Braunschweig. Die Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann saß während der Pandemie in allen großen Talkshows. So sieht sie die Sache heute.

Sie ist weitgehend raus aus den Medien. Keine Talkshows mehr im Fernsehen, deutlich weniger Interviews. Melanie Brinkmann atmet auf, weil sie sich wieder auf ihren eigentlichen Job konzentrieren kann: Forschung und Lehre. Die Pandemie hatte die Braunschweiger Virologin zeitweise zu einer gefragten Aufklärerin in Sachen Corona gemacht. Das tückische Virus, anfangs so unberechenbar, verlangte ihr ganz neue berufliche Herausforderungen ab.

Wie Christian Drosten oder Hendrik Streeck gehörte Melanie Brinkmann mit Ausbruch des Krankheitserregers zum Kreis jener Wissenschaftler, die die Nation gefühlt rund um die Uhr über die neuesten Erkenntnisse zu Covid-19 informierten. Wie sind die Übertragungswege? Wie kann ich mich schützen? Was muss die Politik tun? Nicht nur in New York stapelten sich die Leichensäcke. Bilder, die schockierten und sich in Deutschland nicht wiederholen sollten. Melanie Brinkmann beriet die niedersächsische Landesregierung und war seit Dezember 2021 auch Mitglied im ExpertInnenrat der Bundesregierung.

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Melanie Brinkmann: Eine Frau mit klarer Kante

Sie saß unter anderem in den Talkshows von Maischberger, Lanz und Illner; im Interview-Podcast der „Zeit“ brachte sie es auf mehr als fünf Stunden. Es gab viel zu sagen, viel zu diskutieren, viel zu überzeugen, viel zu streiten. Eine Frau mit klarer Kante. No Covid! lautete ihre Mahnung zu jener Zeit, als die Menschen noch keinen Immunschutz hatten, die Impfstoffe aber schon in Reichweite waren. Im Februar 2021 warnte sie angesichts sich ausbreitender Virusvarianten und überlasteter Krankenhäuser vehement vor Lockerungen. Sie vertrat den Standpunkt, dass noch viel mehr Menschen gestorben wären, hätte man das Virus ungehindert machen lassen. Manch einer wollte das bloß nicht glauben.

Corona hatte das Leben weltweit auf den Kopf gestellt, und Melanie Brinkmann fiel die undankbare Aufgabe zu, den Menschen in Deutschland zu verklickern, dass dem Virus mit größtmöglichem Respekt zu begegnen sei. Corona – der kollektive Spaßverderber. „Was nicht bei allen Menschen Begeisterung auslöste“, meint sie. Heute kann sie das lächelnd sagen. Weil sie seitdem gelernt hat, auch bitterböse Beleidigungen, abstruse Drohungen und Einschüchterungen wegzustecken.

Das Internet kann grausam sein. Deshalb postet sie auch kaum mehr was auf den vermeintlich sozialen Netzwerken. „Selbst, wenn es für die wissenschaftliche Aufklärung vielleicht manchmal sinnvoll wäre.“ Ihr Twitter-Account liegt weitgehend brach. Vielsagend aber ihre Selbstbeschreibung dort: „Virologist, Mom, Advocate of strong leadership and common sense“ – Virologin, Mutter und Verfechterin von starker Führung und gesundem Menschenverstand. „Gerade in Krisenzeiten sind schnelle Entscheidungen immens wichtig“, betont sie.

Unterwegs am Helmholtz-Zentrum in Stöckheim und an der Technischen Universität Braunschweig

Sie ist keine kämpferische Feministin, schätzt aber Frauen, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und selbstbewusst ihren Weg gehen. „Ich habe die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern sehr bewundert. Eine Frau aus dem echten Leben, die ihr Land hervorragend durch die Pandemie geführt hat, indem sie beherzt schwierige Entscheidungen traf.“ Schade, dass sie zurückgetreten sei.

