„War die frühe Bundesrepublik ein Rechtsstaat? Für Schwule, Kommunisten und ,Zigeuner’ nur eingeschränkt.“

Unrechtsstaat? Mit Blick auf die DDR ist diese Debatte zum 30. Jahrestag des Mauerfalls wieder hochgekocht. Die einen, nicht zuletzt Westdeutsche, sagen: Selbstverständlich war die Stasi- und SED-Diktatur ein Unrechtsstaat. Die anderen, darunter viele Stimmen aus der Linkspartei, verneinen: aus „Respekt“ vor den „Biografien der Ostdeutschen“ und auch, weil das Label „Unrechtsstaat“ üblichweise dem Nationalsozialismus vorbehalten sei.

Wem diese Debatte manchmal wie ein wohlfeiles Anheften von Etiketten unter politischen Gegnern vorkommt, hat ab kommender Woche Gelegenheit, zumindest sich selbst auf dem Boden historischer Tatsachen zu erden. Am Dienstag nämlich öffnet die neue Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel fürs Publikum. Teils niederschmetternd zeigt die Ausstellung, wie Justiz und Strafvollzug im Nationalsozialismus mit dem NS-Terrorsystem Hand in Hand gingen: Unrechtsstaat, ganz klar.

In neuem Licht erscheint aber die frühe Bundesrepublik. Zwar garantiert das Grundgesetz seit 1949 die Gleichheit vor dem Gesetz. Für Schwule, Kommunisten oder „Zigeuner“ galt das aber nur eingeschränkt. In mancher Hinsicht bedurfte auch die frühe Bundesrepublik der Nachbesserung – vor allem ab 1968. Rechtsstaat? Auf einmal Grautöne statt Schwarz-Weiß. Bequemer macht das die Diskussion nicht. Aber vielleicht fruchtbarer. Weil es plötzlich wieder um die Sache geht – und weniger um die Pflege von Gruppen-Identitäten.