Berlin. CDU-Vize und Hessens Ministerpräsident Bouffier spricht über die prekäre Lage in der GroKo – und die Herausforderung am rechten Rand.

Die Bundesregierung steht am Abgrund – und Hessen vor Landtagswahlen. Für Ministerpräsident Volker Bouffier, in der CDU einer der Stellvertreter von Parteichefin Angela Merkel, ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Am späten Donnerstagnachmittag gibt er unserer Redaktion ein Interview. Im Riesling-Zimmer der Hessischen Landesvertretung in Berlin werden Wasser und Saft serviert. Bouffier raucht Zigarillos.

Sie führen eine Landesregierung aus CDU und Grünen, die – nach allen Umfragen – im kommenden Monat abgewählt wird. Ist Schwarz-Grün ein Auslaufmodell?

Volker Bouffier: Das glaube ich nicht. Schwarz-Grün hat nach fünf Jahren eine sehr gute Bilanz. Ich führe eine Regierung ohne Krach und ohne Krawall. Und bei der Landtagswahl ist noch gar nichts entschieden. Ich möchte unser altes Ergebnis wieder haben: 38 Prozent. Auf jeden Fall wollen wir aber so stark werden, dass ohne die CDU keine stabile Regierung möglich ist.

Spüren Sie Rückenwind aus Berlin?

Bouffier: Die Situation in der großen Koalition hilft uns nicht. Daher ist unsere Botschaft: Es geht nicht um einen Denkzettel für die Bundesregierung, es geht um Hessen, wir sind anders.

Erst der Streit um den „Masterplan“ von Innenminister Seehofer, jetzt die Auseinandersetzung um Verfassungsschutzchef Maaßen. Wie viele Zerreißproben kann sich die große Koalition noch leisten?

Bouffier: Die Regierungskoalition kann sich gar keine Zerreißprobe mehr erlauben. Die Bevölkerung hat den Eindruck, dass Union und SPD einen Großteil ihrer Kraft dafür brauchen, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das ist nicht ausreichend. Die Koalition muss endlich an die Umsetzung dessen gehen, was im Koalitionsprogramm vereinbart ist: Wohnen, Pflege, Bundeswehr. Was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, war so unnötig wie ein Kropf. Ich kann nur raten: Damit muss jetzt Schluss sein!

Kann die Entscheidung, Maaßen zum Staatssekretär zu befördern, noch korrigiert werden?

Bouffier: Das weiß ich nicht. Ich will nur, dass die Selbstbeschäftigung ein Ende nimmt und die Regierungskoalition sich um die Themen im Land kümmert.

"Wir haben uns geirrt" – Fall Maaßen wird nachverhandelt

weitere Videos

    Die Beförderung ist ein Konjunkturprogramm für den rechten politischen Rand ...

    Bouffier: Die Bürger verstehen diese Entscheidung nicht. Das kann man ihnen nicht verübeln. Aber ich würde das nicht gleich auf die rechte Schiene schieben. Wir dürfen unsere Politik nicht danach ausrichten, ob sie der AfD nutzt oder schadet. Wir müssen eine Politik machen, die wir für richtig halten und die den Menschen nützt. Das ist auch die beste Form der Auseinandersetzung mit der AfD – und nimmt ihr die Wähler wieder weg.

    Sie können aus AfD-Wählern nicht so einfach CDU-Wähler machen.

    Bouffier: Die Extremen erreichen wir nicht, und die will ich auch nicht. Aber ich will diejenigen überzeugen, die sich überlegen, ob die CDU einen Denkzettel braucht. Wir müssen Lösungen zeigen, gerade bei so schwierigen Themen wie Migration und Integration.

    Das sagen Sie schon länger – und die AfD wird immer stärker.

    Bouffier: Das ist kein Naturgesetz. Ich führe eine sehr harte Auseinandersetzung mit der AfD. Die AfD reißt die Brandmauern zum Extremismus nieder. Sie ist keine Alternative, sie ist eine Gefahr für Deutschland. Für diese Entwicklung mache ich den Parteivorsitzenden Gauland persönlich verantwortlich. Er macht den Staat verächtlich. Er spricht davon, das System zu überwinden. Die AfD macht eine Kampfansage an die Grundlagen unserer Demokratie. Wenn wir das durchgehen lassen, versagen wir vor der Geschichte.

    Warum wird eine solche Partei nicht vom Verfassungsschutz beobachtet?

    Bouffier: Die Entscheidung, wer vom Verfassungsschutz beobachtet wird, darf nicht von der politischen Stimmung abhängen. Sie muss fachlich getroffen werden und sich nach objektiven Fakten richten. Es kann durchaus sein, dass bestimmte Teile oder Personen der AfD zu einem Beobachtungsfall werden. Diese Beurteilung kann von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausfallen.

    Worauf läuft es bei Ihnen hinaus?

    Bouffier: Der hessische Verfassungsschutz schaut da sehr sorgfältig hin. Die AfD kann zu einem Prüffall werden. Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.

    Der Fall Maaßen hat Zweifel geweckt, ob die Kanzlerin noch die Kraft hat, Schaden vom Land und der Regierung abzuwenden. Ist Angela Merkel das, was man in den Vereinigten Staaten als „lame duck“, als „lahme Ente“ bezeichnet?

    Bouffier: Frau Merkel ist nach wie vor die tragende Säule dieser Koalition. Wahr ist aber auch: Die große Koalition hat bis heute nicht richtig Tritt gefasst. Sie muss dem Eindruck entgegentreten, sich lieber zu belauern als gemeinsam die Arbeit aufzunehmen. Mehr oder weniger bedeutende Persönlichkeiten der Sozialdemokraten fordern ununterbrochen, aus der Koalition wieder auszusteigen.

    Ist der Fortbestand der Koalition ein Wert an sich?

    Bouffier: Deutschland braucht eine stabile Regierung. Das ist wichtig für ganz Europa. Deshalb ist der Fortbestand ein Wert. Aber die Entscheidung für eine bestimmte Koalition ist keine Ewigkeitsentscheidung. Alles hat seine Grenzen.

    Hält diese Regierung vier Jahre?

    Bouffier: Die große Koalition hat nur Bestand, wenn alle begreifen, dass jetzt Schluss ist mit den Auseinandersetzungen. Ich hoffe auf die Einsicht, dass eine große Aufgabe vor uns liegt.

    Sie kennen den CSU-Vorsitzenden Seehofer seit vielen Jahren. Geht es ihm um mehr als um Rechthaberei?

    Bouffier: Ich glaube, dahinter steht schon eine Überzeugung. Horst Seehofer war immer ein prima Kollege, und er hat sich hohe Verdienste erworben. Allerdings neigt er zu einsamen, überraschenden Entscheidungen.

    Der nächste Akt in der Union ist eine Kampfabstimmung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Ralph Brinkhaus tritt am Dienstag gegen Volker Kauder an ...

    Bouffier: Das habe ich auch zur Kenntnis genommen. Volker Kauder hält seit ungewöhnlich langer Zeit die Unionsfraktion erfolgreich zusammen. In Zeiten wie jetzt brauchen wir Erfahrung und kein Durcheinander. Ich halte es für richtig, dass Volker Kauder die Unionsfraktion weiter führt.