Braunschweig. Das Landesgesundheitsministerium nennt 4,5 Verdachtsfälle pro 100.000 Impfungen, das Paul-Ehrlich-Institut 160. Eine Spurensuche.

Wie häufig treten nach einer Corona-Impfung Komplikationen, schwere Nebenwirkungen oder dauerhafte Impfschäden auf? Extrem selten, soviel ist sicher. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Verdachtsmeldungen bundesweit erfasst, nennt in seinem aktuellen Sicherheitsbericht vom 23. Dezember eine Zahl im unteren einstelligen Promillebereich: Bis Ende November wurden pro 1000 Corona-Impfungen im Schnitt 1,6 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen gemeldet, für schwerwiegende Reaktionen waren es sogar nur 0,2 Fälle.

Allerdings weichen die niedersächsischen Zahlen, die die Landesregierung jüngst in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des fraktionslosen Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) nannte, stark davon ab – nach unten wohlgemerkt: Bis Anfang November seien „491 niedersächsische Impfschadensverdachtsfälle“ gemeldet worden, heißt es. Bezogen auf 100.000 Impfdosen entspreche dies 4,5 Meldungen. Vergleicht man die Zahlen, kommt man zum Ergebnis, dass es bundesweit im Schnitt 35-mal mehr Verdachtsfälle gibt als in Niedersachsen. Denn die PEI-Zahl von 1,6 bedeutet umgerechnet: 160 Verdachtsfälle auf 100.000 Impfungen. Eine Abweichung dieser Größenordnung ließe sich nicht mit landesspezifischen Besonderheiten erklären.

Verdachtsfälle – hier wie dort

Beide Zahlen – vom Landesministerium und vom PEI – geben lediglich Verdachtsfälle wieder, darunter auch solche, in denen sich der vermutete Schaden bereits als nicht dauerhaft erwiesen hat. Die Frage bleibt also: Wie ist die Diskrepanz zu erklären? Was aus beiden Dokumenten auch nach eingehender Lektüre nicht klar hervorgeht: Die Antwort liegt in der unterschiedlichen Art der erfassten Verdachtsfälle.

Die vom Land genannte Zahl bezieht sich lediglich auf Verdachtsfälle von Impfkomplikationen, die dem Landesgesundheitsamt vorliegen. Dies sind einem Ministeriumssprecher zufolge namentlich bekannte Fälle, bei denen der Verdacht besteht, dass es durch die Impfung zu einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung gekommen sein könnte. Laut Infektionsschutzgesetz muss der Verdacht einer solchen „über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ dem Gesundheitsamt gemeldet werden, das den Verdachtsfall wiederum an das Land weitergibt. Mit Impfschäden ist diese Zahl allerdings nicht gleichzusetzen. Schließlich, berichtet das Ministerium, 180 der 491 Fälle seien zum Zeitpunkt der Meldung bereits „wiederhergestellt“ gewesen.

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PEI-Zahlen enthalten Online-Laien-Meldungen

Die Verdachtszahlen des PEI dagegen beinhalten neben solchen Verdachtsmeldungen vom Impfkomplikationen auch jene von normalen, als tolerierbar geltenden Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Übelkeit oder Schüttelfrost. Über die Meldungen der Gesundheitsämter hinaus wertet das PEI aber noch ein ganzes Bündel weiterer Quellen aus: Meldungen der Arzneimittelkommission, aus Gesundheitsberufen, von Impfstoffherstellern, Geimpften und Angehörigen – sowie die sogenannten Online-Laien-Direktmeldungen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die PEI-Zahlen allerdings in anderem, insgesamt wohl harmloseren, Licht. Zieht man von den angegebenen 1,6 Verdachtsfällen pro 1000 Impfungen die 0,2 schweren Fälle ab, bleiben 1,4 Meldungen von Impfnebenwirkungen und minderschweren Impfkomplikationen. Zumindest die „normalen“ Impfreaktionen dürften damit der Alltagserfahrung zufolge erheblich untererfasst sein. Allerdings dürften auch nur die wenigsten Geimpften ihre Grippesymptome am Nach-Impftag ans PEI gemeldet haben.

Dass das PEI wiederum die Quote der erfassten schweren Verdachtsfälle (0,2 von 1000, entspricht 20 von 100.000) auf mehr als das Vierfache der niedersächsischen Zahl (4,5 von 100.000) beziffert, dürfte an der Art der Erfassung liegen. Eine gewisse Übererfassung wäre hier plausibel, schließlich kann jeder das vom PEI eingerichtete Meldesystem (www.nebenwirkungen.bund.de) – auch anonym – nach Belieben nutzen, ohne dass im einzelnen eine Prüfung folgt.

Wer vermutet, an einer Impfkomplikation zu leiden, sollte dies aber nicht nur melden, sondern seinen Arzt aufsuchen. Der übernimmt, sollte er den Verdacht teilen, auch die Mitteilung ans Gesundheitsamt

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