Berlin. Deutschland hat eine neue Partei, doch sich abzugrenzen von der AfD wird sehr schwierig. Das zeigt sich schon an einer einzigen Frage.

Wagenknecht geht es am Gründungstag eher darum, ihre Mannschaft vorzustellen. Noch hat das BSW nur 44 Mitglieder, doch schon Mitte der Woche sollen 450 hinzugekommen sein. Das endgültige Parteiprogramm, sagt sie, werde mit denen entwickelt, „die mit den Problemen im Land konfrontiert sind“, frühestens zur Bundestagswahl 2025 soll es fertig sein. Und damit zeigt sich auch Wagenknechts größtes Problem: die knappe Zeit. Schon am 9. Juni will BSW bei der Europawahl antreten. Im September 2024 stehen die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Spätestens dann muss die Wagenknecht-Partei auch ohne detailliertes Programm ein klares Profil haben – und sie muss sich von dem Vorwurf freischwimmen, die AfD zu kopieren.

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Wie schwierig das werden wird, zeigt allein eine Frage, die Wagenknecht inzwischen ordentlich nerven dürfte: Was BSW denn nun sei? Links oder rechts? Die Menschen, wiederholt die ehemalige Linken-Politikerin in routinierter Rede, könnten mit Labels wie links und rechts nicht mehr viel anfangen. Linke Politik sei heute mit anderen Themen besetzt als früher – dem Gendern zum Beispiel. Auch Wagenknecht hat damit offenkundig ein Problem. Stattdessen setze BSW auf mehr soziale Gerechtigkeit, weniger Ungleichheit und außenpolitisch auf Entspannungspolitik. Es sei „aberwitzig, dass Rüstungsexporte in Kriegsgebiete heutzutage als links gelten“, sagt sie. Und meint die deutsche Militärhilfe für die angegriffene Ukraine.

Sicherheit – keine Waffen mehr für die Ukraine

Zwar bemüht sich Wagenknecht, dem Eindruck entgegenzuwirken, die Ukraine dürfe sich nicht gegen den russischen Überfall wehren. Dass das Land den Krieg gewinnen könne, wenn es nur weiterhin durch immer mehr Waffen unterstützt wird, sei aber „leeres Geschwätz“ gewesen, kritisiert die 54-Jährige. Das zeige sich immer deutlicher.

Thomas Geisel, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, wird als Spitzenkandidat der BSW bei der Europawahl antreten.
Thomas Geisel, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, wird als Spitzenkandidat der BSW bei der Europawahl antreten. © DPA Images | Bernd von Jutrczenka

Deutschland sei einer der größten Waffenlieferanten „in einem Krieg, der nicht gewonnen werden kann“, ergänzt der frisch gebackene BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl und einstige Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel. Die Sanktionen schadeten Deutschland mehr als Russland, das BSW stehe für eine Außenpolitik, die auf Frieden und Stabilität setzt. Geht es nach der Wagenknecht-Partei, muss Europa stärker auf eine Verhandlungslösung drängen – notfalls auch, ohne die besetzten Territorien zurückzuerhalten. Genau das, was auch die AfD fordert.

Soziales – keine Subventionen, außer für Bauern

Größere Abgrenzungschancen zur Rechten sieht Wagenknecht beim Thema Rente. Wer sein Leben lang in die Rentenkasse eingezahlt habe, erhalte heute im Schnitt 1445 Euro monatlich. Ein Unding für die Ex-Linke. Statt allerdings wie die AfD auf „privatwirtschaftliche Lösungen“ zu setzen, wolle ihre Partei genau dort mit einem „starken Sozialstaat“ ansetzen. Die Frage, wo der anfängt und aufhört, bringt allerdings ihren Mitstreiter Geisel ins Schlingern. Der will zwar die Axt anlegen bei staatlichen Subventionen – doch die aktuell protestierenden Bauern soll das nicht treffen. Diese stünden „nicht gerade ganz oben auf der Verteilungsskala“, sagt er. Die Botschaft: Subventionen sind okay, solange das Einkommen der Empfänger gering genug ist.

