Wernigerode. Seit mehr als 120 Jahren gibt es eine Zugstrecke auf den Brocken. Die deutsch-deutsche Teilung macht vorerst den Brocken für Zivilisten unerreichbar.
Bei der Brockenbahn gibt es zwei Perspektiven: Die Wanderer hören das Schnaufen und Pfeifen, bleiben stehen und sehen dem Dampfzug nach. Von drinnen wiederum schauen sich die jährlich mehr als 600.000 Passagiere das Harzer Bergpanorama an – allerdings auch große Flächen sterbender Fichten. Am Fenster zieht dabei hin und wieder Dampf vorbei und es riecht nach Kohlefeuer.
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Beliebt sind die wenigen offenen Plattformen an den Übergängen zwischen den historischen Wagen. Wer fotografiert, versucht etwa in den weiten Kurven, in denen sich die Bahn von Drei Annen Hohne über Schierke bis zum Gipfel hinaufwindet, ein Bild von der Lok ganz vorn zu erhaschen.
700 PS starke Dampfloks winden sich den Brocken hoch
Seit 30 Jahren fahren wieder Züge auf den Brocken – gezogen von rund 700 PS starken Dampfloks. Eisenbahn-Enthusiasten und Menschen aus der Region machten sich gleich nach der Öffnung des Brockens am 3. Dezember 1989 für die Wiederinbetriebnahme der Schmalspurstrecke stark. Die Zeit, in der der Harzgipfel an der Grenze von DDR und BRD, dem Militär gehörte, sollte vorbei sein. An diesem Mittwoch erinnert die Harzer Schmalspurbahn (HSB) an die Wiedereröffnung der Strecke am 15. September 1991.
Reporter berichteten damals, wie hunderte Wandersleute die Schienenstrecke säumten, als sich das stählerne Dampfroß zischend und pfeifend seinen Weg nach oben bahnte. Gezogen von zwei fast 100 Jahre alten Mallet-Dampfloks, fuhr der erste Personenzug seit 30 Jahren und 33 Tagen um 12.20 Uhr im Brockenbahnhof ein. So wie schon im Bahnhof in Schierke viele Leute die Bahn sehen wollten, warteten auf dem Gipfelplateau tausende Besucher bei strahlendem Sonnenschein auf den Oldtimer-Zug. Jagdhorn-Melodien wie „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ und „Bergvagabunden“, mischten sich - so wurde berichtet – mit dem fröhlichen Pfeifen der Dampflok.
Brocken war strategisch wichtiger Punkt für den damaligen Ostblock
Der 1141 Meter hohe Brocken direkt an der innerdeutschen Grenze war ein strategisch wichtiger Punkt für den damaligen Ostblock. Der letzte Personenzug verließ am Nachmittag des 13. August 1961 den Berggipfel. Für die Brockenbahn war in Schierke, am Fuß des Berges, Endstation. Nur noch wenige Versorgungszüge fuhren bis nach oben – bis 1987, dann war die Strecke so marode, dass nichts mehr ging.
Der Brocken war zu militärischem Sperrgebiet erklärt worden. Von seinem Plateau aus sollte der westliche Luftraum ausgespäht werden, es gab Abhöranlagen und Richtfunksender. Für Zivilisten führte kein Weg auf den Berg. Dieser war von Ost wie West zwar sicht-, aber unerreichbar.
Züge waren nach Wiedereröffnung überfüllt
Laut der Harzer Schmalspurbahn waren in den ersten Tagen nach der Wiedereröffnung die Züge völlig überfüllt – viele Menschen konnten nicht mitfahren. Bis zum 31. Oktober 1991 zuckelten noch weitere 28 Sonderzüge mit insgesamt 6160 Reisenden auf den Brocken. Danach wurden Bauarbeiten an der Strecke fällig, so dass ein regelmäßiger Verkehr zwischen Schierke und dem Brocken erst am 1. Juli 1992 aufgenommen werden konnte. Dann ging es per Zug fünf Mal hinauf und hinunter.
