Berlin. Die Mieten steigen rasant, in den Städten wächst die Angst vor Verdrängung. Politik und Länder müssen die Mieter-Sorgen ernst nehmen.

In mehr als 20 Städten in ganz Deutschland gehen wütende Mieter am Samstag auf die Straßen. Es sind Menschen, die Angst um ihre bisherigen Wohn- und Lebensverhältnisse haben, die ihre Arbeitsplätze nicht mehr erreichen können, weil städtisches Wohnen zum Luxusgut geworden ist. Sie senden ein klares Signal: Schluss mit überteuerten Mieten!

Statt durch die zuletzt recht gute Konjunktur mehr in der Tasche zu haben, bleibt nach der Mietzahlung für viele kaum noch etwas übrig. Das kann und darf so nicht weitergehen.

Enteignungsdebatte hat einen Nerv getroffen

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Demonstrationen gegen zu hohe Mieten. Es hat aber kaum jemanden interessiert. Das ist jetzt anders, denn in Berlin hat eine Initiative einen Weg gefunden, um bei den Politikern von Bund und Ländern Nervosität auszulösen: Sie wollen große Wohnungsunternehmen enteignen. Auch Robert Habeck hält Enteignungen für denkbar.

Die Argumentation ist vordergründig auf dem Grundgesetz aufgebaut. Dort steht, dass Eigentum verpflichtet und eine Enteignung zulässig ist, wenn sie dem „Wohle der Allgemeinheit“ dient. Das Wohl der Allgemeinheit ist aber nicht gegeben, wenn für den Quadratmeter durchschnittlich 18 Euro wie in München gezahlt werden müssen. Das ist schlichtweg Wucher.

Entsprechend ist die Politik verpflichtet, zu handeln. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, rechnen sich die Initiatoren Chancen aus, mit ihrem Volksbegehren Enteignungen Realität werden zu lassen.

Mietwahnsinn - Darum geht s beim Streit um Wohnungs-Enteignungen

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    Enteignen ist nicht die Lösung

    Das kann aber niemand ernsthaft wollen. Denn im Grundgesetz steht auch, dass Eigentum geschützt ist. Das bedeutet, dass eine Enteignung nur dann möglich wäre, wenn die Wohnungsunternehmen im Gegenzug für viel Geld entschädigt werden würden. Die Kosten wären so exorbitant hoch, dass sie kaum ein Bundesland stemmen könnte.

    Noch entscheidender ist aber, dass durch Enteignung keine einzige Wohnung zusätzlich entsteht. Immer noch würden sich Wohnungsbewerber zu Hunderten vor den Türen tummeln. Immobilienkonzerne könnten sich bequem zurücklehnen und den Bau von neuen Wohnungen noch weiter verlangsamen, immer begründet mit der Angst vor möglichen Enteignungen.

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    Staat muss zielgerichteter investieren

    Die einzige Lösung ist Wohnungsbau. Es muss neues Bauland her. Vorhandene Flächen, wie beispielsweise Dachgeschosse, müssen für neue Wohnungen freigegeben werden. Auch müssen Wohnungsunternehmen stärker gefördert werden – für den Bau von Mietwohnungen wohlgemerkt. Denn gebaut wird von privatwirtschaftlichen Unternehmen schon reichlich. Nur dienen viele fertiggestellte Wohnungen eher den Finanzspekulationen denn der tatsächlichen Vermietung.

    Es ist nicht so, als wäre der Staat untätig. 13 Milliarden Euro fließen in dieser Legislaturperiode in den Wohnungsbau. Das freut die neuen Hausbesitzer, die ohnehin gebaut hätten und nun durch das Baukindergeld noch ein nettes Taschengeld erhalten haben. Parallel bastelt der Staat an einer Mietpreisbremse herum, die wirkungslos bleibt, weil sie viel zu wenige Menschen kennen und viele den damit oft verbundenen Rechtsstreit scheuen.

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    Länder müssen ihre Bauordnungen vereinfachen

    Die Schuld dafür, dass es nicht vorangeht, liegt aber auch bei den Ländern. Sie müssen ihre Bauordnungen radikal vereinfachen. Es kann nicht sein, dass die Bauordnungen an die deutsche Kleinstaaterei des 17. Jahrhunderts erinnern. Der Bund kann am besten fördern, wenn es einheitliche Standards gibt, in die das Geld zielgerichtet fließen kann.

    Die bundesweiten Demonstrationen sind ein Denkzettel für die Berliner Politik und für die Regierungen der Länder, der sie an die verfehlte Wohnungspolitik der vergangenen Jahre erinnert.

    (von Tobias Kisling)