Berlin. Das Wirtschaftsministerium twitterte, das deutsche Rentenniveau sei “eines der höchsten in der Welt“. Viele Nutzer reagierten wütend.
- Vielen Menschen reicht die Rente in Deutschland nicht zum Leben: Altersarmut gehört zu den großen Problemen des Landes
- Ein Tweet aus dem Ministerium von Robert Habeck sorgt deshalb für Aufregung
- Viele Nutzer reagierten wütend
Viele Äußerungen im Kurznachrichtendienst Twitter dürften für die Außenwelt eher uninteressant sein. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) postete am Wochenende aber einen Tweet über deutsche Renten, der Fragen über die Expertise des Ministeriums aufkommen ließ. Viele User und Userinnen reagierten mit Wut.
Begonnen hatte alles mit einem Interview von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der "Süddeutschen Zeitung", das das Social Media-Team des BMWK auf Twitter geteilt hatte. Habeck hatte dort erklärt, wie Deutschland Unternehmen und Privatpersonen unterstützen und damit die Krise "stemmen" könne.
Auf eine Nutzerinnen-Kritik an Habecks Behauptungen reagierte das Ministerium schließlich mit dem vielfach kritisierten Statement. Die deutsche Wirtschaft sei stabil, so das BMWK: "Das deutsche Rentenniveau [ist] eines der höchsten in der Welt." Nur: Das stimmt nicht.
Rente berechnen: Was ist das Rentenniveau?
Das Rentenniveau zeigt das Verhältnis zwischen der Höhe des Rentenbeitrags in der gesetzlichen Rente und dem durchschnittlichen Einkommen eines oder einer versicherten Arbeitnehmenden eines Landes. Es soll also zeigen, wie stark die Renten im Vergleich zum durchschnittlichen Verdienst in einem Land steigen oder sinken.
Das Rentenniveau wird als Netto-Wert vor Steuern und in Prozentpunkten angegeben. Im Mai 2022 lag es bei Deutschland bei 49, 4 Prozent. Was das genau bedeutet, darüber gibt es in der Gesellschaft viele Missverständnisse.
Denn das Rentenniveau sagt wenig über die Höhe des Rentenbeitrags einer einzelnen Person aus. Es stimmt zum Beispiel nicht, dass ein Rentenniveau von 80 Prozent bedeutet, ein Rentner oder eine Rentnerin erhalte 80 Prozent ihres ehemaligen Nettogehalts – ein weit verbreiteter Irrglaube.
Rente: Darum liegt das Wirtschaftsministerium falsch
Doch auch das Wirtschaftsministerium zeigte mit seinem Tweet am Wochenende, dass es nicht besonders gut über das deutsche Rentenniveau informiert ist.
Zum Einen ist es aufgrund sehr unterschiedlicher Rentensysteme schwer, das Rentenniveau verschiedener Länder miteinander zu vergleichen. Allein die Höhe der gesetzlichen Beitragszahlungen oder der Anteil an Privatversicherten in der Bevölkerung kann das Rentenniveau verändern.
Zum Anderen schneidet Deutschland im internationalen Vergleich nicht unbedingt so gut ab, wie das BMWK es auf Twitter darstellt. In der Statistik "Renten auf einen Blick" erhebt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) alle zwei Jahre die sogenannte "Nettoersatzquote".
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Rente: Deutschland laut Studie international eher schlecht
Unter anderem anhand dieser Quote vergleicht sie die Renten unterschiedlicher Länder miteinander. Die Nettoersatzquote zeigt dabei den prozentualen Anteil der Rente im Vergleich zum letzten Nettoverdienst eines Rentners oder einer Rentnerin.
Im letzten Rentenbericht die OECD 2021 lag die Nettoersatzquote in Deutschland bei 52,9 Prozent, in Italien bei 81,7 Prozent und in Frankreich bei 74,4 Prozent. In Europa und dem Rest der Welt lag Deutschland damit also nicht besonders weit vorne – im Gegenteil.
Allerdings: Die Nettoersatzquote wird anders kalkuliert als das Rentenniveau. Das zeigt, wie komplex die Berechnungen sind – und wie vereinfacht die Darstellung des Ministeriums auf Twitter wirklich ist.
Rente: Viele Rentner und Rentnerinnen leben in Armut
Für Ärger bei den Nutzern und Nutzerinnen sorgen aber ohnehin nicht die Berechnungsarten der internationalen Renten, sondern die tatsächlich Situation vieler Rentner und Rentnerinnen in Deutschland. Knapp 1000 Euro blieben ihr nach Abzügen zum Leben, berichtet eine Frau unter dem Ministeriumstweet.
Im Mai veröffentlichte die "Neue Osnabrücker Zeitung" in einem Bericht zudem erschreckende Zahlen: Selbst wer 45 Jahre lang in Vollzeit gearbeitet und dabei jährlich stets 23.800 Euro im Jahr verdient habe, erhalte demnach keine Nettorente oberhalb der Grundsicherung.
Ende 2020 seien davon rechnerisch über 2,5 Millionen Rentner und Rentnerinnen betroffen gewesen. Zahlen und Fakten, die für viele Menschen weitaus mehr bedeuten dürften als ein Statement auf Twitter. (reba mit afp)
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