Göttingen. Universität Göttingen macht von Möglichkeit, Teil der Bezüge einzubehalten, keinen Gebrauch. Stattdessen gibt es jahrelang das volle Gehalt.

Disziplinarverfahren ziehen sich häufig über mehrere Jahre hin. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der Gesetzgeber eine Norm geschaffen, die einen schonenden Umgang mit Steuergeldern ermöglicht: Disziplinarbehörden können bei Beamten, die vorläufig des Dienstes enthoben worden sind, während des Verfahrens Teile des Gehaltes einbehalten. Während dies bei anderen Behörden gängige Praxis ist, hat die Universität Göttingen gegenüber zwei Professoren darauf verzichtet, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Obwohl es in den beiden immer noch anhängigen Verfahren um schwerwiegende Vorwürfe geht, haben die Professoren jahrelang weiter die vollen Bezüge ausgezahlt bekommen.

Die Disziplinarverfahren richten sich gegen einen früheren Abteilungsleiter der Göttinger Universitätsmedizin und einen früheren Institutsleiter der Forstwissenschaftlichen Fakultät. Gegen beide wurde bereits vor mehreren Jahren eine Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst erhoben. Während der Medizinprofessor in den Göttinger Transplantationsskandal (wir berichteten) verwickelt gewesen sein soll, werden dem Forstwissenschaftler verschiedene körperliche Übergriffe auf Doktorandinnen und eine Labormitarbeiterin vorgeworfen (wir berichteten). Gegen beide Professoren gab es deshalb auch strafrechtliche Ermittlungen.

Das Verfahren gegen den Mediziner ist bereits vor längerer Zeit eingestellt worden, weil die mutmaßlich in seiner Abteilung vorgenommenen Manipulationen zu dem Zeitpunkt noch nicht strafbar waren. Der Forstwissenschaftler musste sich dagegen in diesem Jahr vor dem Landgericht Göttingen verantworten. Der Strafprozess endete im April mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch ein Nebenklagevertreter haben dagegen Revision eingelegt.

Hausverbot und Disziplinarklage

Die Universität hatte nach Bekanntwerden der betreffenden Vorwürfe den Professoren jeweils ein Hausverbot erteilt und die Führung der Dienstgeschäfte verboten. Außerdem leitete sie ein Disziplinarverfahren ein, später folgte die Disziplinarklage. Da bei gleichzeitigen strafrechtlichen Ermittlungen das Disziplinarverfahren erst einmal ausgesetzt wird, vergehen oft Jahre, bis es abgeschlossen werden kann.

Auch hier ist das so: Das Verfahren gegen den Mediziner ist seit Ende 2012 anhängig, das gegen den Forstwissenschaftler seit Sommer 2017; in beiden Fällen ist noch kein Ende abzusehen.

Kein Ende absehbar

Allerdings sind auch schon vor einer rechtskräftigen Entscheidung weitere disziplinarrechtliche Maßnahmen möglich: Wird im Zuge eines Disziplinarverfahrens ein Beamter oder eine Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben, kann die Behörde während des Verfahrens bis zu 50 Prozent der Bezüge einbehalten. Dies ist nach Angaben von Verwaltungsrechtlern bei diversen Behörden gang und gäbe, unter anderem bei der Schulbehörde werde dies in der Regel so gehandhabt. Betroffene können gegen die vorläufige Einbehaltung ihrer Dienstbezüge gerichtlich vorgehen. Das Verwaltungsgericht prüft dann im Eilverfahren, ob die Verfügung gerechtfertigt erscheint oder ausgesetzt werden muss. Das Gericht darf eine solche Maßnahme nur dann aussetzen, wenn es ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit hat.

Die Uni Göttingen hat im Fall der beiden Professoren keinen Gebrauch von dieser disziplinarrechtlichen Möglichkeit gemacht, sondern diesen auch nach Erhebung der Disziplinarklage weiterhin die vollen Bezüge gezahlt. Vor allem im Fall des Medizinprofessors dürfte sich diese Großzügigkeit inzwischen auf einen erheblichen Betrag summiert haben, da seit dessen Suspendierung mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen sind. Wie auch immer die Verfahren ausgehen: Rückgängig machen lassen sich diese Zahlungen nicht mehr.

