Hannover. Selten war ein Zwischenzeugnis so bedeutungslos, wie zur Halbzeit der großen Koalition in Niedersachsen. Unterm Strich zählt die Corona-Bewältigung.

Zum Start der großen Koalition in Niedersachsen Ende 2017 war die Situation aus heutiger Sicht fast paradiesisch: Ausgestattet mit einer üppigen Mehrheit und dank der Hochkonjunktur sprudelnden Steuereinnahmen machten die bisherigen Langzeitgegner SPD und CDU sich an eine Vielzahl von Projekten, am Geld scheiterte nichts. Anders als in Berlin machte die Koalition nicht groß durch Streit von sich reden. Zur Halbzeit aber ist nun angesichts der Corona-Pandemie plötzlich an allen Fronten Krisenmanagement angesagt – ob das Zwischenzeugnis für die Vergangenheit da je nach Blickwinkel eher gut oder mäßig ausfällt, tut kaum mehr zur Sache.

„Die große Koalition ist und bleibt eine ungeliebte Zweckgemeinschaft“

Dabei wurden etliche Vorhaben in der ersten Halbzeit erfolgreich abgearbeitet: Mehr Polizisten und Lehrer wurden eingestellt, das umstrittene Polizeigesetz verabschiedet, die Kitas für die Eltern beitragsfrei gemacht, der Weg für eine Landarztquote geebnet, ein Digitalisierungsplan für das Land voller Funklöcher angeschoben, die Schuldenbremse eingeführt und der Pflegekammer nach massiven Querelen die Chance zu geordneter Arbeit gegeben. Zudem wurde mit dem Reformationstag ein neuer Feiertag eingeführt. „Wir haben ein gutes Betriebsklima in der großen Koalition“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kürzlich. Von einem „gut eingespielten Team“ sprach Vize-Regierungschef Bernd Althusmann (CDU).

„Die große Koalition ist und bleibt eine ungeliebte Zweckgemeinschaft. Das scheinbare Regieren mit ruhiger Hand ist im Wesentlichen ein Verwalten des Status Quo“, urteilt indes die Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. CDU und SPD hätten keine gemeinsame Vision für Niedersachsen entwickelt, Herausforderungen wie der Klimawandel seien bislang nicht angegangen worden. Und auch das vermeintliche Zusammenrücken in der Corona-Krise täusche: „Hinter den Kulissen herrscht großer Unmut und die Ministerien arbeiten nebeneinander her und heischen um Aufmerksamkeit.“

AfD-Chefin Dana Guth spricht von einer Bilanz der gebrochenen Wahlversprechen

Und auch FDP-Landeschef Stefan Birkner zieht eine ernüchternde Halbzeitbilanz, Niedersachsen werde unter seinen Möglichkeiten regiert und der Koalition fehle es an Visionen. „In vielen zentralen Bereichen geht es nicht voran. Die Unterrichtsversorgung an den Schulen ist nach wie vor nicht gesichert, obwohl das Angebot an Lehrkräften sich erheblich vergrößert hat.“ Nachholbedarf gebe es bei der Digitalisierung, etwa bei deren Einsatz an Schulen. „Die hier vorhandenen Schwächen sind in der aktuellen Krise deutlich sichtbar geworden.“ Die versprochene, konsequente Aufgabenkritik sei ebenfalls ausgeblieben.

AfD-Chefin Dana Guth ist von der Koalition ebenfalls nicht beeindruckt. „Es ist eine Bilanz der gebrochenen Wahlversprechen, des seichten Vor-sich-hin-regierens und schlussendlich des multiplen Versagens in der Corona-Krise.“ Auf große Fortschritte bei der Digitalisierung warte die Bevölkerung noch immer, ebenso auf ein Informationsfreiheitsgesetz, das für mehr Transparenz bei den Behörden sorge. Ohne Mehrwert sei das von der Koalition geschaffene Europaministerium mit Dutzenden neuen Stellen gewesen, kritisiert Guth.

Drängendstes Thema: Die Bewältigung der Corona-Krise

Bei aller Oppositionskritik unbestritten ist, dass die Koalition noch unerledigte Aufgaben vor sich hat und sich neue Herausforderungen auftürmen. So wird die vorgelegte Wolfsverordnung den Dauerstreit um das Tier selbst aus Sicht von Umweltminister Olaf Lies (SPD) nicht ausräumen. Und mit der Düngeverordnung ist das Land zwar den Grundwasserschutz angegangen – wie die Landwirtschaft sich angesichts von Dürre und Hitze künftig aufstellt, ist noch unklar, ebenso wie die Reaktion des Landes auf die Klimakrise an sich. Gesucht wird auch noch eine Lösung zur Schaffung von mehr Wohnraum, bei der Frage der Einrichtung einer Landeswohnungsbaugesellschaft sind die Koalitionäre sich uneins.

Drängendstes Thema aber wird zunächst die Bewältigung der Corona-Krise sein. „Wie kommen wir schnell zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik“, gab Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) am Montag den Kurs vor - und kündigte zugleich an, dass die Ausgabenpolitik auf dem Prüfstand steht. Sparen statt Ausgeben sei nun angesagt und für grundlegend neue Visionen nun nicht der Moment: „Das ist nicht die Zeit, in der wir Reformdiskussionen führen“, betonte Hilbers. dpa

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