Berlin. KI – die Künstliche Intelligenz, dringt in alle Bereiche des Alltags. Unsere Autorin weiß nicht so recht, was sie davon halten soll.

Schon mal was von Bulimie-Lernen gehört? Das ist das Pauken von unendlich großen Mengen Stoff innerhalb kürzester Zeit, der dann an einem bestimmten Termin wieder ausgespuckt wird. Ich habe das mal gemacht, als ich in wenigen Monaten an der Uni mein Latinum nachholen musste. Hätte ja sein können, dass ich eine auf Latein verfasste mittelalterliche Quelle für irgendeine Analyse stoße (was nie passiert ist).

Aber weil es die Prüfungsordnung so wollte, meldete ich mich für einen Crash-Kurs an, täglich sechs Stunden Unterricht und acht Stunden Nachbereitung. Nach zwei Monaten blickte ich auf Texte von Cicero oder Ovid – und spuckte die Übersetzung wieder aus.

Die Fähigkeit hielt bis zum Prüfungstag an. Danach sackte mein Wissen in sich zusammen wie der Berg Spinat in der Pfanne. Heute würde ich sagen, ich habe das Latinum. Von Latein aber habe ich keine Ahnung.

KI macht hoffentlich das Latinum überflüssig

Dieser mühsame und wenig nachhaltige Weg, sich Wissen anzueignen, dürfte demnächst überholt sein. Welcher Historiker braucht schon das Latinum, wenn sich die Quelle mit der Tasten-Kombination Copy-Paste-Return übersetzen lässt. Und zwar in einer Perfektion und Geschwindigkeit, die selbst die strenge Lateinlehrerin, die unserem Teenie-Kind einst den Schulalltag zur Hölle machte, niemals erreichen wird.

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Mehr noch: Angehende Ärztinnen und Ärzte, die Apothekerinnen, die Juristen, die in verzweifelten Prüfungsphasen traumatisiert werden, die sich für ihre 18-Stunden-Lerntage ungesund aufputschen mit allerlei Chemie, die Essstörungen entwickeln, in Heulkrämpfe verfallen, all die verarmten Doktoranden, Schriftstellerinnen und Komponisten – sie haben längst Konkurrenz bekommen von dem, was derzeit durch die Medien geistert: Künstliche Intelligenz (KI), die Wissen über Algorithmen weiterentwickelt zu einem großartigen Werk.

Funke-Autorin Birgitta Stauber schreibt in der Kolumne „Frauengold“ über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Funke-Autorin Birgitta Stauber schreibt in der Kolumne „Frauengold“ über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wie, Chat GPT macht deinen MBA?

Das Schlagwort dazu heißt Chat GPT. Dabei handelt es sich um ein Dialogsystem, das auf maschinellem Lernen beruht. Seit einigen Monaten ist es in der Lage, vollautomatische Antworten auf Fragen zu geben – und zwar ziemlich genau und in natürlicher Sprache.

Wie der Blick auf Übersetzungsprogramme zeigt: Die Entwicklung von mehr oder weniger kruden Texten hin zu einer nahezu perfekten Übertragung, die kulturelle Eigenschaften ebenso einbezieht wie etwa Ironie und Wortwitz, vollzog sich in wenigen Jahren.

Nach rasanter konnte es mit Chat GPT gehen. Immerhin kann es schon jetzt so komplex Fragestellungen beantworten, dass das System den Abschluss eines Masters of Business Administration (MBA) mit der Note 2 bestand.

KI wird in unsere Leben eindringen, so viel ist klar

Auch wenn es schmerzt: Künstliche Intelligenz wird in unser Leben eindringen, unseren Alltag auf den Kopf stellen. Noch klingt es wie Magie, wenn KI komponiert, etwa Hintergrundmusik für das Einkaufszentrum, wenn sie Daten zu einem Kunstwerk verarbeitet, wissenschaftliche Arbeiten schreibt, Gedichte oder gar Romane. Wenn sie sie menschliche Ansprache in einem Pflegeheim ersetzt – und womöglich mehr Nähe bringt als der abgehetzte Pfleger, der von Zimmer zu Zimmer eilt.

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Mein Bauchgefühl dazu erzeugt eher Ekel als Neugierde. Tatsächlich liebe ich die Sprache, die Entwicklung von Texten, viel zu sehr, als dass ich dabei auf eine Maschine zurückgreifen würde. Könnte Chat GPT etwa solche Kolumnen schreiben? Ich will es gar nicht wissen. Womöglich ist KI irgendwann gut genug dafür.

Trotzdem vertraue ich auf Experten, die sagen: Der Algorithmus mag schreiben, debattieren, antworten. Aber er braucht doch erst mal eine Idee. Und so tröste ich mich mit Picassos Zeichnungen mit einem Strich. Nachmalen kann den Pinguin oder den Hund jedes Grundschulkind. Aber für die Erfindung braucht es sein Genie.

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