Uni bekommt kein Geld zurück

Sollte das jeweilige Verfahren damit enden, dass der betreffende Beamte aus dem Dienst entfernt beziehungsweise ihm das Ruhegehalt aberkannt wird, könnte die Universität kein Geld zurückfordern. Würde die Hochschule jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung einen Teil der Bezüge einbehalten, könnte sie diese dann endgültig behalten.

Sollte das Verfahren dagegen so ausgehen, dass die Disziplinarklage abgewiesen oder eine mildere Maßnahme verhängt wird, müsste sie die einbehaltenen Bezüge zurückzahlen.

Inzwischen hat die Universität im Fall des Mediziners einen ersten Etappensieg verbuchen können: Mitte März entschied das Verwaltungsgericht Göttingen, dass dem früheren verbeamteten Professor das Ruhegehalt aberkannt wird. Der 70-Jährige befindet sich seit März 2020 wegen Erreichens der Altersgrenze im gesetzlichen Ruhestand. Nach Ansicht der Richter hat der frühere Chefarzt die ihm obliegenden Dienstpflichten in so schwerwiegender Weise verletzt, dass ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten sei, der eine Aberkennung des Ruhegehalts gebiete. So sei er dafür verantwortlich, dass in 2009 bis 2011 in der von ihm geleiteten Abteilung für Gastroenterologie und Endokrinologie in mindestens elf Fällen Laborwerte von Patienten manipuliert wurden, um deren Chancen auf die Zuteilung eines Spenderorgans zu erhöhen.

Ferner habe der frühere Chefarzt 2006 von der Familie eines Leberpatienten 30.000 Euro ohne Erstellung einer Rechnung gefordert.

Nach Angaben eines Gerichtssprechers wurden die Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Universität grundsätzlich vorläufig einen Teil der Bezüge einbehalten könnte, wenn davon auszugehen sei, dass am Ende des Disziplinarverfahrens die Entfernung aus dem Dienst stehe. Seitens der Universität habe man sich nicht dazu geäußert, warum von dieser Möglichkeit bis dahin kein Gebrauch gemacht worden sei.

Der Sprecher der Göttinger Universitätsmedizin, Stefan Weller, teilte hierzu auf Anfrage mit, dass man nach rechtlicher Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass nur die Dienstgeschäfte, aber nicht die Besoldung hätte entzogen werden können. Bis zu einer Entscheidung in dem Disziplinarverfahren hätten die Bezüge weitergezahlt werden müssen. Bis zum Abschluss des Verfahrens dürfte indes noch einige Zeit ins Land gehen.

Uni gibt keine Auskunft

Laut eines Gerichtssprechers hat der Mediziner gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt, sodass sich nun das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit dem Fall beschäftigen muss. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung könnte die Uni bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts vorläufig einbehalten. Ob die Universität nach dem ersten – zu ihren Gunsten ausgefallenen – Urteil von ihrer bisherigen Praxis abweicht oder ob sie immer noch die vollen Bezüge zahlt, dazu gibt es derzeit keine Auskunft. Man könne zu laufenden Verfahren und internen Vorgängen nichts sagen, erklärte Uni-Sprecher Romas Bielke auf Anfragen.

Im Fall des Forstwissenschaftlers hatte die Hochschule darauf spekuliert, dass das Landgericht Göttingen ein Urteil fällt, das gleichzeitig die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bedeuten würde. Diese Konsequenz tritt automatisch dann ein, wenn ein Beamter wegen einer vorsätzlich begangenen Tat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Das Gericht verhängte jedoch eine niedrigere Strafe von elf Monaten.

Das Disziplinarverfahren gegen den Forstwissenschaftler liegt infolgedessen weiter auf Eis. Stattdessen ist nun der Bundesgerichtshof (BGH) am Zug. Sollte dieser die Revision zurückweisen und die elfmonatige Bewährungsstrafe rechtskräftig werden, würde anschließend das Disziplinarverfahren wieder aufleben. Sollte der BGH das Strafurteil aufheben, gäbe es einen neuen Prozess vor einer anderen Kammer. Hiervon würde dann abhängen, ob und wie es mit dem Disziplinarverfahren weitergeht.

Ob die Uni aufgrund der erstinstanzliche Verurteilung künftig einen Teil der Bezüge des 58-jährigen Wissenschaftlers einbehält, ist nicht bekannt. Die Pressestelle gibt auch hierzu keine Auskünfte.