Berlin. Was hilft gegen irreguläre Migration? CDU-Politiker Jens Spahn will notfalls die Verfassung ändern und hat einen Vorschlag für Scholz.

Jens Spahn ist kein Mann der leisen Töne. Harte Worte, klare Positionen – das sei in diesen Tagen wichtiger denn je, gerade in der Asylpolitik, sagt der Vizevorsitzende der Unionsfraktion. Im Interview mit dieser Redaktion macht Spahn dem Bundeskanzler einen Vorschlag – und positioniert sich in der Frage, welcher Unionspolitiker Scholz bei der nächsten Bundestagswahl herausfordern sollte.

Herr Spahn, wie muss man über Asylpolitik reden, damit es nicht am Ende bei der AfD einzahlt?

Jens Spahn: Man muss die Realität beschreiben. Viele wandern deshalb zur AfD ab, weil sie das Gefühl haben, die Realität wird nicht mehr gesehen. Wir müssen beschreiben, was ist – klar in der Sprache, aber frei von Ressentiments und persönlicher Attacke. Ein Beispiel: In Deutschland haben nur knapp 20 Prozent der geflüchteten Ukrainer eine Arbeit, in anderen EU-Ländern sind es über 40 Prozent. Das ist nicht die Schuld der Ukrainer. Es liegt an unserem System, an Strukturen und falschen Anreizen, die wir setzen.

Aus der FDP kommt die Idee, denjenigen Asylsuchenden, für die eigentlich ein anderes EU-Land zuständig wäre, keine Sozialleistungen mehr zu zahlen. Eine gute Idee?

Spahn: Absolut. Wir müssen bei der Höhe der Sozialleistungen unterscheiden in drei Gruppen: Diejenigen, die das Land verlassen müssen, diejenigen, die vorläufigen Schutz genießen und diejenigen, die ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben. Nur die dritte Gruppe sollte die regulären Sozialleistungen bekommen. Um das umzusetzen, muss man die bestehenden Spielräume voll ausnutzen und notfalls auch die Verfassung ändern.

Wie?

Spahn: Nach einer gewissen Zeit werden aktuell selbst ausreisepflichtige Ausländer gleichgestellt mit Bürgergeld-Empfängern. Das ist die Rechtslage. Wenn sich die Welt verändert, muss man aber auch die Regeln anpassen. Unser Grundrecht auf Asyl war nicht auf die heutige Form der irregulären Massenmigration ausgelegt.

Wollen Sie das Asyl-Grundrecht kippen?

Spahn: Nein. Damit wäre zudem faktisch nichts gewonnen. Bereits jetzt gilt: Wer aus sicheren Drittstaaten kommt, hat laut Grundgesetz kein Recht auf Asyl. Helfen würde etwas anderes: Wir müssen dieses sinnvolle Prinzip auf ganz Europa ausdehnen. Wer aus sicheren Staaten außerhalb der EU einreist, hat in Europa grundsätzlich kein Recht mehr auf Asyl. Die EU müsste zudem Asylverfahren an den Außengrenzen organisieren und sicherstellen, dass die Menschen außerhalb der EU in Schutz und Obhut leben können.

Sie haben vorgeschlagen, Migranten ohne Einreisegrund „mit physischer Gewalt“ an der Grenze zurückzuweisen. Wie muss man sich das vorstellen? Bundespolizei mit Schlagstöcken?

Spahn: Es geht um eine Selbstverständlichkeit: Staatsgewalt ist das Durchsetzen des geltenden Rechts. Wenn jemand bei der Passkontrolle einfach durchrennen will, wird er aufgehalten. Wenn wir an der EU-Grenze gegenüber bestimmten Migranten Nein sagen wollen, dann müssen wir das Nein auch durchsetzen. Deswegen werden Zäune gebaut und mithilfe der Grenzschutzpolizei gesichert.

Gewaltsame Zurückweisungen an den europäischen Außengrenzen sind juristisch heikel. Systematische „Pushbacks“ vertragen sich nicht mit EU-Recht. Was schlagen Sie konkret vor?

Spahn: Wir müssen Menschen, die ohne Einreiseerlaubnis nach Europa gelangt sind, auf die andere Seite der Grenze zurückbringen. Das ist hart, aber man muss es so aussprechen. Für die europäischen Demokratien ist die Kontrolle über irreguläre Migration eine Existenzfrage. Wenn bis zur Europawahl 2024 oder zur Bundestagswahl 2025 das Thema immer noch ungelöst ist und die Zahlen weiterhin zu hoch, dann werden wir das an den Wahlergebnissen für die demokratischen Parteien sehen.

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Sie wollen Europa also komplett abriegeln?

Spahn: Es geht darum, Migration nach Ordnung und Humanität zu regeln und das Recht des Stärkeren zu beenden. Dazu braucht es kontrollierte und gesicherte Land- und Seegrenzen: Dazu gehören Grenzzäune von Polen über Rumänien und Bulgarien bis nach Griechenland. Auch das herzzerreißende Sterben im Mittelmeer muss enden. Wenn wir konsequent alle, die über das Mittelmeer kommen, zurück an die nordafrikanische Küste bringen, wird niemand mehr tausende Euro für die Schleuser zahlen, niemand wird sich mehr auch diesen gefährlichen Weg machen. Das Geschäft der skrupellosen Schleuser wäre endlich kaputt. Dafür brauchen wir Partner in Nordafrika.

