Braunschweig. Helmut Beuke ist Niedersachsens Mann für Waldbrandprävention. Mit unserer Zeitung sprach er über ein Thema, das eine besondere Dringlichkeit hat.

Schon als Student schob er Dienst auf den Waldbrand-Beobachtungstürmen. Heute ist Helmut Beuke, geboren 1957 im Kreis Diepholz, in den Niedersächsischen Landesforsten der Mann für die Waldbrandprävention. Mit unserer Zeitung spricht er ausführlich über dieses Thema, das zwar eine wiederkehrendes ist (das Wort „Dauerbrenner“ verbietet sich trotzdem), in diesem Jahr jedoch eine besondere Dringlichkeit hat.

Sie sind schon länger dabei und können vergleichen. Stimmt der Eindruck, dass die Waldbrandgefahr 2022 besonders groß ist?

Ja, das ist leider so. Das ist nicht nur ein Eindruck, das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Die Besetzung unserer Waldbrandüberwachungszentrale in Lüneburg richtet sich nach dem Gefahren-Index, der täglich vom Deutschen Wetterdienst errechnet wird. Zwischen 2011 und 2017 war unsere Zentrale etwa an fünfzig Tagen im Jahr besetzt. In diesem Jahr – wir haben noch Juni! – sind es schon 65 Einsatztage. Oder anders ausgedrückt: Vor zehn Jahren haben wir im Schnitt 130 Brände pro Jahr entdeckt. Zuletzt waren es über 350 pro Jahr. Und in diesem Jahr gab es schon mehr als 300 Brandmeldungen…

Weil der Boden viel zu trocken ist?

Genau deshalb. Wir nennen es „Niederschlagsdefizit“ und müssen seit Jahren damit umgehen. In diesem Jahr gab es seit Anfang März keinen Regen, der uns wirklich geholfen hätte. Wir hatten extrem viele Tage mit geringer Luftfeuchtigkeit, und wir haben – dieser Faktor wird oft unterschätzt – viele Tage mit mittleren oder mäßigen Windgeschwindigkeiten. Diese Kombination sorgt für knochentrockene Oberböden. Und in den tieferen Böden ist seit langem nicht genug Wasser für unsere Bäume.

Wie behalten Sie an kritischen Tagen den Überblick? Statt der Beobachtungstürme spielt ja heute ein optisches Sensorsystem die entscheidende Rolle. Hat sich die neue Technik bewährt?

Und wie! Die Hightech-Sensoren, die wir für die Früherkennung benutzen, sind ursprünglich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die Weltraumforschung entwickelt worden, um Kometen zu analysieren. Diese Systeme sind dafür da, Grauwerte in der Landschaft zu unterscheiden. Wenn es im Wald Rauchentwicklung gibt, verändert sich dieser Wert signifikant.

Die Collage zeigt die Meldung und das automatisch generierte Foto, welches das Sensor-System am 21. Juni am Truppenübungsplatz Munster erstellt hat. Darunter ist unser Interviewpartner Helmut Beuke zu sehen, Waldbrandpräventionsbeauftragter der Landesforsten
Die Collage zeigt die Meldung und das automatisch generierte Foto, welches das Sensor-System am 21. Juni am Truppenübungsplatz Munster erstellt hat. Darunter ist unser Interviewpartner Helmut Beuke zu sehen, Waldbrandpräventionsbeauftragter der Landesforsten © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Inzwischen werden mit dieser Technik alle besonders gefährdeten Gebiete überwacht, also flächendeckend Brandenburg, der Süden von Mecklenburg-Vorpommern, der Norden von Sachsen und Sachsen-Anhalt und natürlich auch von uns die Lüneburger Heide. Das Tolle ist: Wir können den Rauch aus großer Entfernung entdecken. Es geht ja um riesige Flächen: Allein in Niedersachsen überwachen wir von 17 Standorten aus eine Fläche von 10.000 Quadratkilometern, also eine Million Hektar. Bei jedem Sensor kalkulieren wir mit einer Reichweite von 20 Kilometern. Der Rekord liegt aber bei 81. Das muss man sich mal vorstellen: Aus 81 Kilometern Entfernung haben wir aus der Lüneburger Heide einen Brand südlich von Bremen entdeckt!

