Göttingen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen nimmt eine 3,7 Millionen Euro teure Großforschungsanlage in Betrieb. Das tut sie.

Die aktuelle Energiekrise sorgt für private und staatliche Einsparungen in allen Bereichen. Und sie zeigt, dass eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern schnellstmöglich erfolgen sollte. Bis 2050 sollen im Rahmen der Energiewende ohnehin Erneuerbare Energien rund 60 Prozent am Brutto-Endenergieverbrauch und 80 Prozent am Brutto-Stromverbrauch ausmachen. Zusätzlich ist die Energieeffizienz deutlich zu erhöhen. Hierbei sind auch umweltfreundlichere Flugzeug- und Kraftwerksturbinen ein wichtiges Mittel. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Göttingen hat kürzlich zur Erforschung dieser Turbinen eine neue Großforschungsanlage vorgestellt. Insgesamt wurden 3,7 Millionen Euro in den „Ringgitterprüfstand“ Göttingen investiert.

Weltweit einmalige Anlage

Beim Ringgitterprüfstand handelt es sich laut DLR um eine weltweit einmalige Anlage, die aeroelastische Phänomene an Turbinen untersuchen kann. Alles, was sich durch die Luft bewegt oder von Luft umströmt wird, wird in Schwingung versetzt – es ist aeroelastisch (nach den griechischen Wörtern für Luft und dehnbar). Somit müssen auch die Schaufeln von Turbinen aeroelastisch untersucht werden. Im Ringgitterprüfstand sind die Turbinenschaufeln in einem kreisförmigen Ring angeordnet wie in realen Turbinen, daher der Name.

Nichtfossile Brennstoffe

Die Fragen, die in der Anlage untersucht werden sollen, sind aktueller denn je: Wie können künftige Flugzeug- und Kraftwerksturbinen umweltfreundlicher werden? Welche Auswirkungen haben dabei neue, leichtere Materialien? Und welche Auswirkungen haben nichtfossile Brennstoffe wie Wasserstoff?

„Das DLR stellt solche einzigartigen Anlagen der Industrie nicht nur ‚zur Verfügung‘, sondern wir gestalten so gemeinsam und aktiv Technologietransfer von der Forschung in die Industrie: Wir können anwendungs- und bedarfsorientiert forschen und unsere Partner können Vorreiter im Markt mit innovativen Produkte werden“, sagt Prof. Karsten Lemmer, Vorstand für Innovation, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturen im DLR.

Die Anlage an sich ist bereits eine nachhaltige Investition, da sie ursprünglich 1976 an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne in der Schweiz in Betrieb genommen wurde und jetzt in Göttingen quasi ein ‚zweites Leben‘ erhält.

Anlage erhält „zweites Leben“

Bereits damals war sie zur Erforschung aeroelastischer Phänomene von Flugzeugtriebwerken im Einsatz und wurde auch von Göttinger Forscherinnen und Forschern genutzt. Nachdem die Universität Lausanne einen Schwerpunktwechsel vollzog, sollte die Anlage verschrottet werden. Die Göttinger Forscher bewahrten sie 2012 vor diesem Schicksal, demontierten sie und transportierten sie auf fünf Sattelschleppern nach Göttingen.

Anschließend wurde die Anlage einem Modernisierungsprogramm unterzogen. Sie musste an den neuen Standort angepasst werden, es gab neue Rohrleitungen, einen neuen Kühler. Außerdem wurden Motor und Kompressor überholt und höhere Strömungsgeschwindigkeiten ermöglicht, die das Einsatzspektrum erhöhen.

Dar­stel­lung ei­nes vir­tu­el­len Trieb­werks.
Dar­stel­lung ei­nes vir­tu­el­len Trieb­werks. © DLR

„Auf dem Weg zum klimaneutralen Fliegen müssen Flugzeuge ihre Effizienz gegenüber heutigen Modellen nochmals verdoppeln. Denn je weniger Energie ein Flugzeug benötigt, umso weniger müssen wir an regenerativer Energie in Form von Strom, Wasserstoff oder nachhaltigem Kerosin für einen Flug bereitstellen. Dafür sind auch deutlich leichtere hocheffiziente Antriebe nötig, die keinerlei Abstriche bei Sicherheit und Zuverlässigkeit machen“, erklärt Dr. Markus Fischer, DLR-Bereichsvorstand Luftfahrt. „Der neu in Göttingen aufgebaute Ringgitterprüfstand wird uns zukünftig ermöglichen, das Zusammenspiel zwischen Luftkräften und Struktur sowie das resultierende Schwingungsverhalten neuartiger Triebwerksschaufeln exakt zu testen. Dabei wollen wir insbesondere auch mit den neuen Testmöglichkeiten untersuchen, wie zukünftige Triebwerke und Triebwerksschaufeln optimal für die Wasserstoffdirektverbrennung ausgelegt werden können.“

Die neue und gleichzeitig alte Forschungsanlage wird von der Industrie sehnsüchtig erwartet – bereits jetzt gibt es zahlreiche Aufträge aus dem Bereich der Luftfahrt- und Kraftwerkindustrie.