Auch bei der Grundsicherung will BSW einen Widerspruch auflösen. Natürlich müsse der Staat laut Geisel in Not geratenen Menschen helfen, zugleich aber auch Karrieren in Bürgergeld und Schwarzarbeit verhindern. Fabio De Masi, ebenfalls BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl, schlägt zum Beispiel vor, wer lange Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, müsse auch länger geschützt werden. Gerade von jüngeren Erwerbsfähigen fordert der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete stärkere Mitwirkungspflichten.

Migration – Recht auf Asyl, aber andere Verfahren

Grundsätzlich will Wagenknecht nicht am Recht auf Asyl rütteln, natürlich hätten „politisch Verfolgte ein Recht auf Schutz“ in Deutschland, stellt sie klar. Doch die aktuell geltenden Verfahren führten zu unkontrollierter Migration, die Zahl Geflücheteter sei zu hoch – und zugleich entscheide sich die Frage, wer es nach Europa schafft, letztlich nicht am Schutzbedürfnis der Menschen, sondern am Geld. Ihr Rezept gegen die hohen Zuwanderungszahlen sind Asylzentren außerhalb Europas. Wie genau dort künftig die Verfahren aussehen sollen? Unklar. Aber Wagenknecht will mehr in Entwicklungshilfe investieren. „Deutschland muss mehr dafür tun, dass Menschen in ihrer Heimat wieder eine Perspektive haben“, sagt sie.

Sahra Wagenknecht (3.v.l.) und ihre Mannschaft: Christian Leye (l-r), Amira Mohamed Ali, Shervin Haghsheno, Thomas Geisel und Fabio de Masi.
Sahra Wagenknecht (3.v.l.) und ihre Mannschaft: Christian Leye (l-r), Amira Mohamed Ali, Shervin Haghsheno, Thomas Geisel und Fabio de Masi. © DPA Images | Bernd von Jutrczenka

Klima – Heizungsgesetz einmotten, Verbrenner erlauben

Natürlich sei der Klimawandel eine „ernste Herausforderung“, räumt Wagenknecht ein. Allerdings müsse die Debatte darüber mit „mehr Ehrlichkeit“ geführt werden. Deutschland könne das alleine nicht bewältigen. Anstatt am Heizungsgesetz trotz der angespannten Haushaltslage festzuhalten, müsse der Ausbau der Fernwärme vorangetrieben werden. „Das wäre ein viel realistischerer Weg, als in lauter alte Häuser Wärmepumpen einzubauen“, glaubt Wagenknecht. Für die BSW-Vorsitzende sieht die Lösung ganz einfach aus: Was den Kommunen an Geld fehle, um Fernwärmenetze auszubauen, müsse bei Fördermitteln für klimaneutrale Heizungen eingespart werden.

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Auch in der Verkehrspolitik wirft Wagenknecht der Ampel-Regierung vor, falsche Anreize zu setzen: Das geplante Verbrenner-Verbot bis 2035 hält sie für innovationsfeindlich. Es führe lediglich dazu, dass Automobilkonzerne keinerlei Anreiz mehr hätten, verbrauchsärmere Verbrenner zu produzieren. Diese hätten, so sie denn entwickelt worden wären, „ein Verkaufsschlager werden können“, sagt sie. Im Güterverkehr auf E-Mobilität voranzutreiben, hält sie ebenfalls für falsch. Wagenknecht setzt auf die Schiene.

Die BSW-Frontfrau hat sich einiges auf den Zettel genommen – nicht nur thematisch. Wahlkämpfe und Parteistrukturen aufzubauen, bezeichnet sie als „Mammutaufgabe“. Auch deshalb soll die Partei erst einmal nur um solche Mitglieder anwachsen, die einen „konstruktiven Beitrag“ leisten wollen. Wahlkämpfer und Förderer. Einen direkten Wechsel von der AfD zum BSW schließt Wagenknecht aus. Doch das ist mehr ein Appell als ein Grundsatz. Denn eine Aufnahmesperre für bestimmte Menschen verbietet das Parteiengesetz – seien sie rechts oder links oder irgendetwas in der Mitte.