Hamburg. Susanne ist alleinerziehend und lebt von Hartz IV. Schon vor der Inflation war das Geld knapp, jetzt kommt sie kaum über die Runden.

Aus einem alten Trampolin hat Susanne Hansen in ihrem Garten ein Hochbeet gebaut. Darin wachsen Tomaten und Bohnen, aber auch Gurken und Salat. Die Gurken habe sie dieses Jahr zum ersten Mal gepflanzt, erzählt sie, anschließend hat sie sie in großen Gläsern eingelegt.

„Die schmecken wirklich wie früher bei Oma“, sagt Hansen. Dass sie den Garten habe, das sei ihr großes Glück, erklärt die 54-Jährige. Dadurch könne sie viel einkochen und einlagern – um immerhin etwas zu haben, wenn die Preise im Winter weiter ansteigen.

Alleinerziehende Mutter: Inflation frisst Einkommen

Susanne Hansen ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und lebt von Hartz IV. Das kleine Backsteinhaus mit dem roten Ziegeldach und dem schmalen Garten im Süden von Hamburg bewohnt sie gemeinsam mit ihrem 15-jährigen Sohn Emil* und ihrem Kater Baghira – die ein Jahr ältere Tochter lebt zurzeit nicht zu Hause.

Nach Abzug aller Fixkosten hat Hansen für ihren Sohn und sich in der Woche genau 106 Euro zur Verfügung. Davon muss sie alles bezahlen: Lebensmittel, Kleidung, Waschmittel, Katzenfutter, Kosten, die in der Schule anfallen. Und 106 Euro seien schnell weg, sagt sie, auch ohne Inflation. Doch seitdem die Preise so stark angestiegen seien, sei es noch viel schwieriger. „Mittlerweile kommen wir kaum noch über die Runden“, erklärt sie.

Susanne Hansen ist alleinerziehend und lebt von Hartz IV. Schon vor der Inflation war das Geld knapp, jetzt kommt sie kaum über die Runden.
Susanne Hansen ist alleinerziehend und lebt von Hartz IV. Schon vor der Inflation war das Geld knapp, jetzt kommt sie kaum über die Runden. © Roland Magunia/Funke Foto Services

„Hartz IV ist nichts, mit dem man gut leben kann“

In Deutschland bekommen knapp 4,9 Millionen Menschen Hartz IV. Insbesondere Alleinerziehende sind häufig auf Sozialleistungen angewiesen. Nach Zahlen der Bundesarbeitsagentur machten Haushalte mit alleinerziehenden Eltern im März 2022 fast 18 Prozent aller sogenannten Bedarfsgemeinschaften aus.

Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge trifft die Inflation gerade Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV hart. „Zwar werden die Miet- und Heizkosten vom Jobcenter zumindest dann übernommen, wenn sie diesem nicht als zu hoch erscheinen. Der immer teurere Strom muss aber ebenso wie Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs aus dem Regelbedarf bezahlt werden“, sagt der Experte.

Seit 2019 bezieht Susanne Hansen Hartz IV. Bis dahin lebte die selbstständige Texterin gemeinsam mit ihrem Ex-Mann und den Kindern in dem Haus. Er war der Hauptverdiener, sie sorgte dafür, dass die Kinder immer versorgt waren. Doch ihr Mann war gewalttätig, es kam zur Scheidung und die 54-Jährige erwirkte vor dem Familiengericht das alleinige Sorgerecht.

„Es ist gut, dass ich jetzt mit den Kindern allein bin“, sagt Susanne, „aber als der Mann dann weg war, war es auch das Geld.“ Sie beantragte Hartz IV. Ihre eigene Arbeit musste sie erst einmal hintanstellen, um sich um die Kinder zu kümmern, die beide durch die Erfahrungen belastet waren. Hinzu kam die Corona-Pandemie, die es der Selbstständigen schwer machte, Aufträge zu finden.

