„Atomkraftwerke produzieren keine Wärme, sie heizen keine Wohnungen, sondern sie produzieren – Strom.“

Droht uns jetzt der Rückfall in die 80er Jahre? Mit laufzeitverlängerten, stinkenden Kohlekraftwerken und der umstrittenen Kernkraft? Deutschland steht auf Sparflamme. So viel steht spätestens seit dieser Woche fest. Seit Tagen drosselt Russland die Gaslieferungen nach Westeuropa, nutzt unsere Energieknappheit als Druckmittel im Krieg gegen die Ukraine.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat unter der Woche laut und für jeden hörbar den Gas-Alarm ausgerufen. In einer großen Selbstverständlichkeit macht der Grüne gerade so ziemlich alles richtig. Er legt keinen Pathos an den Tag, spricht die Dinge aber schonungslos und präzise an. Er behält die Wirtschaft im Blick, die Menschen auch. Und doch heißt es für Unternehmen und Bürger: für den Winter vorsorgen, Geld zurücklegen.

Und Habecks Kabinettskollege, Finanzminister Christian Lindner? Man hätte den Wecker stellen können, bis der Liberale längere AKW-Laufzeiten ins Spiel bringt. CSU-Chef Markus Söder sprang ihm gleich zur Seite. Beide forderten eine „ideologiefreie“ Bewertung – und richteten diese Aufforderung an die Adresse der Grünen und der SPD.

AKW in Lingen läuft noch bis Ende des Jahres

Lindner und Söder sollten Wissenschaftler finden, die ein plausibles Modell für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken vorlegen, sonst fällt ihr Ideologievorwurf auf sie zurück.

Laut Atomgesetz dürfen die drei restlichen AKW im niedersächsischen Lingen, das bayerische Isar 2 und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg nicht über den 31. Dezember 2022 hinaus betrieben werden. Damit besiegelt Deutschland eine historische Entscheidung der damaligen Bundesregierung aus dem Jahr 2011 – einer schwarz-gelben Regierung übrigens.

Es sieht nicht danach aus, dass die derzeitige Bundesregierung die Entscheidung zurücknimmt. Das ist gut so. Ein AKW-Weiterbetrieb wäre mit sehr hohen wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Risiken verbunden. Man müsste mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Bis 2028 stehen aber hoffentlich längst andere Möglichkeiten zur Verfügung, um eine ausreichende Stromversorgung zu gewährleisten – der Ausbau der Wind- und Solarenergie allen voran.

Wir haben keine Stromlücke

Was die Befürworter einer Laufzeitverlängerung allzu gerne verschweigen: Derzeit liefern die drei noch in Betrieb befindlichen AKW 30 Terawattstunden Strom pro Jahr. Das klingt viel. Ist es auch, unter dem Strich sind es aber nur fünf Prozent der deutschen Stromproduktion. Die AKW würden laut Bundesregierung vor allem Strom aus Kohlekraftwerken ersetzen.

Das heißt im Klartext: Die drei AKW liefern Strom, aber keinen Beitrag zur Erhöhung der Unabhängigkeit von russischen Gasimporten. Längere AKW-Laufzeiten würden aus Sicht der Bundesregierung im Winter 2022/2023 keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit Brennstäben.

Aber lieber noch einmal, damit es nicht untergeht: Wir haben keine Stromlücke, sondern wir haben ein Problem mit Gas. Atomkraftwerke produzieren keine Wärme, sie heizen keine Wohnungen, sondern sie produzieren – Strom.

Die Verträge mit den Mitarbeitern der Kernkraftwerke sind gekündigt, das Personal ist nicht ohne Weiteres kurzfristig verfügbar. Eine weitere Hürde ist der nukleare Brennstoff, der sich Experten zufolge nicht einfach „nachladen“ lässt.

