Salzgitter-Bad. Am 7. Mai spielt Isbogas Theater-Ensemble „Halber Apfel“ die Komödie „Ötztürks – Mein Krampf“. Ort: das Gymnasium Salzgitter-Bad.

Theatermacher und -pädagoge Murat Isboga aus Lüdenscheid gastiert am Sonntag, 7. Mai, 15 Uhr, mit seinem Theater „Halber Apfel“ in der Aula des Gymnasiums in Salzgitter-Bad. Auf dem Programm steht Isbogas jüngstes Stück: „Öztürks – Mein Krampf“, eine Komödie in zwei Akten mit ernstem Hintergrund. Es geht um Fremdenhass und Rassismus.

Im Gespräch mit der Salzgitter Zeitung erzählt Isboga mehr zu seinem Stück und seiner Motivation.

Herr Isboga, umreißen Sie bitte die Handlung der Komödie.

Ali Öztürk nimmt die Aussage eines Parteisprechers in einer Talkshow zu wichtig. Dieser hatte gesagt, dass seine Partei nicht nur alle Flüchtlinge abschieben würde, sondern auch alle Ausländer, die dem Gesetz nur annähernd in die Quere kommen. Ali hatte eben eine Deutsche beim Ausparken angefahren, die nun bewusstlos hinter seinem Wagen liegt. In seiner Panik vor Abschiebung nimmt er sie mit, um sie nach bester türkischer Gastfreundschaft mit seiner Familie zu pflegen. Die Öztürks wissen nicht, dass diese Frau mit hinter fremdenfeindlichen Anschlägen steckt.

Brisanter Stoff: Was war Ihre Motivation?

Es geht in erster Linie um Rassismus, ein Thema, das mich über die Jahre sehr beschäftigt. Meiner Meinung nach wird es nicht effektiv genug behandelt. Rassismus passiert viel mehr und öfter, als wir darüber erfahren. Ich wollte mit diesem Stück nicht nur aus der Perspektive der Betroffenen (Da denkt man in erster Linie an Ausländer), sondern auch aus der Perspektive von Millionen von Menschen an die Sache gehen, die sich gegen rechte Gewalt einsetzen.

Das in einer Komödie: Eine Gratwanderung?

Ja, aber dieses ernste Thema behandeln wir im Gleichgewicht zwischen Komödie und Drama. Für die Komödie sorgen vor allem die Randgeschichten der Figuren, die alle, abgesehen vom Rassismus, auch andere Probleme haben. Wie die türkische Mutter zum Beispiel, die in der zweiten Generation seit den 80er Jahren in Deutschland lebt und jetzt endlich versucht, der Rolle der Mutter und Ehefrau zu entkommen, um sich selbst zu verwirklichen.

Sie haben es bereits angesprochen, das Kernthema Ihres Stücks: Rassismus, Fremdenhass. Begegnet Ihnen diese Form von Hass in Ihrem Alltag?

Ich muss sagen, leider ja! Es ist kein Fremdenhass, der mit direkter Gewalt verbunden ist, den ich über die Jahre erlebt habe. Vielmehr sind es die „kleinen“ zwischenmenschlichen Dinge, die einen das fühlen lassen. Ob bei der Wohnungssuche, in der Schule, bei der Jobsuche oder während der Fastenzeit. Aber für mich ganz, ganz wichtig: Wir behandeln das Thema in diesem Stück auf den Alltag in Deutschland bezogen, weil wir eben diese Erfahrungen gemacht haben. Zugleich macht das Stück deutlich, dass Rassismus nicht nur ein Problem in Deutschland ist, sondern überall auf der Welt.

Wie treten Sie diesem Hass entgegen?

Dieser Hass hat dazu geführt, dass ich ein Theaterstück dazu geschrieben habe. Ich möchte viele Menschen für dieses Thema sensibilisieren. Ich bin jetzt 40 Jahre alt und merke, dass ich in verschiedenen Lebensabschnitten anders darauf reagiert habe. In jungen Jahren noch sehr schüchtern und fast ängstlich. Mit der Zeit, dem wachsenden Selbstbewusstsein und der Lebenserfahrung konnte ich gegen Fremdenhass argumentieren. Im Alltag gibt es eine sehr schwierige aber meiner Meinung nach effektive Methode: den Hass mit Liebe bekämpfen. Natürlich merkt man aber auch, dass es nicht bei jedem wirkt.

Es wird viel über Integration gesprochen. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Integration ist für mich nicht, Schweinefleisch essen zu müssen (lacht). Es geht doch einfach darum, dass man die Sprache angemessen sprechen kann und nicht komplett isoliert von der deutschen Gesellschaft lebt. Jeder in Deutschland sollte seine Kultur und Religion ausleben können, solange es dem Gesetz nicht widerspricht. Ich pflege eine starke Bindung zu den Heimatstädten meiner Eltern in der Türkei, weil viele Verwandte von mir da leben. Ich lebe aber sehr gerne in Deutschland. Das Eine muss das Andere nicht ausschließen. Meine Kinder sind auch in Deutschland geboren wie ich.

Wie weit darf Integration denn gehen, bevor sie zum vermeintlichen „Verrat“ (ein harter Begriff) an den eigenen Wurzeln wird? Auch um diesen Zwiespalt oder Spagat geht es ja oft.

