Braunschweig. Auch nach dem Ende der Corona-Pandemie und der Rückkehr an die Uni geht es etlichen Studierenden nicht gut. Was sind die Gründe dafür?

Trotz der Aufhebung der Corona-Beschränkungen haben etliche Studierende immer noch mit den Nachwirkungen zu kämpfen: Lustlosigkeit, fehlendes Zugehörigkeitsgefühl und Einsamkeit. Dabei war die Hoffnung auf Normalität groß: Partys, endlose Debatten mit Bier und Wein über Wünsche und Träume für die Zukunft, lebenslange Freundschaften, neu erlangte Freiheiten an der Schwelle zum Erwachsensein... Doch zwei Jahre Online-Lehre und endloses Starren auf Bildschirme haben Spuren hinterlassen.

Studierendenwerk Ostniedersachsen: Erstsemester haben sehr gelitten

Zahlen des Studierendenwerkes Ostniedersachsen verdeutlichen des Problem: Im Studienjahr 2022 haben sich 817 der rund 17.800 TU-Studierenden an die psychotherapeutische Beratungsstelle des Studierendenwerkes gewendet, also fast fünf Prozent. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, waren es noch 617 Studierende von insgesamt rund 19.700 (rund drei Prozent).

Viele Studierende haben im Lockdown Verhaltensmuster gelernt, die sich offensichtlich nur wieder schwer ändern lassen. Das bestätigt Michaela Himstedt von der psychotherapeutischen Beratungsstelle: „Bei uns tauchte das Thema Einsamkeit häufiger auf als früher.“

Besonders Studierende aus den ersten Semestern hätten massiv unter den Coronaeinschränkungen und dem Lockdown gelitten. „Manche haben nach vier Semestern erstmalig Präsenzveranstaltungen gehabt und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen gesehen – und Kennenlernen ist das noch nicht.“ Ihr zufolge sind einige Studierende wieder zu den Eltern zurückgekehrt, andere fühlten sich im Wohnheim oder der WG vereinsamt, weil kaum jemand da war. Das Studierendenwerk habe durchgängig Einzelberatung und Gruppenberatung angeboten, sowohl in Präsenz als auch online.

Internationale Studierende hat es auch sehr hart getroffen

„Es gehört auch der Mut dazu, es auszusprechen: Ich fühle mich einsam, allein“, erläutert Himstedt. „Das wird nämlich oft als peinlich erlebt: Wenige oder keine Kontakte zu haben, wird schnell gleichgesetzt mit uncool sein, uninteressant, merkwürdig und so weiter. Viele fanden es erleichternd zu hören, dass es anderen ähnlich geht – und dass es wirklich eine Herausforderung ist, mit dieser Situation klarzukommen.“

Jetzt komme noch erschwerend die allgemeine Erwartung hinzu, dass alles wieder „normal“ sei. „Einige gehen ausgiebig feiern und genießen ihre wiedergewonnene Freiheit, während andere im Rückzug verharren und sich überwinden müssen, wieder herauszugehen. Sie haben Kontakte abgebrochen oder verloren.“

Die internationalen Studierenden habe es in den Lockdowns besonders hart betroffen, so Himstedt, da es für sie generell problematisch war, hier Kontakte und Anschluss zu finden – erschwert dadurch, dass fast alle Veranstaltungen online waren. „Viele waren aufgrund der Bedingungen im Heimatland und aus finanziellen Gründen zwei oder mehr Jahre nicht zu Hause, ohne hier ein neues Zuhause gefunden zu haben.“

Umfrage der TU Braunschweig im Jahr 2022: Ein Drittel fühlt sich einsam

Auch die TU Braunschweig befasst sich mit dem Wohlergehen der Studierenden. Man nehme die Sorgen sehr ernst, betont Pressesprecherin Regina Eckhoff. Um ein Bild zu erhalten, hatte die Universität im letzten Sommersemester alle Studierenden zu Studienbedingungen und Gesundheit befragt. 2700 Studierende (16 Prozent) haben sich beteiligt.