Inflation: Supermarkteinkäufe müssen genau geplant werden

„Und so rutscht man da immer tiefer rein“, sagt sie. Sie sitzt an einem runden Holztisch im Wohnzimmer. Auf ihrem Schoß schnurrt Kater Baghira. Trotzdem versucht sie, weiterhin zu arbeiten – vor allem um Kontakte aufzubauen. Denn ein Großteil des Geldes, das sie verdient, wird, genau wie Kindergeld und Unterhalt, direkt mit ihrem Hartz-IV-Satz verrechnet.

„Hartz IV ist nichts, in dem man sich einrichten kann, und es ist auch nichts, mit dem man gut leben kann“, sagt die alleinerziehende Mutter und studierte Soziologin. Ein Großteil des verfügbaren Geldes gehe mittlerweile ins Essen, erzählt Hansen. Früher habe sie manchmal noch „normal“ eingekauft, inzwischen plane sie jeden Supermarktbesuch ganz genau. „Ich gehe nur noch dann einkaufen, wenn ich weiß, dass ich die Sachen reduziert kaufen kann“, sagt sie.

Immer mittwochs und freitags kommen die neuen Angebotsprospekte. „Wenn die Post dann nicht zuverlässig ist, werde ich schon nervös“, erzählt sie und muss dabei selbst schmunzeln. „Auch wenn das natürlich blöde ist, weil man es auch online nachgucken kann.“ Doch der Druck, möglichst günstige Angebote zu finden, ist groß.

„Butter habe ich vorher schon kaum noch gekauft, aber das könnte ich jetzt gar nicht mehr. Auch Fleisch kaufe ich nur noch, wenn es 30 Prozent reduziert ist“, erklärt sie. Mit der Zeit würde man da findiger werden, wisse, wo und wann es besonders günstige Angebote gebe. Auf Möglichkeiten wie die Tafel können die beiden nicht hoffen. Die Wartezeiten für einen Platz sind lang, ein Großteil der Ausgabestellen in Hamburg hat sogar einen Aufnahmestopp verhängt.

Hartz IV: 540 Euro Nachzahlung für Gas

Das Wohnzimmer, in dem sie sitzt, ist nicht besonders groß, aber gemütlich. In der einen Ecke steht ein kleines Sofa, daneben ein schwarzer Holzofen. Der funktioniere zwar, sagt sie, aber um damit zu heizen, brauche man Holz. Auch das sei zu teuer. Neben den Lebensmittelpreisen sind es vor allem die Energiekosten, die Susanne Sorgen bereiten.

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Das Haus ist alt, die Eingangstür lässt sich nicht mehr richtig schließen, die Fenster sind undicht. „Es ist wahrscheinlich eine energetische Vollkatastrophe“, befindet Hansen. Eigentlich will die Familie unbedingt hier weg. „Aber versuch mal, als Alleinerziehende mit Hartz IV in Hamburg was Bezahlbares zu bekommen“, sagt sie resigniert.

Mitte Juni kam eine Nachzahlung von den Gaswerken. 450 Euro. Außerdem sollte der monatliche Abschlag auf 200 Euro erhöht werden. „Der Energieversorger wollte dann auf einen Schlag 650 Euro“, erinnert sich Hansen.

Zwar übernimmt das Arbeitsamt bei Empfängerinnen und Empfängern von Hartz IV theoretisch die Heizkosten – eine Erhöhung muss aber erst mal genehmigt werden. „Die Jobcenter sind total überlastet“, sagt Hansen „deswegen habe ich die ganze Zeit niemanden erreicht.“ Also musste sie selbst gucken, wie sie die Rechnung bezahlt. Am Ende lieh sie sich Geld von einem Bekannten. „Man muss halt immer jonglieren“, sagt sie.

