Braunschweig. Das Thünen-Institut in Braunschweig lädt zur Hummelfoto-Challenge per App. Das Vergnügen hat auch einen tieferen wissenschaftlichen Sinn.

In kürzester Zeit ist die kostenlose App auf dem Handy installiert. Noch schnell registriert, dann kann es losgehen: auf Hummel-Fotosafari in die heimische Feldmark. Auf dem Blühstreifen entlang einer Anbaufläche auf dem Thünen-Campus am nordwestlichen Rand Braunschweigs summt und brummt es. Während die Maisfelder und die abgemähten Wiesenflächen rings umher wenig Nektar und Pollen bieten, lassen es sich die Hummeln und die andern Insekten hier an den blühenden Sonnenblumen wohl ergehen.

Schnell das Handy gezückt, eine Hummel ausgeguckt und fotografiert. Der Druck auf den Bestimmen-Button der App mit dem Namen „ObsIdentify“ verrät in Sekundenschnelle, dass es sich mit exakt 97-prozentiger Wahrscheinlichkeit um eine Felsen-Kuckuckshummel handelt. Das Foto, versehen mit Informationen zum Ort und zum Zeitpunkt der Sichtung, ist der erster Volltreffer bei der „Hummel-Challenge“. Der Fotowettbewerb des Wildbienen-Teams am Thünen-Institut läuft noch bis zum 28. August. Es bleibt also noch etwas Zeit, sich vom abgeschlagenen 1084. Platz auf der Rangliste nach oben zu kämpfen. Spitzenreiter an diesem Tag ist der Nutzer „Simon“, der bei seien 437 belegten Hummel-Beobachtungen bereits 12 verschiedene Arten dokumentiert hat.

Wie beeinflusst die Landnutzung die Bestände der Wildbienen?

Eine Felsen-Kuckuckshummel, fotografiert auf einer Sonnenblumenblüte.
Eine Felsen-Kuckuckshummel, fotografiert auf einer Sonnenblumenblüte. © Andreas Eberhard

Eine nette Freizeitbeschäftigung ist das, und lehrreich dazu, schließlich war dem Autor dieses Textes die Felsen-Kuckuckshummel – ein Brutparasit wie der namensgebende Kuckuck – bis dato unbekannt. Dass hinter der „Challenge“ per App aber handfeste wissenschaftliche Absichten stehen, verrät Petra Dieker, Leiterin des Wildbienen-Monitorings am Thünen-Fachinstitut für Biodiversität: „Wir brauchen eine wissenschaftliche Datengrundlage, um Aussagen darüber zu treffen, wie die Landnutzung die Bestände der Wildbienen beeinflusst.“ Landwirtschaft könne, je nachdem, wie sie betrieben wird, zur Artenvielfalt beitragen oder dieser schaden, so die Forscherin. „Aber um dies im einzelnen zu belegen, bestimmte Weichenstellungen oder Fördermaßnahmen zu bewerten, braucht es eben valide Daten.“

Ohne Bienen bleibt der Frühstückstisch leer

Wie wichtig Wildbienen nicht nur für die Natur, sondern auch für die Landwirtschaft sind, steht außer Frage. „Ohne ihre Leistung als Bestäuber wäre der Frühstückstisch ziemlich leer“, sagt die Landschaftsökologin. Ihre Kollegin Lara Lindermann ergänzt, allein in Deutschland gebe es 590 nachgewiesene Wildbienenarten. „Diese Arten sind oft hoch spezialisiert. Etwa sind nur ganz bestimmte Wildbienen in der Lage, Erdbeerblüten genau so zu bestäuben, dass am Ende richtig schöne Erdbeeren herauskommen.“ Die vom Menschen domestizierte Honigbiene sei dazu nicht in der Lage – und könne Wildbienen folglich nicht ersetzen.

Künstliche Intelligenz erkennt die Hummelart

Doch obwohl die Bedeutung der Wildbienen als Bestäuber kaum hoch genug einzuschätzen sei, so Dieker, gebe es bisher kein umfassendes Monitoring. Welchen Beitrag interessierte wissenschaftliche Laien zu einer kontinuierlichen Überwachung der Bestände leisten können, auch das wollen die Forscherinnen mit der zeitlich begrenzte Hummel-Challenge (auch Hummeln zählen zu den Wildbienen) herausfinden. Neben der eigentlichen Hummel-Erfassung, erklärt Dieker, geht es aber auch darum, die Technik zu testen – insbesondere die Software, eine „lernende“ künstliche Intelligenz, die dafür sorgt, dass die Hummel möglichst zuverlässig bestimmt wird.