Demnach gaben zum Beispiel rund 55 Prozent der Befragten an, sie fühlten sich anonym und nicht zugehörig zur Universität. Ein Drittel sprach von Einsamkeit in der Pandemie. „Auf der anderen Seite wurde von 65 Prozent positiv angegeben, dass sie sich auch in der Pandemie-Zeit gegenseitig im Studium unterstützten, und über 70 Prozent bezeichneten das persönliche Verhältnis unter den Studierenden als gut“, so Eckhoff.

Überraschende Ergebnisse gab es bei den Studierendenleistungen in den Online-Semestern: So brachen zwar einerseits bei etwa 40 Prozent die Leistungen ein. Andererseits hat sich bei 40 Prozent eine allgemeine Verbesserung gezeigt.

Asta der TU Braunschweig: Es mangelt auch am Geld

Der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) sieht die Lage weiterhin kritisch. Laut Vorstandsmitglied Adrian Brozek hatten viele junge Menschen in der Pandemie das Gefühl, ihre persönlichen Belange seien von der Uni nicht wahrgenommen worden und man habe sie nur auf ihre Noten runtergebrochen.

Auch die Politik habe die Studierende völlig vergessen, sagt Brozek: „Dabei sollte die Hochschulpolitik doch junge Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern ausbilden und ihnen helfen, sich aktiv am demokratischen System zu beteiligen.“ Er kritisiert zudem eine unzureichende finanzielle Unterstützung: „Wenn das Geld fehlt, um am Sozialleben teilzunehmen, ist klar, dass viele Studierende vereinsamen.“ Die 200-Euro-Energiepauschale für Studierende kritisiert er als viel zu niedrig: Angesichts der massiv gestiegenen Kosten in allen Lebensbereichen sei das ein Witz.

TU Braunschweig: Es gibt sehr viele Angebote

TU-Sprecherin Regina Eckhoff erläutert, dass die Uni während der Pandemie digitale Angebote zur Vernetzung der Studierenden und zur Bildung von Lerngruppen initiiert habe. Außerdem sei das stark nachgefragte Angebot der psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks ausgebaut worden. Man habe auch das kostenfreie Projekt „Health4you“ ins Leben gerufen – unter anderem mit Workshops zu Stressmanagement, Ernährung und Mentalstrategien.

Anfang dieses Jahres habe es eine Gesundheitswoche gegeben – zum Beispiel mit Ernährungs- und Bewegungsangeboten, Vorträgen zu Achtsamkeit sowie Cardio-Stresstests. Des Weiteren gebe es viele Möglichkeiten, aktiv zu werden und Kontakte zu knüpfen. So bietet der Hochschulsport laut Eckhoff rund 90 Sportarten in 160 Kursen pro Woche an. Zudem gibt es über 80 studentische Initiativen, in denen man sich engagieren kann: etwa das wöchentliche Community-Café, den Campusflohmarkt und das Campus-Kino.

In Tutorengruppen werden Kompetenzen nachgeholt

Darüber hinaus werden regelmäßig Veranstaltungen wie Lunch Breaks und Exkursionen angeboten. Neu ist im Sommersemester ein Support-Programm für chinesischsprachige Studierende. Die Angebote des „International Student Support“ werden Eckhoff zufolge von den internationalen Studierenden sehr gut angenommen und helfen dabei, Problemen wie Einsamkeit vorzubeugen.

Die Pressesprecherin kündigt an, dass die TU kurzfristig weitere Maßnahmen mit Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden der Verwaltung erarbeiten wolle. Sie sollen die Gesundheit der Studierenden stärken und die Studienbedingungen weiter verbessern. Bereits angelaufen sei das Angebot, in Tutorengruppen Kompetenzen, insbesondere in praktischen Bereichen wie Laborarbeit, nachzuholen.