Von Verrat an eigenen Wurzeln würde ich nie sprechen. Wir befinden uns ja nicht im Krieg. Das ist keine Mathematik in der es Formeln gibt, die zu einer richtigen Lösung finden. Ich habe Probleme mit Menschen, die mit Akzeptanz, Toleranz, Empathie nichts am Hut haben. Egal welcher Nation, egal welcher Sprache.

Bereiche der Stadt Salzgitter werden als „Brennpunkte“ bezeichnet. Der Begriff suggeriert, dass Integration nicht wie erhofft funktioniert. Woran kann das liegen?

Es ist kaum möglich, diese Frage in ein paar Zeilen zu beantworten. Als wir 2009 „Stefanie integriert die Öztürks“ das erste mal aufgeführt haben, war unser Motto, ‘Wenn wir uns besser kennenlernen, wird alles einfacher’. Und dazu stehe ich immer noch. Es wird nie alles perfekt. Aber vom Kindergarten bis zum Seniorenheim erfordert es mehr Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Kulturen, mehr Dialog, mehr gemeinsame Aktionen. Oftmals sehe ich Aktionen und Veranstaltungen von Vereinen oder Städten, die diesem Miteinander zwar dienen sollen, aber im Endeffekt nur gemacht werden, damit es am Ende im Jahresbericht steht. Also nicht wirklich effektiv.

Ein großes Problem für das Entstehen dieser „Brennpunkte“ ist für mich das Schulsystem mit seinen komplett überforderten Lehrkräften. Sie sind meiner Meinung nach pädagogisch nicht auf die „neue Welt“ vorbereitet und zu dem auch noch unterbesetzt.

Nicht vorbereitet und überfordert – das sind harte Worte …

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor einigen Jahren bekam ich an einer Grundschule mit, wie die Kinder in der Pause die Mannschaften für ein Fußballspiel festlegten: Christen gegen Moslems. Das war ein Schock für mich, also sprach ich die Rektorin daraufhin an, die das ganz gelassen hinnahm. Jetzt frage ich Sie: Wie soll die Entwicklung dieser achtjährigen Kinder aussehen, wenn sie von ihren Eltern nicht lernen, dass das nicht in Ordnung ist und in den Schulen dagegen nichts getan wird? Schulen und Eltern müssen besser zusammenarbeiten. Die Eltern müssen aufgeklärt werden.

Sie haben bis 2009 Theaterstücke ausschließlich in türkischer Sprache geschrieben, dann auch in deutscher. Man sagt, man muss in der Sprache denken, die man gerade spricht, um sie zu verstehen und um verstanden zu werden. Denken Sie zweisprachig?

Ich kann tatsächlich in zwei Sprachen denken. Da ich mit zwei Kulturen groß geworden bin, ist das ein riesiger Vorteil für meine Arbeit. Es ist sehr spannend zu sehen, wie verschieden Menschen aus verschiedenen Kulturen auf bestimmte Szenen reagieren, sowohl in der Komödie als auch im Drama. Ich nutze die „türkische Denkweise“, um dem deutschen Publikum neue Fenster und Türen zu öffnen und andersrum.

Erzählen Sie etwas mehr von sich.

Ich habe so ziemlich alle Stationen durchlebt, geboren 1982 in Deutschland, Kindergarten, Grundschule Gymnasium für 1,5 Jahre, bis der Biolehrer mich in Klasse 6. anschrie, ’geh doch dahin wo du hingehörst’, dann Hauptschule, Firmenarbeiter, Ausbildung Metallbauer (abgebrochen), Abendgymnasium, Studium der Literatur, Kultur und Medienwissenschaften, Mitarbeiter beim WDR und freier Mitarbeiter in Zeitungen, Gründer des Theaters Halber Apfel und Theaterpädagoge, und so weiter – in Kurzform.

Gibt es eine Mission hinter Ihrer Theaterarbeit?

Ich hatte das Glück, aus meinem Hobby meine Arbeit machen zu können. Meine Mission ist es in erster Linie, dass die Zuschauer einen Gegenwert für ihren Eintritt bekommen. Sie sollen am Ende sagen ‘Es hat sich auf jeden Fall gelohnt’. Manche müssen dafür viel lachen, die anderen möchten lieber zwischen den Zeilen lesen, und manche möchten mit neuen Erkenntnissen das Theater wieder verlassen. Ich habe in meinen Stücken immer für jeden was dabei. Das Wichtigste in den 18 Jahren Theaterarbeit ist für mich geworden: Lasst uns neue Fenster und Türen in unseren Köpfen öffnen.

Das Stück „Ötztürks – Mein Krampf“ wird am Sonntag, 7. Mai, von 15 Uhr an in der Aula des Gymnasiums Salzgitter-Bad gespielt. Karten gibt es unter anderem im Rathaus Lebenstedt, im Reisebüro Flugbörse und im Kleinen Rathaus in Salzgitter-Bad sowie an der Abendkasse. Sie kosten 10 Euro im Vorverkauf und 15 Euro an der Abendkasse, Schüler zahlen 6 Euro. Veranstalter sind die Stadt Salzgitter und der Bürgerservice für Migranten.

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