„Ich dusche sowieso nur noch, wenn ich rausgehe“

Am meisten Angst hat sie, dass das Jobcenter irgendwann nicht mehr für die gesamten Gaskosten aufkommen könnte. „Das würde uns das Genick brechen“, sagt sie. Und, dass die Strompreise immer weiter steigen. Bis Anfang des Jahres hat Susanne noch 43 Euro für die Strom gezahlt, im März wurde der Abschlag auf 68 Euro erhöht. Eine weitere Verteuerung ist absehbar.

Aber Hansen ist da pragmatisch: „Wenn keiner da ist außer mir, schalte ich die Heizung und das Warmwasser ab“, sagt sie. „Ich dusche sowieso nur noch, wenn ich rausgehe. In allen Zimmern, die nicht gebraucht werden, mache ich das Licht aus. Dann findet das Leben eben nur noch im Wohnzimmer statt, mit Wärmflasche, dicker Decke und warmen Socken. So muss es dann halt gehen.“

Susanne Hansen ist keine Person, die den Kopf in den Sand steckt – trotz oder vielleicht gerade wegen allem, was sie erlebt hat. „Mich haben schon andere Sachen nicht untergekriegt – und dann wird es auch das jetzt nicht schaffen“, sagt sie.

Und dennoch packt auch sie manchmal die Angst. „Ich hatte die Hoffnung, dass ich uns hier rauskriegen kann, wenn ich mehr arbeite, und diese Hoffnung sehe ich gerade schwinden“, erzählt sie. Die Inflation macht es ihr jeden Tag ein bisschen schwerer. Die ständigen Sorgen seien auch psychisch belastend, sagt sie. „Man ist nie entspannt. Ich habe immer eine Kasse im Kopf, die alles mitrechnet.“

Entlastungszahlung hat nur Feuer gelöscht

Wer nicht selbst von Armut betroffen sei, könne sich die Situation nur schwer vorstellen, sagt sie. Vor einigen Wochen feierte ein Freund von Hansen seinen Geburtstag. Er lud sie und noch einen weiteren Freund zum Abendessen in ein Restaurant ein, 111 Euro zahlte er am Ende des Abends für Speisen und Getränke. „Danach habe ich dort gesessen und gesagt: Und guck mal, von dem Geld müssen mein Sohn und ich eine ganze Woche leben“, erzählt die 54-Jährige. „Und dann war da echt Stille.“

Im Juli bekam Susanne 300 Euro Entlastungszahlungen. 200 Euro für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen plus 100 Euro Kinderbonus. Das Geld sei längst wieder weg. „Natürlich war es gut, dass wir das bekommen haben. Aber es hat einfach nur Feuer gelöscht, die sowieso schon da waren“, sagt sie. „Das kam und das ging.“

Wütend wird sie, wenn sie über das neue Entlastungspaket der Bundesregierung redet, in dem beschlossen wurde, dass ab dem 1. Januar das Kindergeld um 18 Euro pro Kind erhöht werden soll. Doch die Zahlung wird auf Sozialleistungen angerechnet – und so profitiert Hansen am Ende nicht von der Entlastung. „Ich habe das Gefühl, dass keiner in der Entscheidungsebene wirklich begriffen hat, wie das Leben von armutsbetroffenen Menschen funktioniert“, sagt sie.

Doch Hansen gibt nicht auf. „Vor einiger Zeit habe ich mir einen Briefumschlag gekauft und mir gesagt: Das ist der Briefumschlag für die letzte Hartz-IV-Abrechnung“, erinnert sie sich. Das sei zwar vor den Preisexplosionen gewesen, doch sie glaube trotzdem daran, dass sie und ihre Kinder irgendwann aus der Armut herauskommen.

Ein erster, wichtiger Schritt wäre eine neue Wohnung. Dann könnte ihre Tochter, die aufgrund der traumatischen Gewalterfahrungen nicht mehr in dem jetzigen Haus sein kann, vielleicht auch wieder bei ihr wohnen. „Aber da muss ich wahrscheinlich ein bisschen zaubern“, sagt Susanne.

* Name von der Redaktion geändert

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.