Braunschweig. Nach dem Großbrand am Brocken denkt man im Nationalpark über den Brandschutz nach. Sachsen-Anhalts Forstminister: Ein jahrelanges Tabu fällt.

Über vier Tage, vom Donnerstag bis zum Sonntagmorgen, wütete der Großbrand am Brocken. Nicht nur aufgrund des unwegsamen Geländes erwiesen sich die Löscharbeiten als schwierig. Auch hohe, abgestorbene Bäume stellten die Feuerwehrleute vor Gefahren, weil Baumspitzen und Äste herabzufallen drohten. Das Brandgebiet konnte zeitweise nicht betreten werden. Am Montag danach stellte man sich nun die Frage, inwieweit totes Holz ein zusätzlicher Risikofaktor für Waldbrände ist. Schließlich ist dieses Thema gerade im Harz allgegenwärtig, wo es aufgrund forstwirtschaftlicher Fehler in der Vergangenheit, durch Dürre, Stürme und Parasiten heute riesige Flächen mit „Dürrständern“, abgestorbenen Fichten, gibt.

„Totholz ist kein Tabu mehr“

Für Sachsen-Anhalts Forstminister Sven Schulze (CDU) steht eine Lehre aus den jüngsten Waldbränden fest: „Das Beseitigen von Totholz darf – auch im Nationalpark Harz – nicht länger ein Tabu sein“, sagte er unserer Zeitung. Bei einem Gespräch mit Vertretern des Landkreises Harz, der Nationalparkverwaltung, der Harzer Schmalspurbahn sowie der Feuerwehren habe man am Montag vereinbart, Maßnahmen zu erarbeiten, die ein Überspringen von Bränden künftig besser verhindern sollen. Noch in dieser Woche soll eine entsprechende Arbeitsgruppe unter der Leitung von Wernigerodes Oberbürgermeisters Tobias Kascha (SPD) zusammentreten. Deren Ziel ist es, zu entscheiden, wo zusätzliche Brandschutzschneisen notwendig sind.

Der Waldbrandexperte Detlef Maushake hatte kürzlich in unserer Zeitung auf die Brandschutzgefahren durch Totholz hingewiesen. Der Vechelder, Vorsitzender des Vereins „Waldbrandteam“, erklärte, dass aufgrund der sich seit Jahren verschärfenden Trockenheit im Sommer „viel mehr knochentrockenes Zündholz in den Wäldern liegt, dass als idealer Brandbeschleuniger dient“. So begrüßenswert ein natürlicher Wald aus ökologischer Perspektive sei, so katastrophal könne er aus Brandschutz-Sicht sein.

Dass nun auch im Nationalpark Harz darüber nachgedacht wird, auf bestimmten Flächen Totholz zu entfernen, ist aus Sicht des Ministers Schulze ein Umdenken, das er selbst entscheidend vorangetrieben habe. „Unter meiner grünen Amtsvorgängerin stand das Thema jahrelang außerhalb jeder Diskussion“, sagte er. Unter seiner Leitung habe das Ministerium nun eine Studie in Auftrag gegeben, die ein für alle Mal die Frage klären solle: „Wirkt Totholz im Wald nun brandbeschleunigend oder brandhemmend?“

Kommentar: Zunder – Andreas Eberhard zum Thema Totholz

Totholz kann Brände hemmen oder befördern

Nationalpark Harz Leiter Roland Pietsch steht neben Sachsen-Anhalts Forstminister Sven Schulze (r, CDU). Der Minister hat sich mit Vertretern von Nationalparkverwaltung, dem Landkreis Harz sowie den Feuerwehren getroffen um über die aktuelle Waldbrandsituation zu beraten.
Nationalpark Harz Leiter Roland Pietsch steht neben Sachsen-Anhalts Forstminister Sven Schulze (r, CDU). Der Minister hat sich mit Vertretern von Nationalparkverwaltung, dem Landkreis Harz sowie den Feuerwehren getroffen um über die aktuelle Waldbrandsituation zu beraten. © picture alliance/dpa | Matthias Bein

Roland Pietsch, Leiter des Nationalparks Harz bezweifelt, dass es auf diese Frage eine eindeutige Antwort gibt. „Natürlich kann niemand bestreiten, dass Totholz brennt“, sagt er und verweist etwa auf den Funkenflug, den man in den zurückliegenden Tagen im Harz erlebt habe. Allerdings müsse man differenzieren: „Totholz kann sowohl brandfördernd als auch brandhemmend wirken – je nachdem, wie es liegt, wo es liegt, wann es liegt und wie alt es ist.“ Wenn totes Holz in Bodenkontakt komme, dort verrotte und von Pilzen besiedelt werde, biete es nicht nur zahlreichen Arten ein Zuhause, sondern könne auch eine natürliche Barriere für Brände darstellen. Deshalb gelte es in jedem Fall abzuwägen, ob eine Entfernung sinnvoll ist. „Nichts wäre schädlicher, als jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen“, so Pietsch.

