Braunschweig. Auch das Weltall sollte kommunistisch werden. Ines Geipel stellte in Braunschweig ihr Buch über Kosmosforschung in der DDR vor.

Ines Geipel bohrt sich rein. Grundsätzlich. Unentwegt. Unbeirrbar. Leicht verdauliche Themen, akkurat angerichtet? Haha, der war nicht schlecht, oder?

Stattdessen Ostgeschichten, Schmerzgeschichten, Traumageschichten. Und immer auch die eigenen Wunden. Nun etwa steht sie im Hohen Chor des Braunschweiger Doms und sagt so einen echten Geipel-Satz: „Man wird die Affen nicht mehr los.“

Ines Geipel, geboren 1960 in Dresden, ist eine vielfach geehrte, 2020 auch mit dem Wolfenbütteler Lessing-Preis für Kritik ausgezeichnete Schriftstellerin. Höchst umstritten ist die ehemalige DDR-Topsprinterin bezüglich ihrer Publikationen zum systematischen Doping in der DDR. „Wenn man nervöse Themen anschlägt, muss man darauf gefasst sein“, sagt sie zu all dem Ärger. Und natürlich hat ihr jüngstes Buch „Schöner Neuer Himmel – Aus dem Militärlabor des Ostens“ (Klett-Cotta, 287 Seiten, 22 Euro) damit auch jede Menge zu tun.

Donnerstagabend, Buchvorstellung im Dom. Vom Burgplatz scheppern zuweilen „Aida“-Proben dazwischen. Erstaunlich wenig Publikum ist der Einladung von Dompredigerin Cornelia Götz gefolgt, die sich auch als kundig-einfühlsame Moderatorin einbringt. Derlei ist bei Ines Geipel nicht unwichtig. Die Literatin steht zwar lässig mit Schlabberhose vorn, die Sonnenbrille ins Haar geschoben. Aber sie neigt dazu, zwei, drei Sätze gleichzeitig anzufangen und im Thema hin- und herzuspringen.

Ihr Thema also. Gruselig natürlich. Zunächst mal weniger eingängig als der ihrem Bruder und den Diktatur-Spätfolgen gewidmete Vorläufer „Umkämpfte Zone“. Fürs neue Buch hat die Autorin jahrelang „exzessiv“, wie sie sagt (sie drückt bei solchen Selbstbeschreibungen ganz gern auf die Tube) in den Akten der DDR-Militärforschung gewühlt. Um das „Interkosmos-Programm“ der Sowjets in den 70ern und 80ern geht es, in das andere Ostblock-Staaten nach und nach eingebunden wurden. Eroberung, nein: Unterwerfung des Weltalls im Dienste des Kommunismus und die Suche nach dem perfekten Hochleistungsmenschen, so lassen sich die steilen, zum Teil wahnwitzigen Ziele des Projekts definieren.

Jacob, der Mann ohne Wimpern

Streng geheim lief all dies ab in beschirmten Instituten und versteckten Laboren. Und gnadenlos gegenüber den Tieren und Menschen, an denen im Dienste des Projekts herumexperimentiert wurde. Wie schafft man es, den menschlichen Körper für die Schwerelosigkeit zu ertüchtigen? Wie ist Fortpflanzung im Weltall möglich? Ist eine Mensch-Maschine denkbar, welche die Überlegenheit des kommunistischen Systems auch jenseits der Erde zementiert? „Gift, Blut, Strahlung, Leistung, System“, das ist so eine Geipel’sche Aufzählung, die den Grusel-Faktor des Projekts verdeutlicht, dem ein „seelenloses Menschenbild“ zugrundelag, wie Cornelia Götz es beim Gespräch im Dom formuliert. „Mein Buch ist auch gegen den Kosmos-Kitsch gerichtet“, sagt Ines Geipel. In der Tat scheint man die Opfer der Experimente sozusagen achselzuckend in Kauf genommen zu haben. Die Qualen nicht nur die armen Versuchsaffen, die Ines Geipel auch nach der Archivarbeit im Kopf herumspuken. Sondern auch das Leid von Menschen wie diesem völlig haar-, sogar wimpernlosen Mann, den sie im Buch „Jacob“ nennt und auf dessen Frage, was eigentlich vor Jahrzehnten in der DDR mit ihm geschehen sei, die ganze Arbeit der Autorin zurückgeht.

Entstanden ist ein Buch, das als historisch-literarischer „Geipel-Mix“ beim Lesen irgendwann dann doch zu fesseln beginnt. Als anstrengend-anregender Beitrag nämlich einer passionierten Wühlerin und kreativen Schreiberin zu einem Themenkomplex, von dem wohl niemand wird behaupten wollen, dass es nur „Schnee von gestern“ ist. Nicht wahr, Herr Elon Musk?