„Das Ergebnis, mit dem die SPD aus der Sondierung kam, hat wenig zu tun mit den Forderungen zum Auftakt.“

Es waren 111 Tage. So lange hat SPD-Chef Martin Schulz gebraucht, um die sportlichste Wende hinzukriegen, die wir in der Politik seit Langem gesehen haben. „Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU in der großen Koalition“, hatte er in der Nacht der verlorenen Bundestagswahl gesagt. Am Freitagfrüh, nach 24 Stunden Verhandlungsmarathon sprach er – sichtbar widerwillig den Satz: „Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt haben.“ „Große Koalition“ kam ihm dabei nicht über die Lippen.

Dennoch ist die erfolgreiche Sondierung zwischen Union und SPD eine gute Nachricht für das Land. Schließlich steuern die Spitzenpolitiker der nicht mehr ganz so großen Volksparteien endlich entschlossen auf eine Regierungsbildung zu. Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht und die lautet: Es ist noch längst nicht ausgemacht, dass diese am Ende auch klappt.

Von den Forderungen aus dem Wahlkampf ist die SPD weit abgerückt

Das Ergebnis mit dem die SPD aus der Sondierung kam, hat jedenfalls wenig zu tun mit den vollmundigen Forderungen, die zum Auftakt der Verhandlungen formuliert wurden. Höhere Steuern für Reiche! Weg mit Privatversicherungen! Bürgerversicherung für alle! Keine Grenze für den Flüchtlingsnachzug! Nichts davon hat die SPD durchsetzen können. „Bätschi“, hieß es bei all diesen Punkten am Ende bei der Union, und jetzt muss Martin Schulz mit einem völlig anderen Ergebnis vor die Partei treten und um Zustimmung betteln. Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis und dem Absturz in den Beliebtheitswerten wird ein hauchdünnes Ergebnis zum politischen Überleben nicht reichen.

Einmal mehr zeigt sich in der Politik, wie unklug solche Festlegungen sind und wie gefährlich sie Spielräume verengen können. Aber auch wenn Martin Schulz am 21. Januar den Parteitag hinter sich bringt, liegt in der Parteibasis diesmal das größte Restrisiko. Der Mitgliederentscheid muss nach weiteren Koalitionsverhandlungen die Verrenkungen der Parteispitze absegnen. Völlig unklar, wer wem dabei am Ende – um im Nahles-Jargon zu bleiben – „auf die Fresse gibt“.

SPD-Linke findet die Ergebnisse „beschämend“

Bei Sigmar Gabriel, der 2013 alles auf eine Karte setzte, hat das geklappt. Der Schulz-Vorgänger hatte mit dem Mindestlohn aber ein echtes Ass im Ärmel. Ob die Wiedereinführung der paritätischen Beitragssatzfinanzierung den gleichen Effekt hat, ist fraglich.

Die SPD-Linke hat am Freitag schon den Soundtrack für die kritische Basis geliefert. „Beschämend“, „zu wenig“ sind dabei die Stichworte. Bei den einfachen Mitgliedern, die sich weder um Mandate noch Dienstwagen sorgen müssen, kann die Bewertung sogar noch deftiger ausfallen. Martin Schulz bleibt also bis zum Mitgliederentscheid ein Vorsitzender auf Abruf. Das weiß er und wird entsprechend um die Deutungshoheit des Sondierungsergebnisses kämpfen.

Keine große Liebeserklärung an die Zukunft

Die Einigung zwischen Union und SPD hat Schlagseite. Große Kreativität gibt es beim Geldverteilen und verbesserten sozialen Leistungen. Einiges davon ist sicher wünschenswert. Aber die Vision für die großen Zukunftsfragen ist ausgeblieben. Der Sondierungskompromiss liest sich eher wie ein Ehevertrag von Brautleuten, die möglichst viel Zugeständnisse für den Tag der Scheidung herausverhandelt haben.

Der große Wurf mit einer Liebeserklärung an die Zukunft sieht anders aus. Besonders die Ergebnisse bei den Zukunftsfeldern Bildung und Digitales sind enttäuschend, da hätte Europas wichtigste Industrienation mehr Fantasie verdient. Vielleicht bringen die Großkoalitionäre ja noch die Kraft auf, in den finalen Verhandlungen die fehlende Vision zu entwickeln. Das Land wartet darauf.