„Die Alltags-Idioten, die Helfer anpöbeln und Behördenmitarbeiter beleidigen, sind zahlreich.“

Es darf keine Nachsicht gegenüber jenen geben, die sich anmaßen, für sich selbst rechtsfreie Räume zu schaffen. (Helmut Kohl)

Die Sprache der Juristen, lamentieren gemarterte Leser länglicher Vertragswerke, reimt sich fast nie auf Eleganz. Tatsächlich muss Juristendeutsch nicht schön sein (obwohl auch das vorkommt), sondern eindeutig. Und dem, was geschrieben steht, muss zur Geltung verholfen werden.

Das klingt einfach. Aber wie ist es, wenn Justizbehörden überlastet sind? Wie groß ist die Versuchung, Verfahren rasch zu erledigen? Kann es sein, dass die Justiz am gnädigsten ist, wenn der Widerstand am größten sein kann, wie Braunschweigs früherer Generalstaatsanwalt Norbert Wolf gestern bei seiner Verabschiedung zitierte? Wer lässt sich auf den Kampf mit einem solventen Beschuldigten ein, wenn mit jedem Tag, den der Staatsanwalt auf diesen Kampf verwendet, der Stapel der Prozessakten wächst?

Wolf und die niedersächsische Justiz sind den Weg der Qualitätsoffensive gegangen. Aus Einzelkämpfern wurden bei Bedarf Teams, Datenberge wurden überwindbar gemacht. Wolf konnte sagen: Wir sind besser geworden. Es war einer der Sätze, die man gerne hört, weil sie dem Vorurteil über eine bräsige Justiz widersprechen. Wolfs Nachfolger Detlev Rust, schon seit einem Vierteljahr im Amt und in Braunschweig fest verwurzelt, hat eine Behörde übernommen, die funktioniert – trotz der VW-Diesel-Verfahren.

Es ist gut, wenn Problembewusstsein und die Bereitschaft zur Selbstkritik mit hoher Lösungskompetenz zusammentreffen. Und damit das Bild nicht zu rosig wird, tritt auch bei einer solchen Feierstunde die Personalvertretung auf, die vor den Ohren der politisch Verantwortlichen unbequeme Wahrheiten kundtut: Die Verstärkung reicht nicht, erfahrene Staatsanwälte sind an die VW-Verfahren gebunden, und die verbleibenden müssen jene jungen Juristen betreuen, die zur Verstärkung an Bord kamen. Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza konnte nach der Kleiderordnung nicht am Ende der Rednerliste stehen, deshalb musste sie auf diese Mahnungen nicht antworten. Dabei wird es nicht bleiben.

Für den Moment konnte sie sich mit einem Problem beschäftigen, das aus einer nicht nur von ihr beobachteten neuen Ruppigkeit entspringt, aus einer Abkühlung des gesellschaftlichen Klimas und aus einer Zunahme derjenigen, die nicht verbinden, sondern ausgrenzen. Hier fand sie die notwendigen klaren Worte. Angriffe auf Helfer, auf Polizisten, auf Bürgermeister oder Behördenmitarbeiter, so sagt sie zurecht, vertragen keine Toleranz. „Hier darf der Rechtsstaat nicht weichen.“

Auch das ist ein Satz, den man gerne hört. Denn er spricht für eine Haltung, aus der heraus nicht einfach nur ein einzelner Straftäter der gerechten Strafe zugeführt wird. Wenn die Justiz tut, was die Justizministerin fordert, wird dem Recht zur Geltung verholfen. Der Rechtsstaat erlebt dann seine wirksamste Verteidigung.

Havliza ist gerade in diesem Punkt außergewöhnlich glaubwürdig. Als Richterin hatte sie nicht nur einige der prominentesten Islamisten-Prozesse geführt. Sie hatte auch den Mann zu 14 Jahren Haft verurteilt, der die spätere Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ermorden wollte. Eigentlich, so berichtete sie, wollte der Mann die Bundeskanzlerin töten, aber an Angela Merkel komme man ja nicht ran. Null Toleranz gegenüber solchen Tätern: Havliza hat diese Linie als Richterin durchgehalten.

So wie der Reker-Attentäter glaubte, seine Fremdenfeindlichkeit erhebe ihn über das Recht, so gibt es viele, die sich ihr eigenes Gut und Böse schaffen. Man muss nicht bis zu jenen „Reichsbürgern“ blicken, die kurzerhand den demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland für nicht existent erklären und deshalb seine Normen negieren. Die Alltags-Idioten, die Unfall-Helfer anpöbeln oder den Sachbearbeiter bei der Kommunalverwaltung beschimpfen, sind deutlich zahlreicher. Es gibt wenig Hoffnung, dass ihnen mit subtileren Mitteln als einer konsequenten Strafjustiz beizukommen wäre. In diesem Sinne mag man der Justizministerin wünschen, dass ihre Forderung sich im Alltag der niedersächsischen Justiz wiederfindet. Im Oberlandesgerichtsbezirk Braunschweig ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit klarer Grenzen seit Jahren ausgeprägt. Das hat unter anderem das harte Vorgehen der Polizei und der Justiz gegen Kriminelle im Umfeld des Standortes der Landesaufnahmebehörde gezeigt.

Stürmische Zeiten bei der Justiz, ein stürmischer IHK-Neujahrsempfang der regionalen Wirtschaft. Beim Schöninger Paläon erlebten die Unternehmer bei Windstärke 8 einmal mehr einen Ministerpräsidenten, der SPD-Parteibuch und Verständnis fürs Geschäft zu vereinbaren weiß. Stephan Weil hat Grund, mit den Unternehmern zufrieden zu sein. Niedersachsen, so zitiert er, belegt im zehn-Jahres-Vergleich der Wirtschaftsentwicklung den dritten Rang, nach Berlin und Bayern, aber vor Schwergewichten wie Baden-Württemberg. Die Richtung stimmt also.

Fraglich ist, ob es so bleibt. IHK-Präsident Helmut Streiff sprach es gelassen an: Viele von uns nehmen gar nicht mehr wahr, welches Glück wir haben. Wir erleben im zehnten Jahr in Folge einen Aufschwung. Manche ganz junge Zeitgenossen kennen es gar nicht anders. Was so normal wirkt, ist in Wirklichkeit extrem ungewöhnlich. Deshalb waren Streiffs und Weils Hinweise goldrichtig. Selbstverständlich ist an diesem Daueraufschwung gar nichts. Wir sollten die Chancen konsequent nutzen – und uns klar werden, welch große Gefahren lauern, vom Brexit bis zur Lähmung einer Volkswirtschaft durch Überregulierung.

Da trafen sich die Einschätzungen des IHK-Präsidenten und des ehemaligen Generalstaatsanwaltes auf einer Speerspitze: Beide beklagten, dass immer neue und immer zusätzliche Gesetze beschlossen werden, die immensen Aufwand produzieren. In den Unternehmen wie bei der Justiz.

Wie wäre es, wenn unsere Parlamente ihren Eifer zur Abwechslung auf die Vereinfachung richten würden? Anders als bei Wandertagen gibt es in der Gesetzgebung ja keinen Preis für den Massenaufmarsch.