Freiburg. Joachim Löw überrascht mit seiner Stürmer-Wahl für den WM-Kader. Özil und Gündogan müssen zum Rapport.

. Nils Petersens letzter Auftritt in einem Trikot mit dem Adler auf der Brust endete mit einem Fehlschuss – und der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen. Im Finale vergab der Stürmer des SC Freiburg gegen Brasilien seinen Versuch im legendären Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro und ermöglichte Neymar die Gelegenheit zum entscheidenden Treffer beim 5:4 im Elfmeterschießen. So überraschend Petersen vor zwei Jahren von Horst Hrubesch für den Olympia-Kader nominiert worden war, so unerwartet kommt nun die Wahl von Bundestrainer Joachim Löw für die Weltmeisterschaft in Russland.

Wobei: Bei seinen Glückwünschen zu Olympia-Silber sagte Löw vor zwei Jahren auch, er sei sicher, „dass der ein oder andere Spieler das Potenzial für die A-Mannschaft hat“. Gedacht hat er dabei wohl eher an Niklas Süle oder Julian Brandt, die wie Petersen nun im ersten Russland-Kader stehen. Doch auch Petersen hat seither einen herausragend guten Ruf im deutschen Fußball. Für junge Profis ist er ein Vorbild – bei Olympia und in Freiburg.

Der 29 Jahre alte Angreifer ist der Typ Fußballer, der immer alles gibt und nie murrt - auch dann nicht, wenn er nach dem Abstieg in die 2. Liga in Freiburg bleibt, dort 21 Tore schießt und im ersten Jahr Bundesliga dann oft nur als Joker ins Spiel kommt, weil der Platz in der Startelf zumeist an Florian Niederlechner ging.

Was machte Petersen? Neun seiner zehn Saisontore erzielte er nach Einwechslungen, stellte damit eine neue Bestmarke auf. Gerade die Joker-Qualitäten hob Löw nun hervor. Mit inzwischen 20 Toren nach Einwechslung hält er den Bundesliga-Rekord. An Freiburgs Klassenverbleib hatte Petersen, der in seiner Karriere außerdem für Bremen, München, Cottbus und Jena spielte, mit seinen 15 Saisontoren nun wieder maßgeblichen Anteil. Nur Robert Lewandowski traf in der Liga häufiger. Petersens Fähigkeiten und Spielverständnis kennt Löw gut. Er ist häufig Gast im Schwarzwald-Stadion.

Neben dem Überraschungsmann hat der Bundestrainer unter anderem neun Weltmeister nominiert, die sich für den endgültigen, 23-köpfigen Kader empfehlen können, den Löw bis 4. Juni bei Weltverband Fifa melden muss. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft geht aber ohne Rio-Held Mario Götze in ihre historische Mission Titelverteidigung. „Wir wollen das Maximum erreichen und diesen Titel wieder nach Deutschland holen“, sagte Löw gestern bei der Bekanntgabe in Dortmund, wo auch seine Vertragsverlängerung bis 2022 verkündet wurde. Bei der Nominierung sei es leider auch sein Job gewesen, „Träume platzen zu lassen. Es ist nie gegen einen Spieler, immer im Sinne der Mannschaft und des Gesamterfolges“, ergänzte er.

Petersen stach Sandro Wagner aus, der im Gegensatz zu Mario Gomez fehlt. „Ich verspreche mir einiges von ihm“, sagte Löw. Für Götze gilt dies aktuell nicht: „Es tut mir wahnsinnig leid, aber es war nicht seine Saison.“ Weil Kapitän Manuel Neuer nach seinem Fußbruch noch auf sein Comeback wartet, nimmt Löw mit Marc-Andre ter Stegen, Bernd Leno und Kevin Trapp gleich vier Torhüter mit ins Trainingslager nach Südtirol (23. Mai bis 7. Juni).

Dabei sind auch Ilkay Gündogan und Mesut Özil trotz ihres heftig kritisierten Treffens mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan samt gemeinsamen Foto. „Das war keine glückliche Aktion. Wenn man für Deutschland spielt, dann vertritt man das Land und die deutschen Werte“, sagte Löw und kündigte ein Gespräch an. Ein Verzicht auf beide sei aber „zu keiner Sekunde“ Thema gewesen.

Dennoch bekommen die beiden Mittelfeldstars eine klare Ansage vom DFB und befinden sich weiterhin im Auge eines Sturms. Quer durch die politische Landschaft wurde die mindestens unbedachte Wahlkampfhilfe der türkischstämmigen Nationalspieler für Erdogan verurteilt. Löw zeigte allerdings angesichts seiner Türkei-Erfahrung auch ein „bisschen Verständnis“ für die Spieler, weil er wisse, dass bei jenen „mit Migrationshintergrund“ zwei Herzen in der Brust schlagen.sid