Wie der Minister, so begrüßt aber auch Pietsch die Gründung der Arbeitsgruppe. Es gehe darum, die Wünsche und Bedarfe der Feuerwehren aufzunehmen und diese mit der Ortskenntnis der Forstleute des Nationalparks zusammenzubringen, sagt er. Allerdings seien aufgrund des Geländes nicht überall, wo sich die Einsatzkräfte Brandschneisen wünschten, diese auch möglich. Das habe man etwa beim jüngsten Brand erlebt. Aber der Austausch, hofft Pietsch, werde dazu führen, dass „am Ende ein ausgeklügeltes Konzept“ stehen werde.

Wanderwege als „Brandschutzstreifen“

Ob dieser Austausch in den zurückliegenden Jahren zu kurz kam, möchten wir wissen. „Das Thema Waldbrand im Mittelgebirge ist immer noch ein recht neues“, sagt der Nationalparkchef. Erst die Dürrejahre seit 2018 hätten es auf breiter Front ins Bewusstsein gebracht. „Es ist aber auch nicht so, dass in den vergangenen Jahren gar nichts gemacht worden ist.“ Etwa entferne man schon seit Längerem das Totholz entlang der Wanderwege. „Wenn wir das links und rechts beräumen, haben wir am Ende einen Streifen von etwa 30 Metern Breite. Das könnte man schon als Brandschneise bezeichnen“, so Pietsch.

Trotzdem gilt: Das Thema Waldbrandschutz wird heute ernster genommen als noch vor Jahren. „Der Druck, den wir heute bei dem Thema haben, hat sich erst kontinuierlich aufgebaut“, sagt Pietsch. Umso wichtiger sei es jetzt, nachdem man „den Ernstfall“ erlebt habe, zügig die nötigen Schlüsse zu ziehen und Vorschläge zu erarbeiten. In vier Wochen sei geplant, mit dem Land über die Umsetzung sprechen.

Weber warnt vor „Scheinlösungen“

Ebenso wie der Nationalparkleiter warnt Karl-Friedrich Weber davor, Totholz in den Wäldern pauschal zu verteufeln. In einer großflächigen Entfernung abgestorbener Äste und Stämme sieht der ehemalige Forstbeamte und Umweltaktivist sogar eine erhebliche Erhöhung der Brandgefahr. Auch totes Material trage immer noch dazu bei, Flächen zu kühlen und feuchter als die freie Umgebung zu halten. „Ein komplettes Ausräumen würde das Brandrisiko mittelfristig sogar steigern, weil das Austrocknen begünstigt wird“, so Weber. Außerdem, so der Königslutteraner, würden „leere Steppen“, etwa mit Grasbewuchs, ebenfalls „wie Zunder“ brennen.

Auch Weber versteht aber das „Problem der Feuerwehren“, vor deren Arbeit er „höchsten Respekt“ habe. So nachvollziehbar er die Rufe nach weniger Totholz in den Wäldern angesichts der medienwirksamen Brände findet, so sehr warnt er vor „Schnellschüssen und Scheinlösungen“. Zwar kann auch er sich Situationen vorstellen, in denen eine Totholzentfernung sinnvoll ist – etwa bei trockenen Flächen mit Nadelbäumen in der Nähe von Siedlungen. Gleichwohl müsse man berücksichtigen, dass die Waldbrandflächen in Deutschland immer noch extrem klein im Verhältnis zur Gesamtwaldfläche seien. Zudem könne Totholz helfen, junge Laubbäume nachwachsen zu lassen. „Und wo Laubholz nachsprießt, da haben es die Flammen schwer“, so Weber.

Tatsächlich steht ein großflächiges Säubern der Wälder von Totholz für keinen der von uns befragten Akteure zur Debatte. Auch Niedersachsens Landwirtschafts- und Forstministerium erklärte auf Anfrage unserer Zeitung: „Da zum einen Totholz zum Wald gehört und hier für die Biodiversität und den Regenrückhalt – Stichwort Schwammfunktion – sehr wichtig ist, aber auch gleichzeitig das abgestorbene Holz in einem sehr dynamischen Prozess laufend und überall entsteht, ist eine flächendeckende Entnahme des toten, brennbaren Holzes kaum zielführend beziehungsweise leistbar.“

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