„Ich bin sicher, dass Äthiopiens Christen den glaubensschwächelnden Abendländern was erzählen könnten.“

Unter dem Titel „Los, Kirche, mach was draus!“ hat Martin Jasper in unserer am Dienstag erschienen Beilage zum Reformationstag eine kritische Bestandsaufnahme formuliert. Der neue Feiertag könnte, schrieb Jasper, theoretisch den Anlass zu einer Renaissance des Christentums bieten. „Doch dazu fehlt den wellness-mäßig weichgespülten Kirchenoberen von heute (leider) der heilige Furor Luthers und (zum Glück) seine schreckliche Intoleranz.“ Wie wäre es, so schloss Jaspers Kommentar, mit einem öffentlichen Thesenanschlag an jeder Kirchentür: „Was läuft falsch in der Gesellschaft?“ Als „Entgegnung“ zu dieser Einlassung hat unsere Redaktion ein Gastkommentar aus Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba erreicht – von Braunschweigs ehemaligem Domprediger Joachim Hempel, der in Addis Abeba arbeitet.

Nein, nein, lieber Martin Jasper, bei allem Respekt: Sie verwechseln persönliche Glaubensschwäche mit der Schwäche des Glaubens, kommen Sie hierher und erleben Sie, welche Lebenskraft gerade auch der christliche Glaube entfaltet, wie tröstlich und ermutigend seine Kernaussage ist, dass Gerechtigkeit nicht allein das Ergebnis menschlicher Anstrengungen in gut bezahlten Jobs ist.

Die Ärmsten der Armen sind mit unbändiger Lebenskraft im Glauben verankert. Nein, nein, lieber Martin Jasper, das sich selbst zum ‚christlichen Abendland‘ hochstilisiert habende Europa legt nicht die Messlatte für ‚wie wichtig ist der Glaube‘ an; solange aufgeklärten ‚Nach-Christen‘ zur Schaffung von Feiertagen wieder ‚nur‘ die christlichen Kirchen einfallen, um deren Feiertage als freie Tage einer Ökonomiegesellschaft zu missbrauchen, – und alle Mehr- oder Weniger- oder angeblich Garnichts-Gläubigen die kirchlichen Feiertage als freie Tage brauchen und missbrauchen, stimmt in der philosophisch-elitären Diskussion über Kirche und Glauben doch hinten und vorne was nicht.

Wer mit Kirche nichts am Hut hat, ist kein schlechterer Mensch, hoffentlich; aber der soll an der biblischsten aller gesellschaftlichen Errungenschaften, nämlich dem arbeitsfreien (Sabbat- oder Sonn-)Tag dann auch fröhlich seiner Konsumentenideologie anhängen und arbeiten gehen.

So geht’s doch nicht: Feiertage, die keiner feiert, braucht’s nicht; freie Tage, sprich Ferien oder Urlaub, braucht jeder, aber bitte ohne parlamentarische Feiertagsregelungen, die durch Sport und Events eh nicht beachtet werden. Warum erscheint diese Zeitung eigentlich nicht am Sonntag? ‚Kriegen Sie das nicht endlich mal geregelt?‘

Zurück zum ‚Glauben‘: Die Frage ist am Ende eine sehr persönliche – allen organisierten Glaubensformen und unter Mühen verfassten Glaubensbekenntnissen zum Trotz; die individuelle Glaubensbandbreite passt in keinen Kanon mehr, wie wahr. Trotzdem bleibt die biblische Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus ein wunderbarer Ort der Vergewisserung, des Zuspruchs, der Wertschätzung, der Hoffnung und der Liebe. Wer will darauf schon – alternativlos – verzichten. Wo hörst du in deinem Leben den Satz schon sonst: „Gott im Himmel hat an allen/ seine Lust, sein Wohlgefallen/ kennt auch dich und hat dich lieb.“

Ich will darauf nicht verzichten, auf das von rechtspopulistischen Orbans und AfD’lern verteidigte ‚sog. Christliche Abendland‘ allerdings schon. Ach, übrigens: Es war in Äthiopien, dass vor 3 Millionen Jahren ‚Lucy‘ oder wie sie hier heißt: ‚Dinkinesh‘ – du bist wunderbar – als erste Hominidin den aufrechten Gang wagte; ich bin sicher, dass Äthiopiens Christen den glaubensschwächelnden Abendländern was erzählen könnten. Mein Eindruck ist sowieso, dass hier auf diesem Kontinent – vom ‚Abendland‘ kaum bemerkt, Zukunftsweisendes geschieht – fest verankert im Glauben.

Na, dann fröhlichen freien Tag, lieber Martin Jasper, hier wird übrigens gearbeitet, bei aller Sympathie für Deutschland...