Die Schmalspurbahn kannte schon immer stolze Preise: Eine einfache Fahrt von Schierke auf den Brocken kostete damals 12 D-Mark, von Wernigerode aus 15,60 D-Mark. Den Trip hin und zurück gab es als Sondertarif für 24 D-Mark. Dies war aber für viele offenbar kein Hinderungsgrund: Allein in den beiden Ferienmonaten Juli und August 1992 erzielte die Brockenbahn einen Umsatz von rund zwei Millionen D-Mark.
Heute zahlen Erwachsene für die einfache Fahrt auf den Brocken 33 Euro, für die Hin- und Rückfahrt 49 Euro. Seit vielen Jahren gibt es laut HSB einen bewährten Fahrplan, nach dem in Spitzenzeiten täglich fest bis zu elf Zugpaare auf den Gipfel fahren sowie zusätzlich ein Oldtimer-Zug als Sonderzug. Dass mehr als 600.000 Fahrgäste die Brockenbahn nehmen, liegt vermutlich auch daran, dass der Berg für den Autoverkehr tabu ist. Wer hoch will, muss laufen oder radeln – oder eben per Bahn dorthin kommen.
Sommer wie Winter stampfen die Züge heute hoch zum Brocken – der Gipfel hat in jeder Jahreszeit seinen Reiz. Die Besucherinnen und Besucher hoffen vor allem auf eine möglichst gute Fernsicht, oft genug liegt der Gipfel aber im Nebel und es ist windig. Beliebt sind obendrein Ausflüge in den Schnee, der oben liegt, wenn davon im Flachland gar nichts zu spüren ist.
Wer mit der Brockenbahn fährt, nutzt eine Strecke, die es schon sehr viel länger gibt als die deutsch-deutsche Teilung zurückliegt. Von der Eröffnung im März 1899 an hatte es jeweils Zugverkehr zum Brocken vom 30. April mit einem Walpurgis-Sonderzug als Saisoneröffnung bis zum 30. Oktober des jeweiligen Jahres gegeben, so die HSB. „In den Wintermonaten konnte man die Strecke nicht frei halten“, erklärt HSB-Sprecherin Heide Baumgärtner. „Heute verfügen wir über eine moderne Schneefräse aus der Schweiz, die die Brockenstrecke regelmäßig beräumt.“
Wind, Schnee und Corona stoppten die Brockenbahn
Aber selbst die Fräse ist hin und wieder machtlos: Im Januar 2019 etwa brachten Wind und Schnee die Zugverbindung auf den Brocken zum Erliegen. Eines der Dampfrösser erhielt gar den Spitznamen „Eislok“: Es fuhr sich am 8. Januar in einer Schneewehe fest. Über mehrere Tage wurde die Lokomotive aufwendig in Handarbeit befreit. Einen noch längeren Stillstand gab es dann wegen Corona: Im Frühjahr 2020 waren es 62 Tage und im zweiten Lockdown von November 2020 bis Juni dieses Jahres laut HSB insgesamt 219 Tage.
Die Wiederaufnahme des Zugverkehrs zum Brocken nach der Wiedervereinigung war durchaus heftig umstritten. Umweltschützer befürchteten einen „zerstörerischen Brockentourismus“, wie sich Friedhart Knolle – heute Pressesprecher des Nationalparks Harz und vom Nationalpark Förderverein – erinnert.
Schon damals sei klar gewesen, dass der Brocken ein Berg des Tourismus werden würde. Naturschützer engagierten damals sogar einen Anwalt, um gegen die Brockenstrecke vorzugehen. Verhindern konnten sie am Ende nichts. Inzwischen sind alle enger zusammengerückt und heute habe man ein gutes Verhältnis zur Brockenbahn, sagt Knolle.
Sie sei natürlich ein Eingriff in die Umwelt, verliere Öl und könne durch Funkenflug Waldbrände verursachen. Aber die Genehmigung für die Brockenbahn gebe es schon seit 100 Jahren. „Was genehmigt ist, ist genehmigt“, fasst Knolle zusammen. Und Fakt sei: „Die Menschen lieben das qualmende Ungeheuer.“
dpa