Berlin. In Berlin schaut man heute genau auf die Wahl in Niedersachsen. Denn nicht nur für die Partei des Kanzlers steht einiges auf dem Spiel.

Die Wahl in Niedersachsen am heutigen Sonntag steht am Ende eines Sommers, der von Krisen geprägt war, und vor einem Winter, den viele Menschen fürchten. Das werden wohl auch die Wahlergebnisse widerspiegeln – in Berlin schaut man deshalb genau hin, wie die Niedersächsinnen und -sachsen abstimmen. Was die Wahl für die Parteien im Bund bedeutet:

SPD: Wenig zu gewinnen, viel zu verlieren

Als die Sozialdemokraten zu Jahresbeginn auf den Wahlkalender blickten, galt ihnen eins als sicher: Sie werden 2022 mit einem Sieg abschließen. Die Wiederwahl von Ministerpräsident Stephan Weil in Niedersachsen war aus Sicht der SPD gesetzt.

Nach den Enttäuschungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die Partei und Bundeskanzler Olaf Scholz einen Erfolg bei der Wahl in dem zweitgrößten Flächenland jedoch inzwischen bitter nötig. Sollte der in Umfragen führende Weil doch sein Amt verlieren, würde auch nach der Verantwortung von Olaf Scholz gefragt.

Stephan Weil (SPD) spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung der SPD in Niedersachsen.
Stephan Weil (SPD) spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung der SPD in Niedersachsen. © Moritz Frankenberg/dpa

Sowohl der Kanzler als auch die Bundes-SPD schwächeln in den Umfragen. Das nicht immer zielstrebige Krisenmanagement und die Fehler der Ampel-Regierung etwa bei der Gasumlage schaden dem Ansehen von Scholz und seiner Partei. Für den Kanzler gilt im Hinblick auf die Landtagswahl jedoch, dass er kaum etwas zu gewinnen hat.

Wird die SPD abermals stärkste Kraft, entspricht dies den Erwartungen. Verliert die SPD, wächst die Unruhe. Allerdings wäre ein schwaches Abschneiden seiner Partei am Sonntag auch nur eins in einem Riesenberg von Problemen, mit denen Scholz inmitten der Energiekrise zu kämpfen hat.

Merz: Der Haudrauf-Kurs des CDU-Chefs auf dem Prüfstand

Friedrich Merz teilte zuletzt kräftig aus. Der CDU-Chef gab Kanzler Scholz und Weil als aktuellem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) persönlich die Schuld daran, dass der letzte Bund-Länder-Gipfel zu neuen Entlastungen ohne Ergebnis geblieben war.

Das wurde in der SPD als grobes Foulspiel wahrgenommen, zumal die MPK mit Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst auch einen CDU-Mann als Co-Chef hat. Zuvor hatte Merz Flüchtlingen aus der Ukraine „Sozialtourismus“ vorgeworfen – belegen lässt sich das nicht.

Diese Aussagen sorgten auch in den eigenen Reihen für Kopfschütteln. Vertreter anderer Parteien warfen Merz vor, in der angespannten Lage gesellschaftliche Konflikte zu schüren. Die Wahl in Niedersachsen wird zeigen, ob Merz mit diesem Stil Erfolg hat – oder er der CDU doch eher einen Bärendienst erweist. Die Christdemokraten hoffen noch darauf, mit Bernd Althusmann den nächsten Ministerpräsidenten in Niedersachsen zu stellen. Die letzten Umfragen zeigen allerdings noch keinen erkennbaren Merz-Effekt.

Die Grünen: Habecks Umfragedelle belastet die Partei

Im Frühjahr und Sommer sah es zwischenzeitlich so aus, als könnten die Grünen nichts falsch machen. Im Bund avancierte Wirtschaftsminister Robert Habeck mit schnellen, pragmatischen Entscheidungen zum beliebtesten Politiker, in Niedersachsen musste das grüne Spitzenduo aus Julia Willie Hamburg und Christian Meyer sich fragen lassen, warum man angesichts hervorragender Umfragewerte eigentlich nicht mitläuft im Rennen um den Posten des Ministerpräsidenten.