Wir sitzen sonnenbeschienen auf der Terrasse einer Studentenkneipe in der Spielmannstraße nahe dem Institut für Genetik der Technischen Universität in Braunschweig, einem von Melanie Brinkmanns Arbeitsplätzen. Der andere ist am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Stöckheim. Sie bestellt einen Ingwer-Tee, lacht und bekennt, dass sie hier an diesem schönen Fleckchen noch nie gesessen habe.

Wir erleben eine fröhliche, zugängliche, natürliche Frau, mit der sich auch wunderbar abschweifen lässt in die banaleren Bereiche des Lebens. Doch wir fangen uns nach einer Plauderei über den Wert eines guten Haarschnitts wieder ein, weil sie doch erzählen soll, was eine Frau, die niemals zuvor in einer Fernsehtalkshow saß, empfindet, wenn sie von heute auf übermorgen ins kalte Wasser springen muss.

Fernseh-Feuertaufe bei Maybritt Illner im Januar 2020

Januar 2020: Eine Sendung von Maybritt Illner sollte Melanie Brinkmanns Feuertaufe im Fernsehen sein. Und die war beängstigend. „Ich hatte doch zuvor kein Coaching oder irgendeine Vorbereitung. Die Einladung kam von heute auf übermorgen.“ Aber das Robert-Koch-Institut hatte alle Experten dringend gebeten, es wegen der enormen Zahl an Interviewanfragen bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen.

Dabei traute sie sich die Sache gar nicht zu. Der Ehemann ermunterte sie und stärkte das Selbstvertrauen. Also fuhr sie nach Berlin – und kaufte erst einmal ein Kleid. „In einem herrlich kräftigen Blau“, erinnert sie sich schmunzelnd. Eine Freundin besorgte die passende Strumpfhose. „Die Verkäuferin wusste überraschenderweise ganz genau, was für eine DEN-Stärke fürs Fernsehen gewünscht ist: Ist sie zu dünn, sieht es nicht gut aus, ist sie zu dick, wirkt man wie eine Wachsfigur“, weiht sie uns in die Geheimnisse der optimalen telegenen Wirkung ein.

Kurz vor der Sendung aber kam Panik auf: Alles in ihr sträubte sich: Ich! geh! da! nicht! rein! Die Gedanken überschlugen sich. Doch dann sei ein freundlicher Redakteur aufgetaucht und habe mit ein paar netten Worten den Bann gebrochen: „Schön, dass Sie da sind!“ Von da an gab es kein Zurück.

Vorgeführt bei Plasbergs Talkshow „hart aber fair“?

In der Rückschau fühlt sie sich von den Medien überwiegend wertschätzend behandelt. Doch auch Melanie Brinkmann musste erfahren, dass der Überbringer schlechter Nachrichten selten gut gelitten ist und manche Aussage überspitzt und dramatisiert wiedergegeben wird. Bei Frank Plasbergs Polit-Talkshow „hart aber fair“ fühlte sie sich sogar vorgeführt. „Ich fand die Sendung in der ersten Phase der Corona-Pandemie eigentlich gar nicht schlecht. Aber ich hatte das sichere Gefühl, dass an diesem Abend ein Gastronom ganz speziell auf mich angesetzt worden war, um mit mir auf Konfrontation zu gehen.“ Von wegen fair. Kein Wunder, dass man sie danach dort nicht mehr sitzen sah.

Doch sie kann auch verstehen, dass die Menschen verwirrt waren ob unterschiedlicher Bewertungen des Virus’ und unterschiedlicher Maßnahmen der Behörden. Was hier erlaubt war, war andernorts verboten. „Die Menschen haben ja auch den Lockdown ganz unterschiedlich empfunden: Für die einen war es wie eine Ruhephase, für andere eine wirtschaftliche Katastrophe.“

Melanie Brinkmann vermisst ihre temporäre Prominenz kein bisschen. „Mit dem Ukraine-Krieg hörten die Anfragen an uns Wissenschaftler schlagartig auf. Und das war gut so. Denn wir waren müde und ausgezehrt und wollten endlich wieder unseren eigentlichen Jobs nachkommen.“ Durch die Maskenpflicht und die weitgehende Isolation in der Corona-Zeit sei sie auf der Straße nur selten erkannt worden. „Aber wenn ich angesprochen wurde, waren die Menschen stets freundlich. Nicht wenige haben sich bei mir sogar bedankt für meine klaren Worte.“

