werden erst nach und nach folgen. Mit möglicherweise unerwartetem Inhalt.

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