Inzwischen steht Habeck von außen unter Feuer wegen der missglückten Gasumlage und weil er eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke über das Frühjahr hinaus ablehnt. Parteiintern grummeln die Grünen, dass er überhaupt bereit ist, zwei Kraftwerke länger laufen zu lassen. CDU-Chef Friedrich hat schon versucht, die Wahl in Niedersachsen zur „Volksabstimmung“ über die Atomkraft zu erklären.

Doch auch wenn der Höhenflug hinter Habeck und den Grünen liegt: Nach den jüngsten Zahlen kann die Partei trotzdem auf ihr bisher bestes Ergebnis bei Landtagswahlen in Niedersachsen hoffen. Lesen Sie auch: Gaspreisbremse: Diese Experten entscheiden, was Sie zahlen

FDP: Warum die Liberalen schon wieder zittern müssen

Für die FDP deutet sich ein bitterer Abend an: In den vergangenen zwei Wochen kamen die Liberalen in fünf verschiedenen Umfragen jeweils nur auf fünf Prozent. Der Wiedereinzug in den niedersächsischen Landtag ist damit höchst unsicher. Mehr noch: Ein Scheitern in Niedersachsen wäre für Christian Lindner und seine Partei in diesem Jahr schon der vierte Misserfolg bei einer Landtagswahl.

Im Saarland verpasste die FDP den Wiedereinzug ins Landesparlament, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kassierten die Liberalen miese Ergebnisse und flogen aus der Regierung. Mit anderen Worten: Seit die FDP in Berlin der Ampel regiert, gingen sämtliche Landtagswahlen in die Grütze.

Stefan Birkner (l), FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen, und Christian Lindner (r), Bundesminister für Finanzen, in Braunschweig.
Stefan Birkner (l), FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen, und Christian Lindner (r), Bundesminister für Finanzen, in Braunschweig. © Michael Matthey/dpa

Hat Lindner schon Erklärungen für einen bevorstehenden Misserfolg?

Lindner hat sich längst Erklärungen dafür zurechtgelegt, warum es auch in Niedersachsen schwer werden könnte. Das Ampelbündnis, so sehen es viele in der Parteispitze, ist für die FDP-Anhänger eine permanente Irritation, eine tagtägliche Zumutung. Ganz zu schweigen von den Schuldenbergen, die Lindner als Finanzminister gerade anhäuft.

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass in einer solchen Koalition keine liberalen Höhenflüge möglich seien, heißt es in der Partei. Dass es aber solche Tiefflüge werden würden? Der niedersächsische FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner jedenfalls hat weder die Bekanntheit noch die Popularität, dass er am Sonntag effektiv gegenhalten könnte.

Lindner tröstet sich vorerst mit dem Gedanken, dass es bis zur nächsten Bundestagswahl noch drei Jahre hin sind. Dann, so die Hoffnung, könnten es die Anhänger belohnen, dass der Finanzminister in der Krise zwar Schulden machte, aber langfristig eisern blieb und die Schuldenbremse gegen alle rot-grünen Begehrlichkeiten verteidigte.

Die Linke versucht in die Offensive zu kommen

Immerhin muss die Linke in Niedersachsen nicht fürchten, aus dem Landtag zu fliegen, denn da ist sie derzeit gar nicht vertreten. Das war es dann aber auch schon mit guten Nachrichten für die Partei, die jüngsten Umfragen geben den Linken wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich das ändern wird.

Dabei könnte die Parteispitze um die Co-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan dringend einen Sieg gebrauchen. Unter dem Schlagwort „Heißer Herbst“ versucht die Linke derzeit, mit Protesten gegen die Energie- und Sozialpolitik der Ampel in der Krise in die Offensive zu kommen. Doch die Abgrenzung zu ähnlichen Protesten von rechts fällt schwer – und den Auftrieb bekommen andere.

AfD: Profiteure der Krise

Corona zog nicht mehr so recht als Thema, mit Anti-Zuwanderungsthesen war auch nichts mehr zu gewinnen und in den Schlagzeilen war die Partei fast nur mit Extremismus und Streit: AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel konnten wenig dagegen ausrichten, dass die AfD lange Zeit um die 10-Prozent-Marke dümpelte.

Jetzt aber nutzt die Partei die Unzufriedenheit und die Ängste, die Inflation und Energiekrise auslösen. Ausgerechnet im Norden, wo die AfD traditionell wenig Stimmen holte, könnte sie deshalb jetzt zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder einen Erfolg einfahren – und die Parteispitze in ihrer Strategie bestärken.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.