Gibt es da auch häufig Fehlalarm?

Natürlich können sich Grauwerte durch Staub oder Beregnung signifikant verändern. In Lüneburg sitzen aber geschulte Mitarbeiter, die die eingehenden Signale zu deuten verstehen. Und wenn die es für sicher oder wahrscheinlich halten, dass es sich um Rauch handelt, dann wird die Feuerwehr-Einsatzleitstelle benachrichtigt – und es geht los.

Welche technischen Perspektiven gibt es außerdem? Welche Rolle spielen Drohnen?

Natürlich reicht es nicht aus, von weitem den Rauch als solchen zu erkennen. Wenn Sie im Wald in der Nähe eines Brandes sind, stehen Sie vor einer grünen Wand und sehen gar nichts mehr. Traditionell geht es dann der Nase nach – wo riecht es am meisten nach Feuer? In dieser Situation können Drohnen sehr wichtig sein, um den Brandherd punktuell und möglichst schnell aufzuspüren. Ich bin ja Mitglied der Waldbrand-Expertenkommission – und wir haben uns klar für die verstärkte Ausstattung der Einsatzkräfte mit Drohnen ausgesprochen.

Eine andere Frage für den Fall, dass es brennt, ist die nach der Löschwasserversorgung. Wie steht es darum?

Das ist eine wichtige Frage. Wir haben für den Ernstfall Einsatzkarten. Ich selbst habe die für die Risikogebiete in der Lüneburger Heide auf den neuesten Stand gebracht. Diese Karten enthalten Informationen über die Befahrbarkeit der Wege, aber auch darüber, wo man Löschwasser entnehmen kann. Das wird tatsächlich immer problematischer. In den Gebieten mit wenig natürlichem Wasser – und die Heide ist so ein Gebiet – haben wir an vielen Stellen Tanks mit jeweils 30.000 Litern Löschwasser eingegraben. Natürlich wird deren Benutzung jedes Jahr geprobt, auch ihre Zugänglichkeit ist ja sehr wichtig. Trotzdem muss man sagen: Es kann auch mal knapp werden mit dem Wasser. Deswegen sind wir in der Lage, auch längere Strecken zu überbrücken, beispielsweise zum Hydranten im nächsten erreichbaren Dorf. Auch so etwas steht in den Einsatzkarten.

Welche Rolle spielt die Unterstützung aus der Luft?

Wenn aus der Luft gelöscht werden muss, geschieht das mit Hubschraubern wie dem CH-53 – derzeit auch in Brandenburg im Einsatz. Uns steht auf dem Fliegerhorst in Faßberg bei Celle der Transporthubschrauber NH-90 zur Verfügung, an dem Körbe mit bis zu 5000 Litern Wasser hängen können. Der löscht relativ zielgenau. Das Flugzeug des Feuerwehrflugdienstes ist nicht zum Löschen da. Es ist unterwegs, wenn die Gefahrenstufe 5 erreicht ist. Dann wissen wir nämlich: Es wird brennen. Und dann können die Einsatzkräfte am Boden aus der Luft geführt werden. Es gibt nichts Schlimmeres als Feuerwehrleute, die nicht mehr aus dem brennenden Wald herausfinden, man denke nur an die Katastrophe im Kreis Gifhorn in den 70er Jahren. Und noch einen Punkt darf man nicht vergessen: In bergigen Gegenden wie dem Harz stoßen die optischen Sensorsysteme an ihre Grenzen. Da können wir nicht weit genug gucken, da ist die Überwachung aus der Luft viel wichtiger. Auf lange Sicht bietet sich für den Harz übrigens etwas an, was die Polen schon machen: der Einsatz von feuerwehrtechnisch speziell ausgerüsteten Pick-ups. Das ist eine interessante Perspektive.

