„Wer zu einer Nationalhymne aufläuft, die von Einigkeit und Recht und Freiheit kündet, kann sich nicht für einen Mann hergeben, der unsere Werte mit Füßen tritt.“

„Unsere europäischen Werte sind verbindlich und verbinden.“


Joachim Gauck

Armin_Maus_Portraits_517_frei

Ilkay Gündogan (links), Mesut Özil und Präsident Erdogan.Foto: dpa
Ilkay Gündogan (links), Mesut Özil und Präsident Erdogan.Foto: dpa

Regierungssprecher Steffen Seibert fand für den Aufreger der Woche eine ganz zauberhafte Formulierung. Der Auftritt der deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Erdogan sei eine Situation gewesen, „die Fragen aufwarf und zu Missverständnissen einlud“. Diese Samtpfötigkeit hätte selbst der unübertroffen diplomatische Bundespräsident Steinmeier nicht zu übertreffen gewusst.

Sagen wir es mal ganz undiplomatisch. Wer sich beim PR-Termin einem Autokraten anbiedert, der politische Gegner und kritische Journalisten einsperrt, solltemit empörten Reaktionen rechnen. Zur Erinnerung: Das Erdogan-Regime trieb seine Nachstellungen bis nach Deutschland. Selbst in unserer Region wurden Erdogan-Kritiker bespitzelt und bedroht.

Nachsichtige Kommentatoren wie der Türkei-erfahrene Trainer Christoph Daum meinen, die beiden türkischstämmigen Spieler hätten nicht erkannt, welche Wirkung ihr Auftritt haben würde. Man mag es kaum glauben. Spieler vom Marktwert dieser beiden können sich für gewöhnlich vor Beratern kaum retten. Nur ganz wenige Auftritte kommen absichtslos zustande. Und konnten Menschen der Spielintelligenz Özils und Gündogans so naiv sein, dass sie Erdogan-PR für folgenlos hielten?

Noch spannender ist die Frage, welche Haltung der Aktion in einem Londoner Hotel zugrunde lag. Mit welchem Land identifizieren sich die Spieler? Mit dem Land, für das sie bei der WM antreten, in dem sie groß und ausgebildet wurden? Oder mit dem Land ihrer Väter?

Gündogan hatte sein Trikot Erdogan handschriftlich gewidmet: „Für meinen verehrten Präsidenten, hochachtungsvoll.“ Schräger geht es nicht. Mein Präsident? Gündogan ist in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen, hat in Nürnberg ein deutsches Abitur abgelegt. Sein Präsident ist nicht Recep Tayyip Erdogan, sondern Frank-Walter Steinmeier. Der hat Hochachtung allemal verdient. Auch Mesut Özil ist in Gelsenkirchen geboren, wo er die mittlere Reife erreichte.

Özil und Gündogan erscheinen als Beispiele für die schizophrene Haltung nicht weniger türkischstämmiger Migranten, die enormes Spannungspotenzial hat. Die Bindungen an die alte und an die neue Heimat existieren unreflektiert in einer Parallelität, die am Ende dysfunktional wirkt. Das Problem ist nicht neu, wirkt sich aber stärker aus, seit sich die Türkei unter Erdogans Regime von Demokratie und Rechtsstaat entfernt. Da klafft ein Graben zwischen neuer und alter Heimat, den selbst der Unpolitische nicht ignorieren kann und darf.

Bundestrainer Joachim Löw hat mit einer Klugheit, die sich von seiner Entscheidung gegen Sven Ulreich und Sandro Wagner positiv abhebt, auf die Situation vieler Migranten verwiesen. Er wisse, dass „in deren Brust auch manchmal zwei Herzen schlagen“ – bezeichnete aber auch den Punkt, an dem das Verständnis endet: „Wenn man für Deutschland spielt, dann vertritt man das Land und die deutschen Werte.“

Niemand sollte von einem Zuwanderer verlangen, dass er die Gefühle für das Land seiner Ahnen abstößt. Wer einwandert, kann auch seine identitätsprägende Traditionen nicht an den Nagel hängen wie einen fleckigen Mantel. Selbst in den USA, dem Land, welches das Schmelztiegel-Prinzip zur Perfektion entwickelt hat, pflegen viele, deren Vorfahren Iren, Deutsche, Skandinavier, Afrikaner waren, ihre besondere Identität. Aber sie verstehen sich als fester Teil einer Nation, auf deren Werte sie stolz sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer zu einer Nationalhymne aufläuft, die von Einigkeit und Recht und Freiheit kündet, kann sich nicht für die PR eines Mannes hergeben, der die demokratischen Werte mit Füßen tritt.

Nicht alle Äußerungen, die von Özil und Gündogan nach dem öffentlichen Aufschrei zu hören und zu lesen waren, nähren die Hoffnung auf bessere Einsicht. Das ist dramatisch, weil Menschen ihrer Popularität besondere Verantwortung tragen. Ein Spitzensportler kann nicht den Reichtum mitnehmen, den ihm sein Talent einträgt, aber der reinste Privatmensch sein wollen. Gündogan sagt, er habe zu Erdogan nicht „unhöflich“ sein wollen – so einfach schafft man die Torheit nicht aus der Welt. Mannschaftskollege Emre Can bewies übrigens, dass es anders ging. Er schlug Erdogans Einladung aus.

In Deutschland und gerade in unserer Region leben viele Türken und Türkischstämmige, die zu den Aktivposten unserer Gesellschaft gehören, als Kollegen, Ehrenamtliche in Vereinen, als Teilnehmer am demokratischen Miteinander. Ihnen erweisen die gedankenlosen Nationalspieler einen Bärendienst. Denn Özil und Gündogan leisten dem Missverständnis manches Migranten Vorschub, er könne sich vor der Identifikations- und Wertefrage drücken. Und sie schüren das Misstrauen derjenigen, die Zuwanderern grundsätzlich die Bereitschaft absprechen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Mit einem schwäbischen „Du, Du, Du!“ aus dem Munde des Bundestrainers ist dieser Schaden nicht zu reparieren.