Braunschweig. Ermin Bicakcic, Daniel Scherning und Benjamin Kessel haben sich beim Fußball-Zweitligisten hervorgetan - Alle kamen spät im Jahr auf.

Das Fußball-Jahr 2023 neigt sich dem Ende zu. Bei Eintracht Braunschweig war es turbulent. Wie so häufig. Vier unterschiedliche Trainer standen während der zwölf Monate für den Zweitligisten an der Seitenlinie: Michael Schiele, Jens Härtel, Marc Pfitzner und Daniel Scherning. Letzterer hat den freien Fall des Teams gestoppt und in Zusammenarbeit mit Sportdirektor Benjamin Kessel eine emotionale Kehrtwende auf der sportlichen Führungsebene des Klubs hinbekommen. Auf dem Platz und in der Kabine war Ermin Bicakcic dafür hauptverantwortlich. Sie drei sind unsere Gewinner des Eintracht-Jahres.

Ermin Bicakcic: Seine Rückkehr löste erst einmal Euphorie bei den Fans aus, gehörte der Innenverteidiger doch zu jenem Eintracht-Team, das letztmals die blau-gelben Farben in der Bundesliga präsentiert hatte. Und Bicakcic war in der Saison 2013/2014 so stark, dass er gleich in der Beletage bleiben durfte, da sich 1899 Hoffenheim seine Dienste sicherte. Dort im Kraichgau ließ sich der Bosnier nieder, spielte mal häufiger, mal weniger und kam in neun Jahren auf 147 Pflichtspiele. Viele Verletzungen verhinderten mehr Einsätze. Daher war seine Rückkehr-Euphorie auch begleitet von einem dicken Fragezeichen. Wie gut ist Bicakcic noch?

Ermin Bicakcic liefert auf dem Rasen und in der Kabine

Die Antwort folgte prompt: Gut genug, um der Eintracht im Kampf um den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga zu helfen. Nicht nur auf dem Rasen, wo er mit seiner Erfahrung, Einsatzstärke und Qualität überzeugte. Sondern vor allem in der Kabine, wo er seine verunsicherten Mitspieler aus wochenlanger Tristesse riss. Bicakcic wurde in Windeseile zum Gesicht des Teams, das sich mit seiner Führung in der Abwehr zusehends stabilisierte.

In sechs von sieben Spielen stand der 33-Jährige über die vollen 90 Minuten auf dem Rasen und sorgte mit seinem Last-Minute-Treffer zum 3:2-Sieg gegen den VfL Osnabrück für einen emotionalen Höhepunkt dieser Spielrunde. „Ich spüre hier noch die Glut“, sagte Bicakcic zu Beginn seiner zweiten Braunschweiger Amtszeit immer wieder. Kein Wunder, dass er sie spürt: Er hat sie selbst entfacht.

Benjamin Kessel regiert jetzt bei Eintracht Braunschweig.
Benjamin Kessel regiert jetzt bei Eintracht Braunschweig. © regios24 | Sebastian Priebe

Benjamin Kessel: Der Plan der Klubführung mit dem ehemaligen Publikumsliebling war eigentlich klar: Bis Ende 2024 sollte er noch von Peter Vollmann lernen, um dann ab Januar 2025 das Zepter des Sport-Geschäftsführers zu übernehmen. Aber im Spätherbst sahen sich „die Gremien“, wie es bei der Eintracht so schön heißt, gezwungen, den Plan über den Haufen zu werfen, Vollmann sofort freizustellen und Kessel zu befördern. Eine riskante Entscheidung war das allemal, eine mutige zugleich. Und eine richtige?

Die ersten Wochen legen den Schluss nahe, dass Kessel der richtige Mann an der richtigen Stelle ist. Seine erste Pressekonferenz war geprägt von Klarheit, Härte und von dem Fokus auf den Blick nach vorne. Der 36-Jährige überzeugt mit Witz und Intelligenz, doch längst nicht nur auf der weichen Ebene. Auch die ersten harten Fakten seiner noch kurzen Amtszeit sprechen für ihn: Bicakcic zurückzuholen, erwies sich als goldrichtig. Scherning als Härtel-Nachfolger zu installieren ebenso.

Allerdings: Kessels Start als Verantwortlicher für den Sport fiel auch in eine Phase, in der niemand mehr irgendetwas erwartete. Im Dunkeln zu glänzen, ist nicht die ganz große Kunst. Die nächsten großen Bewährungsproben stehen aber schon ins Haus. Der Kader muss im Winter verkleinert und dennoch schon auf den Sommer ausgerichtet werden - zweigleisig, da noch nicht klar ist, in welcher Liga die Eintracht in der kommenden Saison spielen wird. All das wird Kessel weiter herausfordern. Allerdings: Es ist ihm zuzutrauen, die Aufgaben zu lösen. Auch er ist ein Gewinner dieses Eintracht-Jahres.

Daniel Scherning holte drei Siege aus fünf Spielen.
Daniel Scherning holte drei Siege aus fünf Spielen. © Getty Images | Cathrin Mueller

Daniel Scherning: Es kann durchaus vorteilhaft sein, ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Der eigene Plan kann darauf doch viel besser skizziert werden als auf einem bereits vollgekritzelten Papier. Insofern verwundert es nicht, dass Scherning häufig den „Weg“ hervorhebt, den er als Trainer mit dem Eintracht-Team gehen will: Die Spieler sollen in jeder Spielphase ganz genau wissen, was zu tun ist; sie sollen kompakt stehen, aggressiv gegen den Ball arbeiten und dann mit Vollgas umschalten, wenn die Kugel erobert wird. Ein Muster, das in den ersten Wochen schon erstaunlich gut zu erkennen war.

Das 3:2 gegen Osnabrück war Schernings erstes Spiel als Eintracht-Coach. Er war zuvor nur wenige Tage in Braunschweig gewesen und konnte noch gar nicht auf allen Ebenen auf sein Team einwirken. Die Art und Weise, wie der Sieg zustandekam - mit mehreren herausgespielten Treffern und einem Last-Minute-Tor von Bicakcic -, brachte dem neuen Trainer etwas ein, das zuvor lange Zeit verloren schien: Vertrauen. Vor allem das Vertrauen der Spieler.

Daniel Scherning ist schnell in die Köpfe und Beine seiner Spieler gekommen

Die konnten sich gut mit Schernings Plan identifizieren. So gab es zwar noch zwei knappe Niederlagen gegen die Spitzenteams aus Hamburg und Fürth, aber eben auch noch zwei weitere Siege gegen Wiesbaden und Kaiserslautern. Scherning hat dafür den Fußball nicht neu erfunden, er hat auch nicht gezaubert. Er ist nur schnell in die Köpfe und Beine seiner Mannschaft gekommen - und er hatte Erfolgserlebnisse vorzuweisen, die das Zusammenleben immer erleichtern.

Doch die Anfangseuphorie, die ein Trainerwechsel mit sich bringt, ist nach der Winterpause verflogen. Auch Scherning muss beweisen, dass sein Weg nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig der richtige ist. Fürs Erste gehört aber auch der 40-Jährige zu den Eintracht-Gewinnern dieses Jahres.