Wie ist der Wald beschaffen, der weniger anfällig ist für Waldbrände? Oder anders: Müssen wir den Folgen des Klimawandels auch forstlich noch ganz anders entgegentreten?

Ja, aber genau das machen wir seit einiger Zeit. Die Herausforderungen sind ja leicht einsichtig. Ich zeige das Besuchern gern im Forstamt Munster-Oerrel. Zunächst führe ich sie in einen lichten Kiefernwald, in den die Sonne scheint. Da steht Gras, dort ist es im Sommer stickig, richtig unangenehm. Und dann gehen wir in den gleichalten Kiefernwald, in dem wir aber vor dreißig Jahren Buchen dazugepflanzt haben. Der Effekt ist jedes Mal enorm: Das Waldklima ist vollkommen anders, es ist viel kühler, und auf dem Boden ist Laub statt Gras. Das müssen wir auf großer Fläche erreichen, das streben wir an. Wir wollen den Laubwaldanteil vermehren.

Sind das womöglich Pläne auf geduldigem Papier?

Nein, das ist eine verbindliche Vorgabe. Das tun wir, das geschieht tatsächlich. Der Mischwaldanteil steigt kontinuierlich an. Das geht wirklich voran, aber wir können den Wunschwald nicht von heute auf morgen herbeizaubern, es geht um riesige Flächen, so etwas kann hundert Jahre dauern.

Wie steht es um die konkreten Brandursachen? Dass ein Lagerfeuer im Wald oder das Schmeißen der Zigarettenkippe aus dem Autofenster keine guten Ideen sind, ist den allermeisten bekannt, kommt aber trotzdem immer wieder vor, oder?

Das ist so. Ja, es brennt auch mal nach einem Blitzschlag, aber das ist bei uns – anders als in Nordamerika – eher selten der Fall. Die Brandursache ist fast immer der Mensch, sei es durch Brandstiftung, sei es durch Unachtsamkeit. Vor drei Jahren waren hier mal drei verschiedene Brandstifter zugange, zum Glück gab es dann auch eine Festnahme. Was mich persönlich jedoch besonders entsetzt, ist die Gedankenlosigkeit so vieler Menschen. Regelmäßig fliegen nach wie vor auch bei Waldbrandgefahrenstufe fünf die Zigarettenkippen aus den Autos. Mir reicht das schon, wenn ich hier bei Sellhorn zu so einer wunderschönen Wacholderheide gehe und all die Kippen an den Parkbänken liegen sehe… Rauchen im Wald ist eine Ordnungswidrigkeit, darauf kann man gar nicht oft genug hinweisen. Auch Camping, Grillen, all dies ist immer noch und immer wieder Thema. Hinzu kommen die Brände, die durch erhitzte Katalysatoren abgestellter Autos entstehen.

Und die Bundeswehr?

Ja, viele der Brände, die wir in der Heide entdecken, werden vom Militär verursacht. Das hat bei uns natürlich mit den großen Truppenübungsplätzen in Munster und Bergen zu tun, auch mit dem Schießplatz der Firma Rheinmetall. Sie können sich ja denken, wieso da derzeit besonders viel geschossen wird. Mit den entsprechenden Berufs-, bzw. Werksfeuerwehren arbeiten wir sehr gut zusammen; das funktioniert, das haben wir unter Kontrolle.

Wie ist Ihr persönliches Gefühl für dieses Jahr – glimpflich oder kritisch?

Kritisch. Wir werden wieder ein Rekordjahr haben, was die Zahl der Brände angeht. Für die nächsten Tage gibt es durchaus bedrohliche Vorhersagen. Aber ich kann hier guten Gewissens das Folgende sagen: Wir sind gut aufgestellt. Unser Frühwarnsystem funktioniert, wir entdecken die Entstehungsbrände – und unsere Feuerwehren sind entsprechend ausgerüstet. Ich gehe davon aus, dass wir in Niedersachsen keine Situationen erleben werden, die völlig außer Kontrolle geraten.