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Lesen Sie auch den Kommentar von Max Norris (Student):

Student in der Pandemie: Lustlosigkeit, existenzielle Sorgen, Depressionen

Zu meinen, die Welt sei nach fast drei Jahren Corona wieder komplett in Ordnung, ist falsch. Meine Studienzeit hat bisher so ausgesehen: 2019 startete ich voller Tatendrang mit dem Studiengang Sozialwissenschaften in Braunschweig. Die Orientierungswoche, all die Veranstaltungen nahm ich voller Elan an. Ich versuchte, Freunde zu finden. Mal erfolgreich, mal eher nicht. Wie das ebenso ist. Der erste Hauch vom Erwachsenwerden wurde angeschnitten.

Im zweiten Semester begann das Übel: Vor dem PC zu sitzen und an Vorlesungen teilzunehmen, war erstmal nicht schlimm. Das Schlimme waren die Stunden dazwischen. Dadurch, dass ich alleine gewohnt habe, wurde es schnell einsam. Allein essen. Morgens, mittags, abends immer alleine. Chatten und telefonieren war nicht das Gleiche wie „in echt“ mit Freunden zu reden.

Allmählich schlich aus allen Ecken der Wohnung die Einsamkeit. Es wurde zur Qual. Die Konzentration ließ immer weiter nach, bis hin zur kompletten Lustlosigkeit. Es wurde so schlimm, dass ich am Ende des zweiten Semesters vermehrt nur noch bei meinen Eltern gewohnt habe. Doch dort fühlte ich mich auch nicht besser. Die alten Freunde wurden eher zu Bekannten. Kommilitonen entwickelten sich nie zu Freunden, sondern blieben Mitstudierende. Das Zufällige, Spontane, nicht Planvolle hat gefehlt.

Das ging bis ins fünfte Semester so weiter. Hinzu kamen Angstzustände und Unsicherheiten über meine Zukunft, weil zum Beispiel Praktika nicht möglich waren. Die Gedanken um die Berufswahl wurden zur Qual. Erste existenzielle Sorgen und Depressionen kamen. Dies schnürte sich so weit zu, dass ich mich im Januar 2022 entschieden habe, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Als die Universität wenig später ankündigte, sie würde ihren regulären Betrieb wieder aufnehmen, fiel mir ein Stern vom Herzen. JA! Endlich wieder Uni. Endlich wieder normales Leben.

Doch wie so oft im Leben liegen Vorstellung und Realität weit auseinander. Anscheinend haben andere Mitstudierende durchaus Kontakt miteinander gehabt. Auch waren Kommilitonen und Kommilitoninnen, die man anfangs kennengelernt hatte, nun irgendwie fremd. Hinzu kam, dass man jetzt „erwachsen“ war und von einem erwartet wurde, am „erwachsenen Leben“ teilzunehmen. Mit seinen Lebensfragen war man jedoch noch nicht wirklich weiter.

Hinzu kamen Fragen wie diese: Wie gelingt die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen? Was sagt man? Wie verhält man sich? All die sozialen Fähigkeiten waren dahin. Ich fühlte mich schon damit überfordert, mit anderen in der Pause über Seminarinhalte zu sprechen.

Ich hätte mir Seminare zur „Wieder-Eingliederung“ in die Universität gewünscht, in denen man über die Zeit der Pandemie gesprochen hätte. Kurse, die etwas mit sozialen Kompetenzen und Kommunikation zu tun haben. Nicht mal eben schnell am Wochenende für fünf Stunden. Man soll mich bitte nicht falsch verstehen: Ich will die Uni nicht in ein schlechtes Bild rücken. Inzwischen ist es durchaus besser geworden. Doch noch immer fällt es etlichen schwer, sich von den Routinen und Gedanken zu lösen, die einen in der Pandemie begleitet haben. Ein wenig mehr Verständnis würde vielen helfen.

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