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Aber wie repräsentativ – und damit aussagekräftig mit Blick etwa auf die Zahl der Hummeln an einem Ort – können die mehr oder weniger zufälligen Handyfotos sein? Wissenschaftlerin Dieker räumt ein, dass manche Erkenntnisse mit diesem Verfahren nur schwer zu gewinnen sind. Zum einen seien „Biases“, also bestimmte Voreingenommenheiten der Fotografen möglich – etwa wenn diese eine bestimmte Art besonders gerne und oft fotografierten. Zudem sei es schwierig, anhand der Fotos zuverlässige Aussagen über die „Abundanz“, also die Häufigkeit des Vorkommens einer Art zu gewinnen. Trotz dieser Einschränkungen, die man bei der Auswertung berücksichtigen müsse, sieht Dieker aber ein großes Potenzial in der erhofften hohen Teilnehmerzahl, denn: „Je mehr Menschen teilnehmen, desto besser können wir sehen, wie sich die räumliche und zeitliche Verbreitung von Arten ändert – und damit ist schon viel gewonnen.“

Hilfsbereite Passanten fotografieren Bienen-Hotels

Blick auf die Rangliste der „Hummel-Challenge“. Spitzenreiter „Simon“ hat 12 verschiedene Arten gesichtet.
Blick auf die Rangliste der „Hummel-Challenge“. Spitzenreiter „Simon“ hat 12 verschiedene Arten gesichtet. © Andreas Eberhard

Die Hummel-Challenge mit ihrem Wettbewerbscharakter soll vor allem ansteckend wirken, wünschen sich die beiden Forscherinnen. Dass Laien fürs Wildbienen-Monitoring begeistert werden können, hat Lindermann schon gemerkt. Für ihre Doktorarbeit hat die 28-Jährige eine standardisierte Nisthilfe für Wildbienen entwickelt und an Rändern landwirtschaftlichen Flächen in unserer Region aufgestellt. Mit einem kleinen Schild bat sie Passanten, ihr ein Foto des Insektenhotels zu schicken, um zu erfahren ob diese noch stehen und ob sie besiedelt sind. „In relativ kurzer Zeit bekam ich rund tausend Mails von Menschen, die die Schilder gelesen hatten und mir helfen wollten. Manche schicken mir sogar regelmäßig Fotos.“ Für sie bedeutet das seitdem: weniger Fahrtwege und regelmäßige Eindrücke von der Besiedlung mit Bienen. Ihre Erfahrung dabei: „Je mehr Rückmeldungen die Leute erhielten, desto mehr wuchs ihre Hilfsbereitschaft.“

Laien werden zu Experten

Auch Petra Dieker ist überzeugt, dass Laien – nicht nur bei Hummeln – einen wertvollen Beitrag zur Forschung leisten können. „Wenn Leute begeistert von etwas sind, investieren sie so viel Zeit und Liebe, dass man es kaum glauben kann.“ Und oft würden sie darüber selbst zu Experten – wie dies bei etwa Vogelkundlern schon seit Jahrhunderten der Fall sei. Das Modewort „Citizen-Science“, unter dem Projekte wie die Hummel-Challenge heute oft firmieren, nervt die Expertin dagegen fast ein bisschen. „Das klingt immer ein bisschen so, als müssten wie den Menschen sagen: Damit seid ihr jetzt auch Wissenschaftler.“ Sie bevorzugt die Begriffe „Ehrenamtliche“ oder „Freiwillige“, weil sie darin ihre Wertschätzung ausdrücken könne. Außerdem stecke bei manchen ein echtes Eigeninteresse dahinter: „Viele Landwirte, die mitmachen, wollen einfach selbst wissen, ob die Bienen da sind.“

So nehmen Sie teil:

Die Hummel-Challenge: Helfen Sie, die Artenvielfalt von Hummeln zu erfassen. Um loszulegen, müssen Sie die App „Obsidentify“ auf Ihrem Mobiltelefon installieren und sich registrieren. Weitere Informationen unter: wildbienen.thuenen.de