„Die türkische Offensive istvölkerrechtswidrig, sie erschwert eine Friedenslösung inSyrien.“

Schon wieder ist eine Hoffnung im Nahen Osten geplatzt: Der Krieg in Syrien wird nicht so schnell enden, auch wenn eine breite Allianz den sogenannten Islamischen Staat erfolgreich zurückgedrängt hat. Die Anti-IS-Koalition zerbricht, nun droht eine neue Phase des langen Kampfes zu beginnen, in der Fakten geschaffen werden sollen für die irgendwann einmal zu errichtende Nachkriegsordnung. Darum geht es jetzt der Türkei, die mit ihrer Offensive die Kurden in Nordsyrien vertreiben will: Ankara gießt damit Öl ins Feuer und riskiert eine Eskalation, in die auch Deutschland und die Nato-Partner hineingezogen würden – wenn sie Präsident Erdogan nicht vorher die Rote Karte zeigen.

Die Zurückhaltung, mit der Berlin und Brüssel auf den Feldzug gegen die Kurden reagiert haben, ist fehl am Platz: Die türkische Offensive ist offenkundig völkerrechtswidrig, sie erschwert eine Friedenslösung in Syrien – und sie untergräbt nebenbei das Vertrauen in die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik. Dass die Türkei jetzt deutsche Leopard-Panzer gegen die bislang vom Westen so lautstark bejubelten Kurden rollen lässt, ist an sich schon ein Albtraum. Nicht ausgeschlossen, dass die Angegriffenen sich bald auch noch mit deutschen Waffen wehren, die die Bundeswehr den Peschmerga-Kämpfern im Nordirak überlassen hatte.

Die Türkei riskiert einen indirekten Konflikt mit den USA

Da wünschte man sich schon ein klares Wort der Bundesregierung. Und auch den deutlichen Hinweis an Ankara, dass die in Aussicht gestellte Nachrüstung der Leopard-Panzer, die als Beitrag zur deutsch-türkischen Klimaverbesserung geplant war, unter diesen Umständen nicht stattfinden kann. Waren die Tauwetter-Signale Erdogans am Ende nur ein taktisches Manöver, um den Rücken frei zu haben für den Kurden-Feldzug?

Es geht ja nicht nur um Waffen: Das Nato-Mitglied Türkei riskiert einen mindestens indirekten Konflikt mit Nato-Partner USA, die bislang die kurdische Milizen unterstützt haben; sollten die türkischen Truppen wie angekündigt weiter vorrücken, werden die Amerikaner einer Konfrontation nur schwer entgehen können – es sei denn, sie lassen die Kurden vollends im Stich, was aber unwahrscheinlich ist, solange Washington die Allianz noch zur Eindämmung des Iran benötigt. Was für ein Chaos! Und was für ein Zynismus. Russland kann sich die Hände reiben angesichts der Entwicklung, die einen tiefen Keil in die Nato treibt.

Die großen Verlierer sind die Kurden in Syrien

Die USA müssen sich dagegen strategische Fehler vorhalten lassen: Sie ließen die Türkei erst glauben, die amerikanische Bewaffnung der kurdischen Hilfstruppen werde nach dem Ende der IS eingestellt; dann kündigte Washington an, in Nordsyrien eine Grenzschutztruppe unter kurdischer Führung aufbauen zu wollen. Ein später Rückzieher half nicht mehr: Ankara hat die Wende als Provokation verstanden und als Vorwand für den Einmarsch genutzt. Bei aller Kritik an diesem Schritt: Die Türkei hat durchaus Gründe, einen Kurdenstaat abzulehnen, der die Konflikte im eigenen Land gewiss anheizen würde. Aber mit Bombardements ist diese Frage nicht zu lösen; Ankara hat sich um eine politische Lösung kaum bemüht.

Die großen Verlierer sind die Kurden in Syrien: Sie haben den entscheidenden Beitrag geleistet im Kampf gegen den IS und dafür die größten Opfer gebracht. Jetzt müssen sie befürchten, dass der Westen sie wieder im Stich lässt. Aber auch Europa zählt zu den Verlierern: Die Erwartung, die EU werde sich bald als Aufbauhelfer profilieren und die Rückkehr syrischer Flüchtlinge vorbereiten, hat getrogen. Stattdessen könnte die Eskalation eine neue Welle von Flüchtlingen nach Europa treiben.