Beim Spitzentreffen von Bund und Ländern am kommenden Montag entscheidet sich, wie es in der Migrationspolitik weitergeht. Welches Ergebnis wünschen Sie sich?

Spahn: Erstens deutlich mehr finanzielle Unterstützung für die Länder und Kommunen. Zweitens einen gesetzlichen Mechanismus, bei dem Länder mit einer Asyl-Anerkennungsquote von unter fünf Prozent automatisch als sichere Herkunftsländer behandelt werden. Drittens die Möglichkeit, zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Viertens die Einführung einer Bezahlkarte – und damit die Reduzierung der Bargeldzahlungen.

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Für das alles braucht der Kanzler die Union nicht. Glauben Sie trotzdem noch an eine gemeinsame Asylpolitik von Ampel und Union? Oder ist der viel beschworene Deutschlandpakt nur Wunschdenken?

Spahn: Wir haben eine Verantwortung, Überforderung zu vermeiden. Sonst können wir niemandem mehr helfen. Die Schlüsselfrage ist daher die Begrenzung der Migration. Die lässt sich nur erreichen, wenn auch Gesetze im Bundestag und in der EU geändert werden. Wir brauchen eine spürbare Absenkung der Sozialleistungen für bestimmte Migrantengruppen. Und die Ampel-Regierung muss bereit sein, sich für Asylverfahren an den Außengrenzen und Schutzzonen außerhalb der EU einzusetzen. Die Grünen müssten da noch einen weiten Weg gehen. Deswegen sagen wir ja: Herr Bundeskanzler, im Zweifel muss es in diesen Fragen ohne die Grünen gehen.

Setzen Sie darauf, dass Kanzler Olaf Scholz die Koalition platzen lässt, um mit Friedrich Merz weiterzumachen?

Spahn: Darum geht es nicht. Wenn dieser Regierung die Kraft fehlt, das Notwendige zu tun, stellen sich ganz andere Fragen. Der Kanzler kann zudem einzelne Abstimmungen freigeben. So wie zu Beginn dieser Wahlperiode bei der Impfpflicht, als Olaf Scholz keine Mehrheit in der eigenen Koalition hatte. Die Begrenzung der irregulären Migration ist deutlich entscheidender für die Zukunft unseres Landes. Im Bundestag gibt es in der demokratischen Mitte mit großer Sicherheit eine breite Mehrheit für unsere Vorschläge.

CDU-Chef Friedrich Merz:  Wird er der nächste Kanzlerkandidat der Union?
CDU-Chef Friedrich Merz: Wird er der nächste Kanzlerkandidat der Union? © dpa | Moritz Frankenberg

Sind sie ganz und gar zufrieden mit Parteichef Merz? Ist Zuspitzung und Polarisierung der richtige Kurs?

Spahn: Ja, sehr zufrieden. Unser Profil ist klar, wir sind geschlossen und erfolgreich. Wir sind mit Friedrich Merz an der Spitze auf einem sehr guten Weg.

NameFriedrich Merz
Geburtsdatum11. November 1955
AmtCDU-Vorsitzender
ParteiCDU
Parteimitglied seit1972
FamilienstandVerheiratet, drei Kinder
Größe1,98 Meter
WohnortArnsberg

Die Union hat mehrere mögliche Kanzlerkandidaten in ihren Reihen. Wem trauen Sie am ehesten zu, Olaf Scholz erfolgreich herauszufordern?

Spahn: Das Wichtigste ist: Wenn alle mithelfen, dass wir 2025 den Kanzler ablösen, dann werden wir es schaffen.

Auch ohne Merz?

Spahn: Wenn Friedrich Merz Kanzlerkandidat werden will, dann hat er als CDU-Chef das erste Zugriffsrecht.

Wann ist der beste Zeitpunkt, um die K-Frage zu klären? Nach den Ost-Wahlen im Herbst?

Spahn: Friedrich Merz und Markus Söder werden zu gegebener Zeit einen Vorschlag machen. Als nächsten Schritt werden wir im Mai beim CDU-Bundesparteitag unseren Parteivorsitzenden neu wählen.

Das wäre nach heutigem Stand Friedrich Merz.

Spahn: Davon gehe ich aus.

Fürs Protokoll: Sie werfen Ihren Hut nicht in den Ring?

Spahn: Nein.

NameChristlich-Soziale Union in Bayern (CSU)
Gründung13. Oktober 1945
IdeologieChristdemokratie, Konservatismus, Regionalismus, Europäische Integration
VorsitzenderMarkus Söder (Stand: Dezember 2023)
Fraktionsstärke45 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Dezember 2023)
Bekannte MitgliederAlexander Dobrindt, Andreas Scheuer, Horst Seehofer