Melanie Brinkmann: Wir haben keine gute Fehlerkultur in Deutschland

Ist Deutschland besser durch die Pandemie gekommen als andere Länder? „Für eine Abschlussbilanz ist es noch zu früh, die können wir in frühestens 10 Jahren ziehen“, sagt sie. Wichtig sei jetzt, nach vorne zu blicken und aus den Fehlern zu lernen, um für die nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein. In der Rückschau machten viele Menschen den Fehler, bei der Analyse die Erkenntnisse von heute zugrunde zu legen. Jetzt, wo man es besser wisse. „Aber damals hatten wir es mit einem ganz neuen Virus zu tun, und keiner wusste verlässlich vorherzusagen, wie ihm beizukommen sei.“ Sie legt uns einen Essay des „Zeit“-Wissenschaftsredakteurs Jakob Simmank ans Herz: „Zwei Jahre Corona – und wir haben so wenig verstanden“.

„Wir haben keine gute Fehlerkultur in Deutschland“, meint sie und ahnt, dass die Politik sich kaum die Mühe machen wird, die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten. „Wir Wissenschaftler machen das vielleicht besser“, meint sie achselzuckend. Aber Wissenschaftler müssen sich schließlich auch keiner Bürgerwahl stellen. Melanie Brinkmann hat die Erfahrung gemacht, dass sich Politiker vor einer Talkshow genau unterrichten lassen, wer mit ihnen am Tisch sitzt. Um zu wissen, von wo Gegenwind zu erwarten ist und bestens gewappnet zu sein in Argumentation und Selbstverteidigung.

Ursprünglich wollte sie Wissenschaftsjournalistin werden. Doch sie landete im Forschungslabor – und ist darin glücklich geworden. „Mein Beruf ist auch mein Hobby“, sagt sie. Deshalb mache es ihr auch nichts aus, hin und wieder an Sonntagen zu arbeiten. „...wenn ich mal nicht an einem Fußballplatz oder Handballfeld stehe“, meint sie lächelnd. Schließlich will sie ihre sportlichen Söhne anfeuern. Die sind jetzt 16, 14 und 9 Jahre alt. Die ersten beiden sind in Amerika geboren, wo Melanie Brinkmann und ihr Mann einige Jahre arbeiteten. „Das war eine gute und wichtige Zeit, weil ich ein anderes System kennenlernen und über den Tellerrand schauen konnte.“ Sie könne nur jedem empfehlen, mal eine Zeit lang ins Ausland zu gehen.

Die Familie ist gerade innerhalb des Stadtteils umgezogen. An den Rand von Stöckheim. Sie schwärmt: „Überall blüht der Klatschmohn. Vögel! Hasen! Rebhühner! Wie in den Büchern von Roger Rabbit.“

Seit 13 Jahren leben die Brinkmanns in Braunschweig. Sie mag die Stadt. Ihre Übersichtlichkeit, die vielen grünen Ecken, die Menschen. „Ab und an finde ich auch mal den Trubel wie in Berlin ganz nett. Aber nach zwei Tagen wird’s mir meist zu anstrengend, und ich sehne mich zurück nach mehr Beschaulichkeit.“

Melanie Brinkmann liebt die Natur. Ihr Mann, ein Tierarzt, stammt aus dem Allgäu. Nicht nur dort wird leidenschaftlich gewandert. Gern auch im näher gelegenen Harz. Sie mag es auch, im Windschatten ihres Mannes auf dem Rennrad unterwegs zu sein. Nach der Geburt der Kinder war sie aber erst einmal auf ein robusteres Modell umgestiegen. Mit dem radelt sie – so oft das Wetter es zulässt – auch zur Uni. „Ich liebe meinen Arbeitsweg! Entlang der Oker und durch Braunschweigs Parks!“ Und schon haben wir uns wieder verplaudert in den banaleren Bereichen des Lebens...

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