Berlin. Sie kommen an Bord von Schiffen, können erhebliche Schäden in ihrem neuen Lebenraum verursachen: eingeschleppte Arten in der Nordsee.

107 gebietsfremde Tiere, Pflanzen, Algen und Schwämme tummeln sich in den Küstengewässern der deutschen Nordsee. Noch haben eingeschleppte Arten – auch "alien species" genannt – das ökologische Gleichgewicht im Wattenmeer nicht verändert. Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) auf Sylt finden pro Jahr aber zwei neue Arten – und warnen vor unerwarteten Dynamiken.

In die Nordsee und das Wattenmeer gelangen diese "Aliens" nicht per Raumschiff sondern mit dem Menschen, sagt Marianne Sanns von der Nationalparkverwaltung. Zumeist mit ganz gewöhnlichen Schiffen, angeheftet an Schiffsrümpfe oder eingeschlossen in Ballastwassertanks. Diese füllen große Frachtschiffe mit Meerwasser, um genügend Gewicht und Tiefgang für eine stabile Wasserlage zu sichern.

Bedrohen diese "Aliens" eine beliebte Urlaubsregion in Deutschland? Gerade weil vielerorts Quallenblüten den Touristen das Bad im Meer vermiesen, gilt die Nordsee dieses Jahr als heißer Tipp für den Strandurlaub. Rund 20 Millionen Urlauber erkunden Wattenmeer und Umgebung jährlich mit Wattwanderungen und Wassersport. Der Nationalpark Wattenmeer gehört damit zu den beliebtesten Ausflugszielen der Deutschen. Womit müssen Touristen, Gemeinden und Hotels rechnen? Und was ist mit den vielen heimischen Arten?

Nordsee: Eingeschleppte Arten verändern Biodiversität

"Die eingeschleppten Arten haben das Artenspektrum verändert und damit nicht nur die Biodiversität, sondern auch die Interaktion zwischen den Arten", erklärt Christian Buschbaum vom AWI. Der Meeresökologe ist mitverantwortlich für das Monitoring eingeschleppter Arten, sogenannter Neobiota, an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins.

Er beobachtete etwa die Veränderung im Nahrungsnetz durch die Ansiedelung von Pazifischen Austern: "Früher haben Eiderenten, Austernfischer und Möwen viele Miesmuscheln gefressen. Jetzt haben wir Austern, die mit den Miesmuscheln zusammenleben und die Vögel kommen nicht mehr so einfach an die Miesmuscheln heran."

Durch die Zucht in Aquakulturen wurde in den 1970er-Jahren die Pazifische Auster eingeschleppt. Sie galt zunächst als Bedrohung der heimischen Miesmuschel. Marianne Sanns von der Nationalparkverwaltung Wattenmeer beobachtet, "dass die beiden Arten bestens miteinander klarkommen: Die pazifischen Austern und die heimischen Miesmuscheln leben in gemischten Riffen".

Das Wattenmeer verändert sich dramatisch.
Das Wattenmeer verändert sich dramatisch. © picture-alliance / DUMONT Bildar | Sabine Lubenow

Neobiota werden in den meisten Fällen durch Menschenhand in fremde Ökosysteme transportiert. Sie können im Zweifelsfall erhebliche Schäden an den neuen Lebensräumen verursachen, auch mit Auswirkungen auf den Menschen. Dann sprechen Forschende von invasiven Arten.

So sorgten eingeführte Hasen und Rinder zur Versteppung von Waldgebieten in Chile und Australien. Forscher schätzen, dass 54 Prozent des Artensterbens mit Konkurrenz durch invasive Arten zusammenhängt.

Wattenmeer: Frachtschiffe und Motorboote für die Ausbreitung verantwortlich

Um blinde Passagiere zu vermeiden, schreiben Gesetze seit 2017 vor, dass Ballastwasser 200 Seemeilen vor der Küste abgelassen werden muss. Durch Motorboote und die Berufsschifffahrt verbreiten sie sich weiter.

Laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg (BSH) gehören die Chinesische Wollhandkrabbe, die Rippenqualle, die Dreikantmuschel und der Schiffsbohrwurm zu den Arten, die durch Ballastwasser eingeschleppt wurden.

Um schnell auf Eindringlinge reagieren zu können, führen die Wissenschaftler seit 2009 Proben durch, bei denen Besiedelungsplatten ins Küstenwasser gelassen werden. Weil sie hier schneller Fuß fassen können als an besiedelten Lebensräumen, können Neobiota so schnell entdeckt und Maßnahmen zur Eliminierung eingeleitet werden.

Klimawandel: Warmes Wasser hilft exotischen Arten

Ein Grund, warum sich die "Aliens" schnell im neuen Lebensraum ausbreiten können, ist der Klimawandel. Wärmeres Wasser und Schwankungen im Salzgehalt können ideale Voraussetzungen für Arten aus südlichen Gefilden schaffen. Außerdem blieben kalte Winter aus, die die Verbreitung gebietsfremder Arten reduzieren und verhindern würden, sagt Sanns.

Obwohl gebietsfremde Arten im Wattenmeer noch keine sichtbaren Schäden angerichtet haben, bleiben die Meeresbiologen aufmerksam. "Je weniger Arten eingeschleppt werden, desto besser", sagt Buschbaum. Dass ein Biotop aus dem Gleichgewicht gerät, ist nicht immer sofort zu erkennen. Buschmann spricht deshalb von "ökologischem Roulette".

Marianne Sanns betont, "dass es nur sehr schwierig beziehungsweise gar nicht möglich ist, die Etablierung von invasiven Arten im Wattenmeer wieder rückgängig zu machen."

Nicht nur ökologisch, auch wirtschaftlich können große Schäden entstehen. Invasive Arten können natürliche Fischbestände dezimieren und so der Fischerei schaden. An der libanesischen Mittelmeerküste verstopften diesen Sommer tausende eingewanderte Nomadenquallen Turbinen eines Wasserwerks und brachten die Stromerzeugung zum Erliegen.

Ob die Touristen an die Adria um Salento im nächsten Jahr zurückkehren, nachdem sich im Sommer dort Schwärme ortsfremder Feuerquallen ausgebreitet hatten, ist zu bezweifeln.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.