In Frankreich stehen viele AKW still

Dann ist da noch die Frage der Sicherheit: Der Krieg in der Ukraine führt aktuell vor Augen, wie gefährlich Kampfhandlungen in AKW-Nähe sein können. Anfang März sorgte ein Brand auf dem Gelände des ukrainischen AKW Saporischja, dem größten Atomkraftwerk in Europa, für Aufregung. Auch aufgrund der Gefahr eines Zwischenfalls mit Austritt von radioaktiver Strahlung hält die Bundesregierung bislang so entschlossen an ihrer Haltung zur Atomkraft fest.

Zudem lohnt ein Blick ins kernkraftfreundliche Frankreich. 29 von 56 Atomreaktoren dort stehen gerade still. Es kam während der Pandemie zu Verzögerungen bei der Wartung. Noch wichtiger: Korrosionsprobleme haben zu Rissen in den Kühlrohren geführt. Die Franzosen rechnen schon mit Strom-Engpässen im Winter. Auch in Belgien gibt es Sicherheitsprobleme in den Kernkraftwerken.

Und wenn in Deutschland keiner unseren eigenen Atommüll haben möchte, dann können wir auch nicht ernsthaft sagen, dass Atomkraftwerke weiter laufen sollen. Söder, der neben Lindner die Kernkraft vehement fordert, ist auch derjenige, der am lautesten schreit, wenn er ein Endlager in Bayern verhindern will. Niedersachsen und vor allem unsere Region liefern hingegen ihren Beitrag – siehe Schacht Konrad in Salzgitter und die Asse mit dem bekannten Desaster.

Grüne und SPD springen schon über ihren Schatten, da sie zähneknirschend den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken ins Spiel bringen. Das ist eigentlich ein erschütterndes Klima-Signal, aber es ist als Überbrückung nicht anders möglich. Kohlemeiler liefern auch Fernwärme für Wohnungen und Gewerbe – AKW nicht.

Peiner Kohlekraftwerk wird wohl länger laufen

Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) rechnet bereits mit einer längeren Laufzeit des Kohlekraftwerks Mehrum im Landkreis Peine. Mehrum ist das Kraftwerk in Niedersachsen, das im Grunde noch in der Reserve ist und übergangsweise genutzt wird. Ursprünglich sollte das 1979 in Betrieb gegangene Kraftwerk im Dezember vergangenen Jahres komplett heruntergefahren werden.

Auch VW hat längst umdenken müssen. Der Konzern wollte im Stammwerk in Wolfsburg die Kohlemeiler auf das umweltfreundlichere Gas umrüsten. Das Unternehmen hat die Umrüstung des zweiten Kraftwerks in Wolfsburg aber vorerst gestoppt. Kohle bezieht VW nicht mehr aus Russland, sondern aus den USA und Südafrika.

Und auch bei den LNG-Terminals in Niedersachsen geht es voran. Zum Ende des Jahres wird laut der Landesregierung ein LNG-Terminal in Wilhelmshaven einsatzfähig sein – die beiden weiteren Terminals in Wilhelmshaven und Stade immerhin im dritten Quartal des nächsten Jahres. Auch das sorgt für mehr Unabhängigkeit von russischer Energie.

Schließlich muss Deutschland die Energiewende jetzt endlich kraftvoll voranbringen. In unserer Region kommt der Ausbau der Windenergie nach Jahren des Stillstands voran, auch bei der Solarkraft tut sich im Windland Niedersachsen nun etwas. Große Solarparks können auch schon bald zwischen Harz und Heide entstehen. Das ruft auch unseriöse Investoren auf den Plan. Gerhard Schwetje, der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, sprach unter der Woche beim Steinberg-Dialog in Goslar von „Goldgräbern, die durch die Gegen laufen“.

Es wird Härten geben. Diese müssen sozial abgefedert werden. Das Energiegeld könnte erhöht werden. Bislang ist vorgesehen, dass einkommenssteuerpflichtig Beschäftigte eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro bekommen – vom Chefarzt über den VW-Manager bis zur Putzfrau. Das Gießkannenprinzip muss aber aufhören. Und milliardenteure Fehlgriffe wie der Tankrabatt, der in erster Linie in den Kassen der Mineralölkonzerne landet, sollte sich die Ampel nicht noch einmal erlauben. Deutschland wird noch eine ganze Weile auf Sparflamme stehen.