Katlenburg. Martin Weskott ist als Bücherpastor von Katlenburg bekannt geworden. Er holte in den 1990ern Ost-Bücher von der Müllkippe.

„Bücher weitergeben statt wegwerfen“ lautet das Motto von Pfarrer i.R. Martin Weskott. Er hat federführend die Bücherscheune in Katlenburg initiiert – anfangs, um DDR-Literatur vor der Müllhalde zu retten.

„Die Tür geht auf. Dort steht ein Bursche wie aus einem Märchen. Mit kurzem Körper, langem Bart, kahlem Schädel: Martin Weskott, der evangelische Pfarrer des schmucklosen Dorfs Katlenburg, Niedersachsen, also Westdeutschland, aber in nächster Nähe der alten Grenze mit der inzwischen verschwundenen DDR. Nicht der überwältigend schönen Natur wegen bin ich in dieses Dorf gekommen, nicht wegen einer heilkräftigen Quelle oder eines geheimen Palastes, sondern weil ich weiß, dass Martin Weskott einen Spitznamen hat. Man nennt ihn den Bücherpfarrer ...“ So beschrieb der belgische Schriftsteller Geert van Istendael in seinem 2007 veröffentlichten Buch „Mijn Duitsland –Einsichten in die deutsche Seele von Aachen bis Zwiebelmarkt“ seine erste Begegnung mit Weskott und der Katlenburger Bücherscheune, die über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde.

Mittlerweile ist sie als einziges Exponat aus Westdeutschland Bestandteil der neuen Dauerausstellung „Unsere Geschichte. Diktatur und Demokratie nach 1945“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. „Ich habe im Mai 1991 ein Foto in der Süddeutschen Zeitung gesehen“, erinnert sich Weskott an die Anfänge. Das Foto habe Tausende von Büchern auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei in Leipzig gezeigt. „Ich bin hingefahren, um zu schauen, was für Bücher dort lagen“, erklärt der 67-Jährige, der im Herbst 2018 in den Ruhestand gegangen ist und mittlerweile in der Nähe von Einbeck lebt.

Die Bücher seien „1991 schon vermüllt“ worden – Reclam-Bände, Lyrikbände von Jaroslaw Seifert, „Der vormundschaftliche Staat“ von Rolf Henrich, aber auch ein Band von Stefan Heym mit Essays und Artikeln, unter anderem der Rede, als er aus dem Berliner Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde. Bedeutende Werke bedeutender Schriftsteller sollten nach der Wende auf dem Müll landen. „Daraufhin ist die Rettungsaktion in Gang gekommen“, erzählt Weskott.

Ostbücher von der Müllkippe

Begonnen habe die Aktion mit Ostbüchern, die vor Müllkippen bewahrt wurden. „Ich habe mit denen gesprochen, die für die Müllplätze verantwortlich waren.“ Viele Bücher seien auch in den Tagebau gekippt oder aber zerrissen worden. „Es wurden Millionen vernichtet“, sagt er. „Unsere Aktion hat einiges abschöpfen können.“ Doch es sei wie beim Blick auf einen Eisberg nur die Spitze gewesen. „Wir begreifen uns als alternative Möglichkeit.“ Mit „wir“ meint er die Mitglieder der Gesellschaft zur Förderung von Kultur und Literatur, Träger der Aktion „Bücher weitergeben statt wegwerfen“. Insgesamt helfen 20 Menschen unter anderem bei der Buchannahme, dem Einsortieren und der Vorbereitung von Lesungen. Das Buch ist das langlebigste Speichermedium“, betont Weskott. „Die ganzen digitalen Archive leben doch unter einem Konvertierungstrauma.“ Mit jeder neuen Sprache müsse alles umgewandelt werden. In der digitalen Welt sei alles sehr kurzlebig im Vergleich zum auf Papier geschriebenen Wort.

Die Bücherscheune ist längst kein reines Rettungsprojekt für Ostliteratur mehr. Rund 50.000 Werke finden Besucher auf dem Burgberg in Katlenburg. Die Bandbreite der Themenbereiche reicht von Belletristik über Theologie, Landwirtschaft, Garten, Naturwissenschaften, Medizin, Geschichte und Politik bis zu Sport, Musik und Theater. Aber auch Abteilungen mit Wörter-, Foto-, Koch- sowie Kinder- und Jugendbüchern, Reiseführer und Märchenbücher gibt es. Weskott berichtet von einem Professor des früher in Lindau beheimateten Max-Planck-Institutes für Sonnensystemforschung, der an dem Cassini-Projekt mitarbeitete und in einem Buch über Magnesiumsilikat eine benötigte Mischung gefunden habe. Darüber sei 1996 sogar ein Bericht in der London Times und im New Scientist erschienen.

Überhaupt ist Weskott mit seiner Bücherscheune immer wieder in den Medien vertreten. So sei auch das Leipziger Museum über einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung auf das Projekt aufmerksam geworden. Jetzt hänge dort ein zehn Quadratmeter großes Foto der Bücherscheune neben einem Trabbi.

Weskott hat noch weitere Pläne. Er möchte die Reihe „Müllliteraten lesen“ aufleben lassen. Bereits 150 Mal habe es die Begegnung mit Autoren, „deren Bücher wir auf dem Müll aufgelesen haben“, gegeben. Außerdem möchte der 67-Jährige eine alternative Literaturgeschichte verfassen, aufbauend auf dem Vortrag „Vernachlässigte und übersehene Texte der DDR“, den er 2006 auf der Tagung „Weiterschreiben zur DDR-Literatur nach dem Ende der DDR“ der Universität Erlangen hielt.

Das Büchermagazin in der Scheune auf dem Burgberg in Katlenburg ist jeden Sonntag in der Zeit von 11 bis 13 Uhr geöffnet. Gegen eine Spende kann jeder Bücher, die ihm gefallen, mit nach Hause nehmen.